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AOK-Geschäftsführer Keller über Kosten und Erkenntnisse aus der Corona-Krise.

Nordschwarzwald - Die Corona-Krise belastet auch die Krankenkassen. Was bleibt an Erkenntnissen und Kosten, was von Vereinfachungen durch Digitalisierung? Wir fragten Hartmut Keller, Geschäftsführer der AOK Nordschwarzwald.

Herr Keller, haben Sie sich selbst auf Covid-19 testen lassen?

Nein, es bestand noch nicht die Notwendigkeit. Dieser Test wird sicherlich wo anders dringender gebraucht.

Die Stilllegung der Wirtschaft brachte viele Unternehmen in Finanznöte, Kassen stunden im Notfall Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung. Wie viele Außenstände hat die AOK Nordschwarzwald aktuell?

Das ist richtig, wir wollten so die Unternehmen und Selbstständigen stützen und damit zahlungsfähig halten. Es haben in Baden-Württemberg rund 20 000 Arbeitgeber von der Stundungsmöglichkeit Gebrauch gemacht. Das Stundungsvolumen beträgt für den April 2020 167 Millionen Euro. Aktuell laufen über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gespräche, dass die Stundungsregelung bis Juni 2020 verlängert wird sowie eine Zahlung der gestundeten Beiträge auf Raten erfolgen kann.

Wie halten sich die Krankenkassen in dieser Lage selbst flüssig?

Die Krankenkassen erhalten die Beiträge direkt von den Arbeitgebern, leiten sie aber tagesaktuell an den sogenannten Gesundheitsfonds weiter. Aus dem Fonds erhalten wir dann nach einem festgelegten Schema wieder Geld zurück. Hier spürt man nun schon erste Auswirkungen, indem teilweise niedrigere Zuweisungen erfolgen.

Wird es nach Corona zu einer Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge kommen?

Diese Frage kann ich leider nicht beantworten. Die Coronagesetze der vergangenen Wochen sind teuer und belasten die Finanzen aller Krankenkassen. Hinzu kommt, dass wir aktuell viele versicherungsfremde Leistungen finanzieren. Zu nennen sind hier ganz aktuell präventive Untersuchungen auf das Coronavirus ohne Krankheitsverdacht. Dafür braucht es eine Refinanzierung oder wie es aktuell heißt, einen Rettungsschirm aus Steuergeldern. Sollte dies nicht so kommen, kann es auf breiter Front zu Beitragssatzerhöhungen bei allen Kassen kommen.

Was hat die Krise die AOK Nordschwarzwald bislang gekostet?

Das lässt sich aktuell so gar nicht beziffern. Ich denke aber, dass am Ende ein hoher Betrag stehen wird.

Was halten Sie von Massen-Tests auf eine Ansteckung hin?

Dort, wo er geboten ist, also in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Praxen, ist es sinnvoll und muss routinemäßig immer wiederholt werden. Wir müssen für den bestmöglichen Schutz der Beschäftigten in der Pflege sorgen. Darüber hinaus gibt es sicherlich noch Bereiche wie Polizei und Rettungsdienste, wo dies auch erforderlich ist. Aber für Jedermann, denke ich, brauchen wir es nicht. Denn ein Test sagt nur was über den aktuellen Stand aus, der Tage später nicht mehr stimmen muss.

Wie viel kostet eigentlich ein Abstrich pro Patient?

Aktuell geben wir 59 Euro für einen Test aus. Das ist unserer Ansicht nach aber zu hoch. Berechnungen des Spitzenverbandes der Krankenkassen haben ergeben, dass der Test auch mit 15 Euro ausreichend vergütet wäre.

Im Vergleich zu vielen anderen Ländern in Europa und den USA scheint Deutschland mit seinem Gesundheitssystem vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen zu sein. Worauf führen Sie das zurück?

Wir haben frühzeitig mit den Pandemiemaßnahmen begonnen. Wir haben unsere Krankenhäuser mit einer ausreichenden Zahl von Intensivbetten aufgebaut, Besuchsverbote für die Häuser und Pflegeeinrichtungen ausgesprochen und unseren Lockdown rechtzeitig eingeleitet. Ich stelle fest, dass auch die Gesundheitsämter ihren Auftrag perfekt erfüllt haben. So konnten wir die Ausbreitung des Virus’ verlangsamen und heute wieder langsam und schrittweise zur Normalität zurückkehren.

Durch Corona brachen den Kliniken und vielen niedergelassenen Ärzten ein Großteil der Behandlungen in der Regelversorgung und damit Einnahmen weg. Lässt sich das kompensieren oder droht ein Praxensterben in der Region?

Nein, ein Praxissterben droht nicht. Niedergelassene Ärzte sowie Psychotherapeuten werden bei einer zu hohen Umsatzminderung aufgrund einer geringeren Inanspruchnahme durch Patienten mit Ausgleichszahlungen sowie mit zeitnahen Anpassungen der Honorarverteilung geschützt. Dies wurde im Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz geregelt.

Durch die Pandemie wurden Abläufe vereinfacht, etwa der kulante Umgang mit Krankschreibungen bei Infektbeschwerden oder Bescheinigungen, die per Smartphone eingereicht werden können. Was davon wird bleiben?

Für meine AOK kann ich sagen, Bescheinigungen per Smartphone einzureichen, wird auf jeden Fall bleiben. Dies war auch vor der Pandemie über die AOK-App möglich. Rezepte per Post, Telefonkonsultationen oder Videosprechstunden. Es gibt aktuell viele Möglichkeiten, Patienten zu versorgen, ohne dass sie in die Praxis kommen müssen.

Welche Lehren ziehen die Kassen aus der Krise?

Das deutsche Gesundheitswesen war im Großen und Ganzen gut gerüstet. Wir müssen uns unsere Abhängigkeiten von Partnern außerhalb Europas anschauen und dort vielleicht Änderungen herbeiführen. Auch sollten wir uns um unsere Pflegekräfte noch besser kümmern. Sie sind und waren das Rückgrat in der Krise.

Ist die Pandemie, rein aus medizinischer Sicht, nach Ihrer Meinung bald ausgestanden?

Ich denke nicht. Derzeit kann diese Frage vermutlich niemand sicher beantworten. Grundvoraussetzung ist es sicherlich, einen geeigneten Impfstoff zu haben. Ich hoffe, dass wir diesen bald haben.