Begeisterung sieht anders aus: CDU-Anhänger bei den ersten Hochrechnungen Foto: Buckenmaier

CDU und SPD im Schockzustand. Abgeordnete muss um Wiedereinzug bangen. Grenzenloser Jubel bei der AfD.

Kreis Calw/Freudenstadt - Nur eine Partei im Wahlkreis feierte gestern Abend ihre Party inkognito, aber dafür umso euphorischer. Beobachtungen vom Wahlabend.

Kurz vor 18 Uhr hofft der Calwer CDU-Kreisvorsitzender Thomas Blenke mit Blick auf die ersten TV-Hochrechnungen auf "ein Ergebnis, das uns ein Lächeln ins Gesicht zaubert". Doch dann versteinern die Mienen von Blenke und seinen Getreuen im "Löwen" in Oberhaugstett. Knapp 33 Prozent für die Union. Blenke ringt um Worte: "schockierend". Mit "35 plus X" hatte er kalkuliert. Aber mit einem so desaströsen Abschneiden habe niemand nach diesem kräftezehrenden Wahlkampf mit 12 000 Hausbesuchen gerechnet: "Ich glaub’ schon, dass wir das Ohr am Volk haben." Umso unerklärlicher ist für ihn das Abschneiden der AfD. Ihm graust’s jetzt schon vor den siegestrunkenen "feixenden AfD-Abgeordneten" am Mittwoch im Landtag. Aber der SPD gibt er auch noch eine mit. Dass sie kurz nach 18 Uhr eine Koalition mit der Union ausschließt, ist für den CDU-Kreischef "unsäglich".

Ein Kilometer weiter hätten die Grünen im Kreis ob des leichten Zugewinns ihrer Partei auf Bundesebene eigentlich Grund zur Freude. Aber vor allem der AfD-Erfolg drückt auf die Stimmung in der Kegelbahn des "Rössle". Die Grünen, meint Bundestagskandidat Andreas Kubesch, würden eh "meistens in sich gekehrt und selten euphorisch" feiern. Dafür ist man, was Koalitionen anbelangt, um so pragmatischer. Zur einzigen Alternative einer Großen Koalition sagt Kubesch: "Das ist die Kraft des Faktischen." Jamaika-Bündnis mit Union und FDP – warum auch nicht? Zuerst, sagt Rolf Linke, Kreisvorsitzender aus Freudenstadt, müsse aber ein Bundesparteitag darüber entscheiden. Aber in Baden-Württemberg, unterstreicht Kubesch, "haben wir doch schon gezeigt, dass wir’s können."

Frenetischer Jubel bei AfD

Frenetischer Jubel derweil bei der AfD-Wahlparty im Nagolder Gasthof Adler, als um Schlag 18 Uhr die erste Prognose über die Ticker geht. "Zehn Prozent plus", hatte Günther Schöttle, Vorstand des AfD-Kreisverbandes, kurz zuvor als Wunschziel genannt. Tatsächlich gewinnt die AfD den Wettstreit der "kleinen" Parteien und zieht mit "13 plus" Prozent an den Grünen, den Linken und der FDP vorbei. Und noch einmal kennt der Jubel kein Halten – als AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland vor die Presse tritt und auch im Adler auf dem riesigen Bildschirm präsent ist. "Wir werden Frau Merkel jagen und unser Land zurückholen", sagt Gauland in die Kameras.

Die Sektkorken knallen, "Adler Hausmarke". Allein der AfD-Direktkandidat für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt, Uwe Burkart, wirkt etwas reserviert, kommt noch nicht so ganz aus sich heraus – trotz des tollen Ergebnisses für seine Partei. Seine nüchterne Bewertung: "Ich hatte mit einer Verdoppelung unseres Ergebnisses gegenüber der letzten Bundestagswahl gerechnet – jetzt ist es sogar noch ein bisschen besser geworden."

Doch jetzt ist erst mal Party angesagt. "Wahnsinn, so sehen Sieger aus!", sagt einer aus der knapp 50-köpfigen Gesellschaft.

Lange Gesichter bei der SPD, als der ARD-Trend 20 Prozent meldet. Die Abgeordnete Saskia Esken war schon mit einem sichtlich flauen Gefühl ins "Schwarze Schaf" nach Ottenbronn gekommen. Viel mehr als 21 Prozent hat sie kurz vor Schließung der Wahllokale für die Sozialdemokraten nicht erwartet.

Auch die FDP hat Grund zum Feiern

Noch bevor der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann den Gang seiner Partei in die Opposition ankündigte, wollte Esken von einer erneuten großen Koalition nichts mehr wissen: "Dann sind wir das nächste Mal bei 15 Prozent."

Für Esken wird es mit dem Wiedereinzug in den Bundestag knapp. Bei bundesweit gut 20 Prozent für die SPD geht man von 15 Abgeordneten aus Baden-Württemberg aus. Sie hat Listenplatz 15.

Gemischte Gefühle treiben gestern Abend die Kandidatin der Linken, Lorena Müller, um. "Wir haben das beste Ergebnis für die Linke überhaupt geholt. Aber als dann die ersten Hochrechnungen mit dem Abschneiden der AfD eingingen, herrschte blankes Entsetzen im Saal", so die 19-jährige Kandidatin. Was Gauland von sich gegeben habe, mache ihr "Angst". Die Stimmung auf der Feier beschreibt sie als "angespannt". Das Ende des Wahlkampfs feiert die junge Altensteigerin und die Anhänger der Linken gemeinsam mit den Kollegen in Böblingen. Persönlicher Erfolg für Müllner: Im Vergleich zur Wahl in 2013 sei es ihr gelungen, das Ergebnis nahezu zu verdoppeln.

Entspannt-freudige Stimmung bei der Wahlparty der Kreis-FDP im Schiff in Horb. Kurz nach 19.30 Uhr lobt Kreisvorsitzender Timm Kern (auch parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion) den Kandidaten Lutz Hermann: "Für die FDP ist der Wiedereinzug in den Bundestag das größte Comeback seit Lazarus. Lutz, Du hast auch Dein Teil dazu geleistet." Hermann gibt sich entspannter: "Ich bin absolut zufrieden. Die Erststimmen-Ergebnisse, die ich bisher habe, zeigen, dass ich es als Neuling in der Szene nicht schlecht gemacht habe."