Eigentlich wollte Nora Lobenstein unbedingt Balletttänzerin werden. Heute leitet sie die Qualitätskontrolle bei Porsche. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Karriere – und was treibt sie an?
Nora Lobenstein ist vier Jahre alt als sie sich verliebt. Das Mädchen sitzt in einem Theatersaal in Ulm und blickt gebannt auf die Bühne, auf der Tänzerinnen und Tänzer der John Cranko-Schule ihr Können zeigen. Die Vierjährige ist zu klein, um alles gut sehen zu können, also klettert sie auf die Rückenlehne der Klappstühle und bleibt dort oben sitzen. Nach dem Schlussapplaus sagt sie zu ihrer Mutter: „Das will ich auch machen.“
„An dem Tag habe ich meine Liebe zum Ballett entdeckt“, erinnert sich die heute 43-Jährige. „Für mich war es Leidenschaft und totale Hingabe. Ich habe bis zu viermal wöchentlich Unterricht genommen, meine Mutter war sehr beschäftigt damit, mich zu fahren.“ Das vierjährige Mädchen träumt von einer Karriere als Balletttänzerin. „Neben Talent brauchst du Disziplin“, sagt sie. „Den Willen, bei jeder Drehung noch besser zu werden.“
Eine Knieverletzung stoppt den Traum vom Ballett
Fast 40 Jahre sind seit der Ballettaufführung in Ulm vergangen. Das Orchester, das heute in Nora Lobensteins Leben die Hauptrolle spielt, arbeitet bei Porsche: In der Taycan-Fabrik in Stuttgart-Zuffenhausen kommt es auf den richtigen Ton an – Mitarbeiter in der Produktion öffnen Türen und lassen sie wieder zufallen. Das satte Geräusch muss sich immer gleich anhören. Porsche-Sound.
In der Endkontrolle für die Sportwagen streichen Mitarbeiter mit weißen Handschuhen die Fugen an den Motorhauben entlang, um mögliche Fehler zu entdecken. Nora Lobenstein nickt zufrieden. Alle Handgriffe sind im Werk aufeinander abgestimmt, wie bei einem Orchester, das sich blind versteht. Im vergangenen Jahr wurden hier mehr als 41 000 Taycans hergestellt.
Den Traum von der Ballettkarriere musste Nora Lobenstein wegen einer Knieverletzung aufgeben. Inzwischen bestimmt ein anderer Takt ihr Leben: Lobenstein leitet die Qualitätskontrolle der zugekauften Teile bei Porsche. Reifen, Lenkräder, Leder, Karosserie und Normschrauben – sämtliche Einzelteile, die in einem 911er, einem Panamera oder Taycan verbaut werden, werden von ihr und ihrem Team geprüft. Nora Lobenstein führt rund 100 Qualitätsingenieure. „Ich komme aus einer rosaroten Tutu-Welt, jetzt bin ich hier“, sagt sie lächelnd. Der Wunsch, jeden Tag besser werden zu können, treibt sie weiter an.
Sie spielt Geige und Klavier, Mathematik fällt ihr leicht
Im Alter von drei Jahren wird Nora Lobenstein von einer deutschen Familie in einem Waisenhaus in der südkoreanischen Hafenstadt Busan adoptiert. Sie wächst mit ihrer ebenfalls adoptierten Schwester in einem Dorf in der Nähe von Ulm auf. „Ein Hund, viel Natur, ich hatte eine unbeschwerte Kindheit.“ Neben dem Ballett spielt das Mädchen Geige und Klavier, liest Bücher über griechische Mythen. Die Schule fällt ihr leicht, vor allem Mathematik.
Es schmerzt sie, als feststeht, dass ihr die Ballettkarriere verwehrt bleibt, „aber für mich ist eine neue Tür aufgegangen“. Ende der 1990er-Jahre wächst das Internet aus den Kinderschuhen heraus. „Ich habe nie Computer gespielt, hatte noch nicht mal eine E-Mailadresse“, erinnert sich Lobenstein. Aber nach dem Abitur spürt das Mädchen: „Informatik wird wichtig.“ Sie beginnt ein Studium in Ulm, wenn sie sich bei den Vorlesungen umschaut, sieht sie kaum junge Frauen.
Die Porsche-Philosophie passt zu ihren Ansprüchen
Nach dem Studium beginnt sie in München bei einer Unternehmensberatung, tourt mit ihren Powerpoint-Präsentationen bei Großkonzernen und Mittelständlern, knüpft Kontakte zu Nokia und Daimler-Chrysler. In dieser Zeit lernt sie ihren heutigen Mann kennen. „Irgendwann wollte ich nicht mehr die ganze Woche unterwegs sein – und bei der Arbeit sah ich nie, ob sich meine Empfehlungen später bei den Unternehmen im Alltag bewährten“.
Im Jahr 2008 liest Nora Lobenstein eine Stellenausschreibung, die interessant klingt. Bei Porsche. Sie sieht sich den Autobauer aus Zuffenhausen genauer an, der mit Design und Sportlichkeit betuchte Kunden auf der ganzen Welt anspricht. Für Lobenstein passt die Porsche-Philosophie zu den Ansprüchen, die sie an sich selbst stellt: „Ich wollte dorthin, wo die Latte ganz hoch hängt.“
Porsche auf dem Weg ins Neuland
Als Nora Lobenstein zu Porsche wechselt, spürt die Autobranche, dass eine Revolution bevorstehen könnte: In den USA bringt Tesla den Roadster auf den Markt – als weltweit erstes elektrisches Serienfahrzeug. Auch Porsche macht sich auf ins Neuland, Nora Lobenstein beginnt ihre Karriere in Zuffenhausen im neuen Konzernbereich Elektromobilität. Sie ist „Feuer und Flamme“.
Lobenstein erlebt mit, wie das Unternehmen Dinge über das Autofahren ganz neu lernen muss, die es eigentlich schon längst zu wissen glaubte: Wie genau wollen Menschen elektrisch angetriebene Fahrzeuge in Zukunft nutzen? „Es gab unglaublich viele Fragen, weil wir kaum Erfahrungswerte mit dieser Technologie hatten“, sagt Lobenstein.
„Das war ein Meilenstein für mich“
Die junge Quereinsteigerin entwickelt in dieser Zeit Ideen, die auch im Management auf Gehör stoßen. Lobenstein erhält mehr Verantwortung und trägt dazu bei, dass der Taycan 2021 mit einer 800 Volt-Batterie in Serie gebracht wird, die das schnelle Laden des Fahrzeugs ermöglicht.
„Das war ein Meilenstein für mich“, sagt sie und wirft in der Fabrik an der „Station 0711“ einen prüfenden Blick auf die Karosserie der Autos, die auf den Förderbändern an ihr vorübergleiten. Autonom fahrende Roboter transportieren Bauteile von einer Station zur nächsten. Ein Taycan in der Farbe „Frozen Berry“ rollt vorbei, die Farbe ist vor allem bei asiatischen Käufern sehr gefragt.
Jeden Tag auf Fehlersuche
Rund 700 Millionen Euro investierte Porsche in die Fabrik, dabei entstanden 2500 neue Arbeitsplätze. Auf dem Display eines Monitors steht „Porsche Produktion – wir verwirklichen Träume“. Wer sich diesen Traum erfüllen will, zahlt für einen Taycan in der Basisausstattung knapp 100 000 Euro. Ein Preis, bei dem die Kunden wenig Verständnis haben, wenn das Produkt nicht genau ihren Vorstellungen entspricht.
Dafür steht Nora Lobenstein ein. Sie sucht mit ihrem Team Tag für Tag in allen Bauteilen eines Porsche nach Fehlern. Im vergangenen Sommer ist sie aus der Entwicklung in die Produktion gewechselt und überwacht dort die zugelieferten Bauteile von mehr als tausend Lieferanten aus aller Welt. Lobensteins Auftrag: Sie fahndet nach dem Unperfekten, das dem Versprechen von Porsche im Weg steht, ein perfektes Produkt zu liefern.
Mit dem Rucksack durch Kolumbien und Kuba
Nora Lobenstein ist eine zierliche Frau, die druckreife Sätze spricht. Das hilft ihr, weil sie jeden Tag Menschen damit konfrontiert, dass es ein Problem mit ihrer Leistung gibt, weil ein Kratzer im Lack ist oder der Farbton im Leder nicht der Norm entspricht. „Wenn beispielsweise dem Kollegen in der Montage auffällt, dass sich ein Bauteil aufgrund einer Maßabweichung nicht verschrauben lässt, reklamieren wir den Fehler beim Lieferanten.“ Dabei geht es um Zeit und viel Geld.
Die Porsche-Mitarbeiterin versucht, auch in kritischen Situationen ruhig zu bleiben. „Es hilft, im richtigen Moment mal den Druck rauszunehmen.“ Nora Lobenstein erzählt, dass ihr Mann ihr gleichzeitig Freund und Berater sei, auch in beruflichen Dingen. Mit ihm verlässt sie in ihrer Freizeit die Welt der Zahlen, Verträge und Bauteile, zieht mit dem Rucksack los, durch Kolumbien oder Kuba. „So behalte ich meine innere Stabilität.“
Morgens um sechs den Laptop aufklappen
Die braucht sie an Zehn-Stunden-Tagen, an denen sie kurz nach 6 Uhr morgens ihren Laptop aufklappt. Eine muss bei der Fehlersuche jedes Detail durchdringen, damit das große Ganze gelingt: Das verbindet das Räderwerk einer Autoproduktion mit der Choreografie eines klassischen Balletts. „Dein Erfolg beginnt im Kopf“, sagt Nora Lobenstein. „Wenn du dir beim Tanzen vorstellst, dass du umfällst, dann fällst du auch um. Wenn du dir aber die perfekte Drehung vorstellst, dann wird sie dir gelingen.“
Wissenswertes zu Ausbildung und Verdienst bei Porsche
Ausbildung
Die Auszubildenden starten bei Porsche traditionell mit Kennenlerntagen auf der Schwäbischen Alb ins Berufsleben. Mitte September beginnt dann die fachliche Ausbildung im Zuffenhausener Ausbildungszentrum. Am Porsche-Stammsitz sind auf 14 000 Quadratmetern alle Ausbildungsberufe unter einem Dach untergebracht. Aktuell bildet Porsche in Zuffenhausen 493 junge Menschen in verschiedenen technischen und kaufmännischen Ausbildungsberufen sowie Studiengängen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg aus.
Verdienst
Für Fachkräfte hat das Karriereportal Kununu bei Porsche auf der Basis von knapp 500 Angaben Gehaltsspannen ermittelt. Kfz-Mechatroniker kommen demnach je nach Erfahrung und Aufgabe auf 26 300 bis 48 600 Euro im Jahr.