Buhrufe und Applaus halten sich bei Veranstaltung in Ottenhöfen die Waage. Fortsetzung in Baiersbronn.
Ottenhöfen - Es ist vergleichsweise ruhig in Ottenhöfen gestern Abend, kein Vergleich zur Auftaktveranstaltung in Bad Wildbad. Die Landesregierung stellt in dem Luftkurort im Ortenaukreis vor rund 1000 Bürgern das Gutachten zum Nationalpark Nordschwarzwald zur Diskussion. Tumulte gibt es hier nicht, entschiedene Kritik an der Landesregierung gleichwohl.
Zwei Hundertschaften Polizei, wie sie noch vergangene Woche bei der ersten Infoveranstaltung zum Gutachten in Bad Wildbad bereitgestanden hatten, sind es in Ottenhöfen nicht. Rund um die Schwarzwaldhalle zeigen dennoch zahlreiche uniformierte Beamte Präsenz.
Den Eingangsbereich scheinen die Befürworter fest in der Hand zu haben, um dem Ministerpräsidenten und seinem Minister einen freundlichen Empfang zu bereiten. Greenpeace-Aktivisten haben sich mit Transparenten wie "Für mehr Waldschutz, Nationalpark Schwarzwald jetzt" vor dem Eingang postiert.
Doch auch die Gegner sind da. Und: Sie sind nicht zu überhören. Sind die Gäste aus der Landeshauptstadt am Haupteingang noch freundlich begrüßt worden, so erwartet sie in der Halle ein Pfeifkonzert mit lauten Buhrufen. Die Befürworter versuchen vergeblich, den Protest mit Plakaten und Applaus zu relativieren. "Es ist den grünen Herren gerade egal, was aus uns Waldbauern wird", giftet einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sein Bekannter sieht es ähnlich: "Die machen uns den Wald kaputt. Das ist grüne Realpolitik."
Gutachter bereiten für Kretschmann den Boden
Kretschmann und Bonde haben wohl geahnt, dass sie mit viel Gegenwind rechnen müssen. Erst einmal den Dampf der Protestler aus dem Kessel lassen, scheint die Strategie. Das heißt: Zunächst überlassen sie dem Ortenauer Landrat Frank Scherer und den Gutachtern das Feld, bevor sie selbst ans Rednerpult treten.
Landrat Scherer nennt als Ziel des Abends, sowohl Befürwortern, Gegnern als auch den Unentschlossenen Gelegenheit zu geben, zusätzliche Informationen zu bekommen, "um sich eine abschließende Meinung zu bilden." Scherer preist das aus seiner Sicht gerechte Verfahren. Landtag, Kreisverwaltung sowie kommunale Amtsträger seien eingebunden. Viele in der Halle haben einen anderen Eindruck: Sie bezweifeln, dass ihre Argumente ernst genommen werden. Der Ottenhöfener Bürgermeister Hans-Jürgen Decker will die Gemüter hingegen beruhigen: "Nutzen wir die Gelegenheit, uns in einer guten Atmosphäre sachlich darüber zu unterhalten."
Liegt es letztlich an der Region oder an der Person? Bei Kretschmann in Ottenhöfen gehen viele Buhrufe und Pfiffe dann doch im Applaus der Befürworter unter. Parteifreund Bonde, der Agrarminister, hatte nur wenige Tage zuvor in Bad Wildbad einen ungleich schwierigeren Stand.
Der Ministerpräsident selbst lässt überdies keinen Zweifel an seiner Haltung aufkommen. Das Gutachten zeige "für die Region eine Vielzahl von Chancen", sagt er: "Ein Nationalpark macht ökologisch und ökonomisch Sinn". Und typisch Kretschmann wird es dann gleich ganz grundsätzlich. Die Landesregierung wolle mit dem Nationalpark "dem Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung nachkommen".
Als später beim Stichwort Bürgerbeteiligung das Pfeifkonzert wieder anschwillt, wendet sich Kretschmann an die Gegner. "Mich würden Ihre Verbesserungsvorschläge interessieren", ruft er ihnen zu. Er sei aber auch Realist genug zu wissen, dass Grün-Rot mit dem Park nicht alle Kritiker überzeugen könne.
Dazu dürften die Nationalparkgegner zählen, die dem Projekt absolut nichts abgewinnen können. Deren Enttäuschung bringt die Aufschrift eines Protestplakates zum Ausdruck: "Wo bleibt das Gehörtwerden. Wo bleibt die Wahrheit der Regierung?"
Eine Bürgerin aus Baiersbronn sagt ihre Meinung unverblümt: Fehlentscheidungen der Politik müsse doch "nur die Bevölkerung ausbaden". Doch der Regierungschef bleibt die Antwort nicht schuldig: "Wir können die Dinge nur durchdenken und alle Gefahren berücksichtigen", sagt er. Beim Nationalpark freilich erfinde die Landesregierung "das Rad nicht neu". Vielmehr sei der Südwesten eines der letzten Bundesländer, das keinen Nationalpark aufweist. Und wieder in Prinzipielle gerichtet: "Auch wenn man nichts macht, kann das ein Fehler sein. Deshalb müssen wir Neues wagen".
"Wenn das Gutachten da ist, komme ich wieder", hatte der Ministerpräsident den Projektgegnern bereits im November 2012 versprochen, als er an einem nebeligen Regentag den Ruhestein besuchte – das bislang größte Teilgebiet im Suchraum für einen Nationalpark im Nordschwarzwald. "Man muss den Nebel immer durchdringen", sagte Kretschmann damals mit Blick auf die hitzig geführte Debatte rund um das Parkprojekt.
Nimmt man die Auftaktveranstaltung zur Gutachtenpräsentation in Bad Wildbad als Maßstab, ist das der grün-roten Landesregierung bis heute nicht wirklich geglückt. Denn für Agrarminister Alexander Bonde wurde die Informationsveranstaltung im sonst so idyllischen Kurort im Kreis Calw zum Spießrutenlauf. Den Minister erwarteten in der 7500-Einwohner-Stadt statt Wellness Pfeifkonzerte und Buhrufe aufgebrachter Nationalparkgegner.
Ähnliches wird für die Veranstaltungen heute vorausgesagt, wenn Bonde das Gutachten in Freudenstadt und Baiersbronn vorstellt. Vor allem die Feriengemeinde im Murgtal gilt als Hochburg des Nationalparkprotests. Dort hat sich schon früh Widerstand gegen das geplante 10 000 Hektar große Naturschutzgebiet geregt, denn mit dem Nationalpark komme nicht der Aufschwung in die Region, sondern die Borkenkäferplage, die kahl gefressene Wälder hinterlässt, fürchten die Kritiker.
Im Murgtal hat der Streit um das Schutzgebiet sogar Familien entzweit
Die vielen Anti-Nationalparkschilder und -Autoaufkleber sind in einigen Murgtal-Gemeinden zwischenzeitlich nicht mehr zu übersehen. Die Projektbefürworter, die sich im Freundeskreis "Nationalpark Schwarzwald" zusammengeschlossen haben, tun sich schwer, gegen die Vehemenz der Gegner anzukommen. "Hallo ihr Lügner, am Mittwoch sehen wir uns", so ein Beitrag auf der Facebook-Seite des Freundeskreises. Vor der Veranstaltung in Bondes Heimat Baiersbronn mangelt es also nicht an Konfliktstoff.
Schwer tun sich in Baiersbronn bislang vermittelnde Positionen, wie etwa das "Forum der Mitte". Vielmehr kommt es immer wieder zu teilweise boshaften und giftigen Zuspitzungen, durchaus auch zu persönlichen Anfeindungen. Zum Teil geht der Riss mitten durch Familien; ständig wird gestritten, wer wann was über wen möglicherweise in Umlauf gesetzt hat.
Ob die Gegner tatsächlich in der Mehrheit oder nur lautstarke Minderheit sind, wird sich bei den geplanten Bürgerbefragungen zum Nationalpark zeigen, die in einigen Gemeinden des Suchraums am 12. Mai stattfinden werden. Eine Forsa-Umfrage, die die Umweltschutzorganisation Greenpeace in Auftrag gegeben hatte, lieferte im Dezember vergangenen Jahres jedenfalls ein deutliches Ergebnis: Demnach sind 65 Prozent der Bevölkerung in den Kreisen Freudenstadt, Calw, Ortenau und Rastatt für die Einrichtung eines Nationalparks.
Doch letztlich sind die Bürgerbefragungen zwar eine Anhörung, aber keine Erhörung, denn das letzte Wort hat in Sachen Nationalpark die Landespolitik. Da hat Kretschmann mit Blick auf die nationale Bedeutung eines Nationalparks schon bei seiner Wanderung auf dem Ruhestein Pflöcke gesetzt: "Wir diskutieren mit der Bevölkerung vor Ort auf Augenhöhe, binden sie in Arbeitskreisen zum Projekt ein und lassen ein Gutachten erstellen. Aber entschieden wird die Sache im Landtag, da muss man nicht lange rummachen, das ist klar sortiert", hatte der Landesvater damals bereits klargestellt. Das kam bei den Parkgegnern nicht gut an. Die Landesregierung habe sich längst vorfestgelegt, wurde bemängelt, wirkliche Bürgermitwirkung gehe anders.