Foto: dpa/Arne Dedert

Die Biochemikerin Katalin Karikó und ihr Forscherkollege Drew Weissman erhalten den Medizinnobelpreis. In Deutschland wurde die Forscherin vor allem als Mitarbeiterin des Mainzer Unternehmens Biontech bekannt. Zuvor hatte sie auch bei Curevac vorgesprochen.

In einem erheblichen Teil der Menschheit steckt ein bisschen preisgekrönte Forschung: Bis Anfang dieses Jahres wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Impfstoffdosen gegen das Coronavirus verabreicht, ein Großteil davon waren mRNA-Impfstoffe, die entscheidend zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie beigetragen haben. Möglich wurde dies durch die beharrliche Vorarbeit zweier Forschenden der Universität von Pennsylvania, die dafür nun den Nobelpreis für Medizin erhalten haben. Ausgezeichnet wurden die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó und der US-Immunologe Drew Weissman. Sie widmeten sich schon vor mehr als drei Jahrzehnten der Frage, wie sich mithilfe von synthetisch hergestellten RNA-Molekülen Krankheiten behandeln lassen können – verpackt in ein Medikament oder in einen Impfstoff.

 

Die RNA trägt den Bauplan des Lebens

Was sich heute als eines der wegweisenden Forschungsprojekte erweist, wurde von der Wissenschaft lange skeptisch beäugt: Zwar ist die RNA lebenswichtig für den Organismus, nur mithilfe des Moleküls bauen die Zellen aus der Information in den Genen die lebensnotwendigen Eiweiße für einen funktionierenden Körper. Und weil die mRNA auch Baupläne von Viren, Bakterien und Tumorzellen bereitstellt, könnte der Körper etwa mit einer mRNA-Impfung trainiert werden – so die frühe Hoffnung der Forscherin Karikó. Aber weil das Molekül extrem schnell zerfällt und zudem vom Immunsystem angegriffen wird, wenn es von außen in den Organismus gelangt, wurde es für den therapeutischen Einsatz lange Zeit für unbrauchbar gehalten.

Nur wenige Forscher glaubten an das Potenzial

Es waren damals nur wenige, die dennoch an dieser Forschung festhielten: Neben Karikó und Weissman, die zusammen an der Universität Pennsylvania mit dem Molekül arbeiteten, gab es noch den Tübinger Biochemiker Ingmar Hoerr, den Gründer der Firma Curevac, sowie in Mainz die beiden Mediziner Özlem Türeci und Uğur Şahin mit ihrem Unternehmen Biontech. Dazu kam noch der Forscher Derrick Rossi, der Mitbegründer des Start-ups Moderna.

Karikó mit ihrem Forscherkollegen, dem Immunologen Drew Weissman Foto: Penn Medicine/AP/Peggy Peterson

Die Forscher mussten sich mühsam ihr Überleben sichern – durch Auftragsarbeiten, Wissenschaftswettbewerbe und Finanzierungsrunden. In verschiedenen Interviews erinnert Katalin Karikó an all die Absagen, die ihr in den Jahren von verschiedener Stelle erteilt wurden, als die damals gering entlohnte Wissenschaftlerin um Unterstützung für die Umsetzung ihrer Idee bat: 1985 etwa, als sie aus dem Förderprogramm der Universität der Wissenschaften in Ungarn geworfen wurde und mit dem Mann sowie der Tochter in die USA ausgewandert ist.

Selbst der wegweisende Fachartikel blieb nahezu unbeachtet

Doch der Wechsel brachte nicht mehr Geld für die Forschung. Zu gering war der Glauben an den Erfolg ihrer Arbeit. Ein Fachartikel über den entscheidenden Durchbruch des Forscherduos Karikó und Weissman im Jahr 2005 stieß auf wenig Resonanz, sowohl in der Fachwelt als auch bei Geldgebern. Dabei wurde darin beschrieben, dass man nur einen Baustein der mRNA austauschen müsse, um zu verhindern, dass die Moleküle vom Körper rasch abgebaut werden.

Karikó bot ihre Arbeit bei Curevac an

Weil sie in den USA mit ihrer Arbeit nicht weiterkam, sei sie nach Deutschland gereist, erzählt Karikó. In Tübingen wollte sie ihre Forschungen an der mRNA weiter fortführen: „Zu Curevac-Gründer Ingmar Hoerr hatte ich schon Kontakt, deshalb bewarb ich mich dort unter der Prämisse, mit modifizierter mRNA arbeiten zu können“, sagt sie im Januar dieses Jahres der „Welt am Sonntag“. Doch Hoerr lehnte ab: „Er sagte mir, dass Curevac nur mit unmodifizierter mRNA arbeite und meinen Ansatz nicht benötige.“ Inzwischen arbeitet auch Curevac mit modifizierter mRNA. Einen Tag später habe sie sich mit den Biontech-Gründern Ugur Sahin und Özlem Türeci getroffen, die ihr dann einen Job angeboten haben. Neun Jahre blieb Karikó dort und verhalf Biontech mit der Impfstoffentwicklung gegen das Coronavirus zu Weltruhm. Seit Herbst 2022 ist sie nur noch Beraterin von Biontech – sie wolle mehr Zeit mit eigener Forschung verbringen, erklärte sie, die nun an den Universitäten Pennsylvania und Szeged (Ungarn) arbeitet.

Ingmar Hoerr, einer der Gründer des biopharmazeutischen Unternehmens Curevac Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Das Tübinger Unternehmen gratuliert

Inwieweit man in Tübingen der verpassten Chance, mit einer Nobelpreisträgerin zusammenzuarbeiten, nachtrauert, ist offen. Eine Sprecherin von Curevac sagte unserer Zeitung, dass man sich im Unternehmen sehr über die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees freue. „Sie würdigt herausragende Grundlagenforschung im Bereich der mRNA-Technologie.“ Deren hoher Stellenwert werde sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch im Kampf gegen den Krebs zeigen – eine „wesentliche Basis hierfür haben Karikó und Weissman gelegt“.

Auch der Gründer Ingmar Hoerr – der inzwischen Curevac verlassen hat und sich Projekten seiner eigenen Stiftung, der Morpho Foundation, widmet – gratuliert den Preisträgern: „Kati Karikó und Drew Weissman haben den Nobelpreis absolut verdient“, teilt er unserer Zeitung mit. Kati sei „eine wunderbare, bescheidene Wissenschaftlerin – wir kennen uns schon lange und schätzen uns“.

Ehemaliger Curevac-Gründer erklärt die Gründe

Dass es im Jahr 2013 nicht zu einer Zusammenarbeit gekommen ist, sei dem Umstand geschuldet, dass die Technologie von Katalin Karikó nicht zum damaligen Forschungsprogramm des Unternehmens gepasst habe: „Da wurden die Vorteile von Karikós Forschung nicht wie erwartet gesehen“, so Hoerr. Für Impfstoffe sei diese Forschung damals auch von ihr selbst gar nicht vorgesehen gewesen, so Hoerr weiter. „Aber gerade das hat mit Covid dann doch wunderbar funktioniert.“