Nordschwarzwald - Der Wolf ist zurück, und das löst nicht bei jedem Freude aus. Warum riss das Tier mit dem technokratisch-wissenschaftlichen Namen "Individuum GW 852m" eine halbe Schafherde? Und was bedeutet die Wiederkehr des Jägers für Mensch und Tierhalter in der Region? Wir fragten Rüdiger Schmiedel und Bernd Nonnenmacher vom Alternativen Wolf- und Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach.

Herr Schmiedel, Herr Nonnenmacher, sind Sie schon mal einem Wolf in freier Wildbahn und ohne schützenden Zaun begegnet?

Schmiedel: Nein, direkt nicht. In den 80er-Jahren war ich in der Lausitz auf einem Truppenübungsplatz als sogenannter Brandmelder tätig. Dort waren damals schon Wölfe, die oft heulten und deren Trittsiegel ich erkannt habe. Als Zootechniker kannte ich daher die Spuren. Es war aber nie beängstigend. 2003 habe ich dort in dieser Gegend eine Woche lang im Wald geschlafen und ich lebe noch. Nonnenmacher: Ich habe als Student eine Zeit lang in den USA studiert und war dort auf vielen Trips in den Nationalparks des Westens unterwegs. Dort hatte ich sowohl Bär als auch Wolf in freier Wildbahn erleben dürfen. Für die Wildtiere waren es eher langweilige und von starkem Desinteresse bis hin zur Nichtbeachtung geprägte Begegnungen. Für mich waren es atemberaubende Momente, die ich in meinem Leben nicht mehr missen möchte. Man wird als moderner Mensch wieder etwas geerdet. Diese Tiere symbolisieren Kraft, Freiheit und Seele einer intakten Natur, aus der auch wir Menschen kommen. Das haben wir jedoch vergessen.

Wenn ein Wolf durch die Wälder in der Region streift – freut Sie das?

Schmiedel: Was heißt freuen? Sie gehören so wie Rot-, Reh- und Schwarzwild zu unserer Natur. Wenn ich höre, wie viele Bauern oder Forstleute über das Schwarzwild schimpfen und die Schäden betiteln, da ist es schon gut, dass Wölfe als Regulator wieder zurückkommen.

Nonnenmacher: Genau die Emotionen von uns Menschen machen die Diskussion um den Wolf auf beiden Seiten so abstrus und gefährlich. Der Wolf ist kein Kuscheltier, aber auch keine blutrünstige Bestie. Wir müssen den Wolf als das betrachten, was er ist: Ein Wildtier, das seinen Platz in unserer Welt genauso verdient hat wie jedes andere Lebewesen auch. Gerade unsere moderne Gesellschaft hat meiner Meinung nach in diese Richtung die Chance, einiges wieder gutzumachen. Natürlich wird es mit dem Wolf Konflikte geben, die wir als Gesellschaft lösen müssen. Als Jäger respektiere ich den Wolf als Jagdgenossen. Er macht ja nichts anderes als ich auch. Durch seine spezialisierten Sinne kann er jedoch besser ansprechen als wir Jäger. Als Nahrungsopportunist sucht er sich die schwachen und kranken Wildtiere ganz gezielt heraus. Unnötig Energie zu verschwenden, kann für ihn tödlich sein. Als Konkurrenten betrachte ich ihn nicht. Untersuchungen in den Wolfsgebieten der Lausitz haben deutlich gezeigt, dass es keine großen Auswirkungen auf die Abschusszahlen hatte. Nach einer Gewöhnungsphase des Wildes bringt der Wolf unsere Jagden nicht groß durcheinander, dazu sind die Reviergrößen der Wölfe auch viel zu groß. Bei Drückjagden empfiehlt sich allerdings ein speziell angepasster Schutz für die Hunde. Zum Schutz gegen Schwarzwild machen alle verantwortlichen Jäger dies ja auch. Im Hinblick auf die drohende Afrikanische Schweinepest könnte der Wolf ebenfalls behilflich sein. Wir sollten nicht vergessen, dass Mensch und Wolf eine lange gemeinsame Geschichte haben. Zu Beginn dieser Geschichte haben wir nämlich zusammen gejagt.

Muss man sich als Spaziergänger im Wald oder Forstarbeiter Sorgen machen?

Schmiedel: Nach unseren langjährigen Erfahrungen mit Wölfen in den naturnahen Freianlagen sind diese Tiere ängstlich und können schon mit einem Händeklatsch vertrieben werden. Wildschweine im Wald sind weitaus gefährlicher. Nonnenmacher: Als Jäger habe ich vor aufgebrachtem Schwarzwild deutlich mehr Respekt als vor einem Wolf.

Was passiert, wenn Mensch auf Wolf in freier Wildbahn trifft?

Schmiedel: Es passiert eigentlich nichts. Jungwölfe sind eher neugierig und verspielt und reagieren nicht wie Altwölfe, die wesentlich scheuer und zurückhaltender sind.

Wie soll man sich verhalten?

Schmiedel: Selbstbewusst und bestimmend auftreten, ein lautes Rufen, Klatschen. Auf keinen Fall wegrennen oder die Flucht ergreifen. Auch kein Futter anbieten, das führt zur Fehlprägung.

Wird sich ein Wolf auch in Siedlungen trauen, wenn er Hunger hat?

Schmiedel: Möglich ist alles, das kann keiner vorhersagen. Ist aber auch kein Problem, denn Konfrontationen mit Menschen, die es nun mal in Siedlungen mehr als im Wald gibt, mag der Wolf nicht. Er wird schnell verschwinden, wenn man sich so verhält, wie eben erklärt. Nonnenmacher: Bei unseren osteuropäischen Nachbarn gibt es viele Siedlungsgebiete, die unserer Dichte entsprechen. Die Menschen dort leben problemlos mit Wolf und Bär zusammen. Es ist dort Alltag. Natürlich müssen wir uns da etwas bewegen. Man denke zum Beispiel nur an unsere gelben Säcke, die jetzt schon viele Wildtiere wie Füchse und Marder in die Siedlungen ziehen. Dort haben die Menschen das Zusammenleben mit den großen Beutegreifern eben nie verlernt. Wir schon. Und das sollten wir schleunigst wieder lernen. Dies ist neben dem Tierschutzgedanken auch ein Hauptanliegen in unseren Projekten: den Menschen durch Wissen bestehende Ängste zu nehmen. Wir Deutsche sind hier mit unserer "German Angst" wohl auch besonders anfällig.

Sie empfehlen ein Wildtier-Management. Klingt hochtrabend. Was soll das sein?

Schmiedel: Das ist nicht hochtrabend, sondern recht einfach. In Deutschland sind seit dem Jahr 2000 die Umwelt- oder Landwirtschaftsministerien der Bundesländer informiert und beauftragt, Managementpläne zu entwickeln. Damit ist auch Baden-Württemberg gemeint. Außer einen Handlungsleitfaden für durchziehende Wölfe hat Baden-Württemberg, im Vergleich zu anderen Bundesländern, nicht viel vorzuweisen. Es ist auch beschämend, wenn aktuell der Nabu-Chef im Land auf den Wolf verzichten will, weil er angeblich viel Ärger macht und Konflikte schürt. Man staune. Der Nabu hat an diesem Handlungsleitfaden Wolf für Baden-Württemberg doch mitgearbeitet. Wer hat denn nun Interesse, ordentliches Wildtiermanagement umzusetzen, wenn diese Widersprüche schon öffentlich ausgetragen werden? Wenn das Land ein gutes Management entwickeln will, sollte es Kooperationen mit NGOs (Nichtregierungsorganisationen, Anmerkung d. Red.) stärker anstreben und sich darauf konzentrieren, wirksamen Herdenschutz zu fördern. Einen ganz wichtigen Punkt sehen wir aber auch in einer seriösen Pressearbeit. Als Tierschutzorganisation bedauern wir jeden Verlust eines Tieres, auch der Schafe in Bad Wildbad oder dem Sika- und Rotwild in Rippoldsau-Schapbach. Doch was aus dem Vorfall für Schlagzeilen gemacht werden, ist einfach Hysterie und wenig Sachlichkeit. Wir werden einen Wolf nicht zum Vegetarier erziehen. Über den Jagdtrieb eines Fuchses oder Marders in einem Hühnerstall wird hingegen nicht berichtet. Weil jeder weiß, wenn das passiert, hat der Hühnerhalter seine Pflicht nicht erfüllt. Jeder Tierhalter ist für den Schutz seiner Tiere selbst verantwortlich. Schon diese kleinen Maßnahmen sind Management. Man sollte sich deshalb nicht an Begrifflichkeiten orientieren, sondern gut und richtig handeln, um die Gefahr von Verlusten auch der Nutztiere einzuschränken. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es aber nicht.

Was glauben Sie, was mit dem "Individuum GW 852m" passiert? Dasselbe wie mit "Problembär Bruno"?

Schmiedel: Diese beiden Fälle miteinander zu vergleichen, ist absurd. Dieser Wolf war und ist nicht auffällig, er hat die Schwachstellen von uns Menschen genutzt. Wir sollten zwölf Jahre nach Brunos Abschuss schon weiter sein als nur bei dem Gedanken des Tötens. Raubtiere werden nun mal nicht zu Haustieren. Im Bärenpark können wir Bären, Wölfe oder Luchse nicht streicheln, nur weil sie Menschen gewohnt sind. Es sind Wildtiere, deren Existenz und ihren Instinkt wir zu tolerieren haben. Bienen werden auch nicht abgeschafft, nur weil sie einen Stachel haben und sensible Menschen gefährden könnten. Wir müssen alle wieder lernen, die Natur zu verstehen und zu akzeptieren. Das ständige Regulieren der Natur wird sich bitter rächen.

Bienen reißen aber keine halbe Schafherde wie in Bad Wildbad.

Nonnenmacher: Aber durch Bienen und Wespen sterben mehr Menschen als durch den Wolf. 18 Menschen bei Insektenstichen, beim Wolf Null. Das meinte ich mit Verhältnismäßigkeit. Wenn wir dann noch den Straßenverkehr hinzunehmen, brauchen wir nicht weiter diskutieren. Oder nehmen Sie Hundeangriffe. Deshalb schaffen wir nicht alle Hunde ab. Das sind alles Gefahren, mit denen wir ganz alltäglich leben. Wenn wir die zehn gefährlichsten Tiere Deutschlands anschauen, findet man den Wolf darin nicht, aber Zecken auf Platz eins, Wildschweine auf Platz drei und Kühe auf Platz sieben. Es gibt jedoch hier kein so ein mediales Echo wie beim Wolf. Weil es eben Alltag ist. Wenn wir diese Verhältnismäßigkeit bei den Nutztieren anlegen, wäre es interessant zu erfahren, wie viele Nutztiere durch Totgeburten, Seuchen wie die Geflügelpest, Krankheiten oder Transport für die Halter verloren werden. Aber da ist das öffentliche Interesse ebenfalls verhalten.

Ist das nicht ein atypisches Verhalten für einen Wolf?

Schmiedel: Es ist kein atypisches Verhalten für den Wolf, wenn er auf eine Schafherde trifft, die nicht hinreichend gesichert ist. Dann bricht Panik unter den Tieren aus. Dann lösen die kopflos durcheinanderrennenden Schafe, die durch die Einzäunung auch nicht richtig flüchten oder sich als Herde artentsprechend verhalten können, beim Wolf Instinkte aus, wie wir sie von Hunden oder anderen Wildtieren wie dem Fuchs im Hühnerstall auch kennen. Das ist nicht ungewöhnlich. Wenn so viele Schafe getötet werden, ist das für uns emotional natürlich schwer erträglich, und das Bild ist erschreckend. Deshalb hilft nur ein effektiver Herdenschutz, damit der Wolf von Anfang an lernt: Nutztiere zu jagen, ist zu aufwendig. Dieser Herdenschutz muss von Politik und Gesellschaft unterstützt und getragen werden. Die Einrichtung des 60-Kilometer-Wolfsgebiets bei Bad Wildbad geht zumindest in die richtige Richtung, auch wenn wir damit wieder zu spät dran sind. Seit 2016 wissen wir, dass wieder Wölfe durch Baden-Württemberg ziehen. Es zeigt aber auch, wie weit wir noch von einem effektiven Management weg sind. Der Wolf wird nämlich nicht wissen, wann er diese Grenze von 60 Kilometern überschreitet.

Seite 2: Infos zur Person

Rüdiger Schmiedel , Jahrgang 1954, ist Geschäftsführer der Stiftung für Bären und Gründer der beiden Bärenparks in Worbis in Thüringen sowie in Bad Rippoldsau-Schapbach. Er ist verheiratet, wohnt in Freudenstadt, Zootechniker sowie Diplom-Ingenieur/Ökonom.

Bernd Nonnenmache r ist 44 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn (13). Er stammt aus Rottenburg und wohnt dort auch. Er ist Parkleiter im Alternativen Wolf und Bärenpark Schwarzwald, war zuvor Unternehmensberater. Er hat seit acht Jahren den Jagdschein.