Rückraumspieler Nikola Karabatic ist der unersättlichste Titeljäger im Welthandball. Foto: dpa/Tom Weller

Nikola Karabatic hat im Laufe seiner beeindruckenden Handballkarriere alles gewonnen – und das mehrfach. Mit 39 Jahren spielt er seine letzte EM. Am Dienstag trifft er mit Frankreich auf das deutsche Team.

Kentin Mahe stand in der Mixed Zone der Berliner Mercedes-Benz-Arena Rede und Antwort. Gerade war das EM-Auftaktspiel gegen Nordmazedonien (39:29) zu Ende gegangen. Nikola Karabatic hatte nicht seinen besten Tag erwischt. Beim überraschenden 26:26 gegen die Schweiz stand der Superstar sogar nur gut sechs Minuten auf dem Spielfeld. Doch als Mahe, der im zweiten Spiel nicht eingesetzte Spielmacher der französischen Handball-Nationalmannschaft, auf seinen Mitspieler und dessen Rolle angesprochen wird, huscht ein Lächeln über sein Gesicht, und sein Daumen schnellt nach oben: „Nikola hat auch mit weniger Einsatzzeiten einen riesigen Stellenwert in unserem Team. Wenn er spielt, ist er eine Waffe hinten und vorne. Auch wenn er nicht mehr so sehr wie früher als Torjäger brilliert, er glänzt dafür als Passgeber.“

 

Schon 2004 am Ball

Das will der 39-Jährige natürlich auch an diesem Dienstag (20.30 Uhr/ARD) im letzten Vorrundenspiel in der Berliner Mercedes-Benz-Arena gegen die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zeigen. Gegen die Nation, gegen die er schon so viele heiße Gefechte austragen hat. Karabatic war schon dabei, als Spieler wie Markus Baur, Volker Zerbe, Daniel Stephan oder Christian Schwarzer für Deutschland 2004 den EM-Titel holten.

Sie alle sind längst in anderen Funktionen tätig. Karabatic ist immer noch da. Noch. Denn er befindet sich auf Abschiedstournee. Bis auf die WM 2021, bei der er aufgrund eines Kreuzbandrisses fehlte, hat der Ausnahmespieler von Paris Saint-Germain seit 2002 kein großes Turnier verpasst. Die aktuellen Titelkämpfe in Deutschland sind seine insgesamt 26. Er spielt seine elfte und letzte Europameisterschaft.

Alle möglichen Titel gewonnen

Dass er am Ende noch einmal ganz oben stehen will, versteht sich für diesen unersättlichen Titeljäger von selbst: „Mit unserem Team können wir den Titel holen“, sagte er voller Angriffslust. Es wäre sein elfter (!) Titel mit der französischen Nationalmannschaft in einer mit zig Erfolgen gepflasterten Karriere: Drei EM-Titel, viermal WM-Gold und drei Olympiasiege – Karabatic hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.

2007, während seiner Zeit in der Bundesliga beim deutschen Rekordmeister THW Kiel, wurde er zum Handballer des Jahres gewählt, obwohl Deutschland Weltmeister wurde. Dreimal kürte ihn der Internationale Handballverband (IHF) zum Welthandballer (2007, 2014, 2016). Karabatic ist auch der König der sozialen Medien. Mit seinen über 600 000 Facebook-Followern kann kein anderer Handballer auf der Welt mithalten.

Spitzname „Kannibale“

Wie man das alles schafft? Nur mit unglaublicher Professionalität, mit unbändigem Willen und einem ungestillten Hunger nach Erfolg, der ihm den Spitznamen „Kannibale“ einbrachte. „Ich hasse es zu verlieren. Egal ob im Fußball im Training oder zu Hause beim Videospiel. Ich würde sterben, um zu gewinnen“, hat der im serbischen Nis geborene und im Elsass aufgewachsene Musterprofi einmal gesagt.

Familie als Kraftspender

Viel Kraft gab ihm schon immer seine Familie. Der 2011 verstorbene Vater Branko (früherer jugoslawischer Nationaltorwart), seine Mutter Radmila und sein jüngerer Bruder Luka (35), der als Kreisläufer ebenfalls bei Paris Saint-Germain und in der französischen Nationalmannschaft spielt. Und ganz besonders seine Ehefrau Geraldine Pillet, mit der Nikola Karabatic die Kinder Alek und Nora hat. „Die Familie ist das Wichtigste in meinem Leben“, betont er immer wieder.

Der 1,96-Meter-Mann hat nicht mehr ganz das enorme Sprungvermögen wie in seiner Blütezeit, nicht mehr ganz die außergewöhnliche Wurfkraft, die den Ball zu einem Geschoss werden ließ, das den Torhüter manchmal gleich mit ins Netz beförderte. Doch wenn Karabatic auf der Platte steht, bestimmt er immer noch das Tempo, er treibt seine Mitspieler bei Tempogenstößen nach vorne, sein Rückzugsverhalten ist vorbildlich, und in engen Schlussphasen nimmt er mit Einzelaktionen Zeit von der Uhr. Gerade in kniffligen Situationen ist sein Erfahrungsschatz unersetzbar.

Jungen Spielern helfen

„Es ist eine Kunst zu erkennen, dass es wichtiger ist, an zehn Toren beteiligt gewesen zu sein, als fünf selbst zu erzielen“, streicht sein Teamkollege Mahe die neuen Qualitäten des Souveräns des Handballs heraus. Karabatic selbst sieht seine Aufgabe auch darin, „jungen Spielern zu helfen, sich weiterzuentwickeln“, seine Siegmentalität, seinen Willen der nächsten Generation weiterzugeben.

Zunächst aber steht an diesem Dienstag der Klassiker gegen Deutschland auf dem Programm. „Es ist immer geil, wenn du gegen die Heimmannschaft spielst, aber wir müssen gegenüber dem Spiel gegen die Schweiz alles verbessern. Wir brauchen die Punkte und das Selbstvertrauen“, stellt Karabatic klar. Die Partie ist ein Meilenstein auf seiner letzten EM-Mission. Der finale Handballvorhang fällt für den dann 40 Jahre alten Karabatic im kommenden Sommer. Die Olympischen Spiele in seiner Wahlheimat Paris sollen der krönende Abschluss einer einzigarten Karriere werden.