Das Bild zeigt das Fabrikgebäude der "Luftfahrtgeräte GmbH" in Calw. Foto: Kreisarchiv

Kreisarchivar ergänzt Ausstellung zu KZ Natzweiler. 200 Jüdinnen mussten in Hesse-Stadt schuften. Mit Karte

Nordschwarzwald - "Freiheit – so nah, so fern" heißt eine Ausstellung über das Konzentrationslager Natzweiler und seine Außenstellen, von denen sich eine in Calw befand. Ab Februar ist die Ausstellung mit zusätzlichen Informationen im Landratsamt Calw zu sehen.

Auch für die knapp 200 Jüdinnen, die später in Calw zur Produktion von Teilen für Jagdflugzeuge gezwungen werden, beginnt alles auf der berüchtigten Rampe in Auschwitz. Allein im Sommer 1944 werden hier fast 500.000 Juden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die einen gelten als "arbeitsfähig", die anderen werden sofort ermordet. Zu Tausenden schicken die Nazis Schwangere, Kinder, kranke und alte Menschen Tag für Tag meist direkt nach der Ankunft in die Gaskammern.

Hintergrund ist zu dieser Zeit das "Unternehmen Margarethe", mit dem die deutsche Wehrmacht im März 1944 mit der Besetzung Ungarns beginnt. Allein aus ungarischen Ghettos werden in der Folge ab Mitte Mai hunderttausende Juden nach Auschwitz deportiert. Über einen Zeitraum von rund drei Monaten schaffen die Nazis so viele Menschen in das Vernichtungslager, dass die tödliche Effizienz der Mordmaschinerie ins Stocken gerät. Provisorische Gaskammern aus dem Jahr 1942 werden wieder in Betrieb genommen. Weil die Krematorien wiederholt wegen Überlastung ausfallen, werden Zehntausende Tote in offenen Gruben verbrannt.

Rund 160 ungarische und 40 polnische "arbeitsfähige" Jüdinnen entkommen in dieser Zeit der Hölle von Auschwitz. Sie werden am 14. September 1944 ins Arbeitslager Rochlitz in Sachsen gebracht.

Dort müssen die Frauen in einem Steinbruch arbeiten, bevor es weiter nach Calw geht. Das berichtet Kreisarchivar Martin Frieß. Er hat zur Wanderausstellung der Landeszentrale für politische Bildung recherchiert und sie um Texte und Bilder zu den beiden Außenlagern im Kreis Calw ergänzt. Frieß spricht von "spärlichen Quellen", konnte aber fünf zusätzliche Ausstellungstafeln zu den KZ-Außenkommandos in Höfen und Calw zusammenstellen. Bei den Recherchen geholfen hat laut Frieß das Material des "Arbeitskreises lokale Zeitgeschichte Calw". Auch im Buch "Von Auschwitz nach Calw" von Josef Seubert ließen sich wertvolle Informationen zu dem Thema finden, so Frieß.

Von dem Außenkommando in Höfen sei bis vor kurzem so gut wie nichts bekannt gewesen: Nachdem das Daimler-Benz-Werk in Gaggenau bei Luftangriffen im Herbst 1944 stark getroffen wurde, wird die Lkw-Produktion auch ins untere Eyachtal verlagert. Unter dem Tarnnamen "Dachsbau" soll dort ein Arbeitslager errichtet werden. Ab November arbeiten im Eyachtal 350 Männer, 320 davon sind ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, davon waren 240 Russen.

"Als die Alliierten auf ihrem Vormarsch kurz vor dem KZ Natzweiler standen, wurden Außenstellen im ganzen Südwesten eröffnet", sagt der Kreisarchivar über das Konzentrationslager im Elsass.

Die Westalliierten befreien das KZ Natzweiler im November 1944, dafür werden neue Lager östlich des Rheins errichtet. Vor allem in der Nähe von Rüstungsbetrieben entstehen neue Lager – Calw ist zu dieser Zeit Standort der "Luftfahrtgeräte GmbH".

Dort beginnen laut Frieß im Januar 1945 die knapp 200 Jüdinnen mit der Zwangsarbeit. Rund 380 ausländische Zwangsarbeiter – vorwiegend Kriegsgefangene – sind zu diesem Zeitpunkt schon in Calw.

Die Frauen entgehen somit der Vernichtungsmaschinerie der Nazis; lediglich eine stirbt an der Infektionskrankheit Typhus. Zu diesem späten Zeitpunkt des Krieges wird jede Arbeitskraft für die Rüstungsproduktion gebraucht; Effizienz ist wichtiger als das ursprüngliche Motto – "Vernichtung durch Arbeit" – des nationalsozialistischen Lagersystems.

Elf bis zwölf Stunden täglich an der Maschine

Dennoch klingen die Bedingungen nach unfassbarer Qual: Elf bis zwölf Stunden täglich werden die Frauen gezwungen, stehend an Maschinen zu arbeiten, erzählt Frieß. In einer abgedunkelten Fabrikhalle, in der sie auch schlafen müssen. Bis zum Beginn des "Evakuierungsmarschs", so die zynische Bezeichnung der Nazis, im April – also gut vier Monate lang – sehen die Frauen so gut wie kein Tageslicht, so Frieß. Im April 1945 steht die Wehrmacht bereits kurz vor der Kapitulation, die Alliierten sind nur noch wenige Kilometer von Calw entfernt. Wie in vielen anderen deutschen Lagern müssen die Häftlinge nun auch hier zu Fuß aufbrechen. "20 kranke Frauen wurden per Lkw nach Dachau verfrachtet", erklärt der Kreisarchivar. Was mit ihnen danach passiert, ist bis heute unbekannt.

Bekannt ist dagegen, dass Dachau zu dieser Zeit auch das Ziel eines anderen Transports der Nazis ist: des berüchtigten "Todeszuges" aus Buchenwald; ein weiteres Beispiel für die Grauen erregenden Verbrechen, die selbst in den letzten Tagen des Krieges noch verübt werden.

Am 7. April pferchen die Nazis unweit des Konzentrationslagers Buchenwald fast 4500 Menschen in Waggons. Eigentlich soll der Transport die Häftlinge ins KZ Flossenbürg bringen, das zu dieser Zeit jedoch bereits von der US-Armee eingenommen wurde. Die Reise dauert somit 21 Tage. Vorgesehen waren 24 Stunden. Nur zwei Mal bekommen die Häftlinge etwas zu essen; Hunger und Typhus fordern Tausende Todesopfer, andere werden von SS-Männern ermordet. Als amerikanische Soldaten am 29. April 1945 das KZ in Dachau befreien, finden sie in dem Zug, der am Tag zuvor dort ankam, nur noch etwa 800 Überlebende zwischen rund 2360 Toten.

Die Frauen, die aus Calw "evakuiert" wurden, treiben SS-Leute unterdessen – vor allem nachts, zum Schutz vor Fliegerangriffen – über Tübingen, Talheim, Gerstetten und Ulm in die Nähe von Füssen ins Allgäu. In Seuberts Buch ist von täglich knapp 30 Kilometer langen Märschen die Rede, auf denen die unterernährten Frauen meist barfuß unterwegs gewesen seien und unter anderem rohe Kartoffeln und Schnecken gegessen hätten.

Befreiung am 29. April 1945 im Allgäu

Als historisch gesichert gilt laut Frieß, dass die Frauen zwei Nächte im April in einer Scheune bei Tübingen verbrachten. Dort schrieben sie auf einen Balken das Datum und ihre Namen auf. Eine Bauersfrau fand den Balken 40 Jahre später, und ein Historiker konnte nachweisen, dass die Botschaften von den Jüdinnen stammen, die in Calw inhaftiert waren.

Am 29. April werden die knapp 180 verbliebenen Jüdinnen, die im Calwer Arbeitslager schuften mussten, schließlich befreit – wenige Tage vor dem Kriegsende in Europa am 8. Mai. "Aber Viele konnten auch nach dem Krieg nicht nach Hause", erinnert Frieß, "sie haben ihren ganzen Besitz verloren, und es herrschte immer noch Antisemitismus. Deswegen sind auch Viele nach Israel und in die USA ausgewandert".

Die Ausstellung "Freiheit – so nah, so fern" wird am Donnerstag, 1. Februar, ab 18.30 Uhr im Foyer Haus A des Calwer Landratsamts eröffnet. Dort kann sie bis zum 9. März zu den üblichen Öffnungszeiten des Landratsamts besichtigt werden, der Eintritt ist frei. Zur Eröffnung am Donnerstag sprechen Arno Huth von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz und Kreisarchivar Martin Frieß. Der Künstler Wolfram Isele stellt das Relief vor, das er zur Erinnerung an das Calwer Arbeitslager geschaffen hat.

Zudem finden im Februar und März drei begleitende Vorträge am Ort der Ausstellung statt. Am 8. Februar spricht der Calwer Stadtarchivar Karl Mayer über Georg Wurster, den NSDAP-Kreisleiter in Calw. Am 22. Februar redet Lehrer Gabriel Stängle über Ausgrenzung und Verfolgung von Juden im Kreis Calw zwischen 1933 und 1945. Das Thema des Vortrags von Martin Frieß am 8. März lautet "Vom Reichssicherheitsdienst in ein evangelisches Gymnasium. Die Geschichte des Eugen Steimle in Neubulach". Übrigens: Am 27. Januar ist seit 1996 der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Er ist als Jahrestag bezogen auf den 27. Januar 1945, an dem das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und die beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurden.