Unser Bild zeigt Pfarrer Alexander Schleicher zusammen mit Kameramann Daniel Hofmeier, der Garant dafür war und ist, dass die Übertragung des Livestream-Gottesdienstes so reibungslos funktioniert.Foto: Bantle Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Katholischer Pfarrer Alexander Schleicher: Streaming-Gottesdienste stoßen auf gute Resonanz

Niedereschach. Zusehends Routine entwickelt Alexander Schleicher in den Live-Streaming-Gottesdiensten.

Am Ostersonntag haben Sie in der katholischen Kirche in Niedereschach den dritten Livestream Gottesdienst gefeiert. Am kommenden Sonntag um 10.30 Uhr werden Sie den vierten Livestream-Gottesdienst feiern. Wie fühlen Sie sich bei diesen Gottesdiensten so allein mit dem Organisten und dem Kameramann in der Kirche vor leeren Kirchenbänken?

Beim ersten Mal war ich erkennbar "aufgeregt" und hatte in der Nacht davor nicht gut geschlafen. Bei den nachfolgenden Gottesdiensten ging das schon sehr viel ruhiger zu. Ein Livestream-Gottesdienst ist ein komplett anderes "Setting" als ein bisher üblicher Sonntagsgottesdienst vor einer mitfeiernden Gemeinde. Für mich kann gemeinsames Gottesdienstfeiern nicht auf eine "One-Man-Show" reduziert werden. Das fühlt sich schräg an und ist ein großer Widerspruch zu christlichem Verständnis von einem Versammeln der Gemeinde und einem Miteinander feiern.

Wo genau liegt für Sie als Pfarrer der Unterschied zwischen einem Livestream-Gottesdienst und einem Gottesdienst mit Kirchenbesuchern?

Es gibt für diesen Gottesdienst so eine Art Drehbuch mit Regieanweisungen für Kameraeinstellungen. Über die Lautsprecher der Kirchenanlage ist kein Ton zu hören. Es gibt aus den Kirchenbänken keine Antworten auf die Gebetsrufe. Es singt niemand hörbar mit. Da fehlt das Miteinander. Die Vorbereitung und die Durchführung des Gottesdienstes erfordern von mir einen enormen Kraftaufwand. Und es gilt eine innere Anspannung auszuhalten. Gottesdienstliches Feiern geschieht grundsätzlich immer öffentlich. Nun heißt die gebotene Vorgabe der Kirchenleitung, dass Gottesdienste "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" gefeiert werden sollen. So steht es an den Kircheneingangstüren geschrieben. Wir laden deshalb niemanden zu den Gottesdiensten ein.

Das ist ein Widerspruch, der nur schwer zu ertragen ist. Für die Osterzeit, in der wir uns befinden, wurden die Vorgaben sogar noch verschärft, beziehungsweise verschlimmert. Es hieß aus Freiburg: Die Gottesdienste, die gefeiert werden sollen, finden "ohne Beteiligung von Gläubigen" statt. Obwohl ich völlig einverstanden bin, dass es in der aktuellen Situation erhöhte Aufmerksamkeit und Schutzmaßnahmen braucht, darf Menschen, die "zum persönlichen Gebet" die Kirchen betreten der Zugang nicht verwehrt werden. Wir dürfen uns als Christen dabei gerne auf Jesus berufen, der selbst niemals Menschen ausgeschlossen oder weggeschickt hat. Selbstverständlich werden wir – um der heilbringenden Botschaft des Evangeliums treu zu bleiben – alles tun, um Menschen nicht in Gefahr zu bringen. Das steht außer Frage.

Gleichzeitig soll der Ehrlichkeit halber nicht verschwiegen werden, dass wir in den allermeisten Gottesdiensten unserer Kirchen den Abstand zu Mitfeiernden bereits seit Jahren praktiziert haben – lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. In der ersten Livestream-Predigt habe ich die Frage gestellt, wie "Auferstehung ohne Beteiligung von Gläubigen" gefeiert werden solle?

Die Antwort hieß für mich ganz klar: "Das geht nicht!" Zumindest nicht in der Form, wie wir in unseren Kirchen bisher Gottesdienstfeiern verstanden haben. Streaming-Gottesdienste sind aktuell eine Notlösung und Ausnahme in besonderen Zeiten. Kein wirklicher Ersatz für das gemeinsame Feiern um den "Tisch des Herrn in einer Kirche". Sie könnten allerdings in Zukunft eine gute Gelegenheit sein mit der Verkündigung der Frohen Botschaft des Evangeliums viel mehr Menschen zu erreichen, als wir es bisher mit "herkömmlichen Gottesdiensten" tun.

Wie ist die Resonanz auf die zurückliegenden Livestream-Gottesdienste? Haben Sie im Vorfeld mit einer solchen Resonanz gerechnet?

Die Resonanz auf die Livestream-Gottesdienste ist riesig. Das ist positiv überraschend und hat uns im Seelsorgeteam sehr gefreut. Beim ersten Mal schwankte die Zahl der Live-Mitfeiernden um die 100 Personen. Im Nachgang wurde der Gottesdienst über 1300 Mal angeklickt, bei den anderen jeweils etwa 900 Mal. Die Zahlen sprechen für sich, obwohl sie gar nicht so entscheidend sind.

Nach dem ersten Livestream-Gottesdienst hatten wir über verschiedene Presseveröffentlichungen die Möglichkeit, dieses Angebot noch bekannter zu machen. Es gab Rückmeldungen am Telefon, auf dem Anrufbeantworter und eben in verschiedenen elektronischen Medien. Die allermeisten waren von großer Dankbarkeit geprägt und bezogen sich sowohl auf die Gestaltung wie den zeitlichen Umfang, die Impulse, Lieder, Gebete und nicht zuletzt auf die Predigt. Ich bin allen dankbar, die sich gemeldet haben.

Ist Ihnen bekannt, ob auch viele der älteren Gottesdienstbesucher, für die ein Leben lang die Gottesdienstbesuche noch von großer Wichtigkeit waren, die Möglichkeit haben, die Livestream-Gottesdienste zuhause mit zu feiern?

Ja, auch ältere Menschen sind dankbar für diese Möglichkeit und durchaus in der Lage den Gottesdiensten auf Smartphone, Tablett, oder PC zu folgen. Wir haben explizit dazu eingeladen, all diejenigen zu unterstützen, die sich mit dem Medium Internet schwertun.

Darüber hinaus werden ältere Menschen die Möglichkeit von Fernsehgottesdiensten weiterhin nutzen. Dieses Angebot gibt es ja schon viel länger auf unterschiedlichen Kanälen und verschiedenen Qualitätsstufen. Es gibt jedoch ebenso den nachvollziehbaren Wunsch nach Gottesdienst in vertrauten Kirchenräumen und mit bekannten Seelsorgern. Der Grund warum die Gottesdienste ausschließlich in Niedereschach gestreamt werden, ist ein rein technischer. Es braucht eine stabile Internetleitung.

Wer kam im Zuge der Corona-Krise auf die Idee zur Durchführung von Livestream-Gottesdienst?

Livestream-Gottesdienste sind keine neue Erfindung. Sie wurden allerdings zurückliegend eher bei außergewöhnlichen Anlässen genutzt, zum Beispiel wenn eine Kirche vom Platz her nicht ausgereicht hätte. Das ist ja eher eine Seltenheit.

Im Netz gibt es zwischenzeitlich eine Fülle von Streaming-Gottesdiensten in ganz Deutschland unterschiedlichster Art. Wer will kann sich beim Papst in Rom "einloggen", im Freiburger Münster oder eben in der eigenen Seelsorgeeinheit. Im Dekanat Schwarzwald-Baar gibt es – meines Wissens – bisher nur ganz wenige Möglichkeiten. Vielleicht, weil ältere Priester sich mit dem Medium Livestream schwertun oder theologische Bedenken haben. Die Idee zum Livestream-Gottesdienst hatte ich bereits in der zweiten Märzhälfte. Am 29. März konnte sie dann zum ersten Mal umgesetzt werden und bisher habe ich es nicht bereut.

Wie lange wollen Sie für die Menschen ihre Seelsorgeeinheit Livestream- Gottesdienste anbieten?

Solange es so viele positive Rückmeldungen gibt und aus den Gemeinden gewünscht wird, werden wir diese Möglichkeit weiterhin nutzen wollen. Im Seelsorgeteam unserer Kirchengemeinde sprechen wir auch über andere mögliche Gottesdienstformate.

Wir haben ja seit Beginn der Corona-Krise schon vielfältige Angebote gemacht, wie zum Beispiel den persönlichen Brief an ältere Menschen, die Postkartenaktion an alle katholischen Haushalte, "Mitnehm-Impulse" in allen unseren Kirchen, sowie Vorlagen für Gottesdienste Zuhause. Da gibt es ganz viel spirituelle Kreativität, für die ich ebenso dankbar bin. Mir ist es persönlich sehr wichtig, dass unsere Kirchen offen bleiben zum persönlichen Gebet, zum stillen Da-Sein, zum Gebet für…. "Verschlossene Eingangstüren unserer Kirchen" sind ein schlechtes Zeichen und widersprechen der einladenden frohen Botschaft Jesu: "Kommt alle zu mir, die ihr müde und beladen seid: Ich will euch erquicken". Wobei "persönliches Gebet" selbstverständlich an allen anderen Orten auch außerhalb der Kirchen möglich ist.

Könnten Sie sich vorstellen, auch nach dem Corona-Krise hin und wieder einen Livestream-Gottesdienst zu feiern, vor vollen Kirchenbänken, aber speziell für Menschen, die den Weg in die Kirche, ob aus gesundheitlichen oder anderen Gründen, nicht Anspruch nehmen können oder wollen zu erreichen?

Gottesdienste vor "vollen Kirchenbänken" sind eher ein Wunschdenken aus vergangenen Zeiten. Ja, wir freuen uns darauf, wenn die Zeit kommt, in der "öffentliche Gottesdienste" wieder gefeiert werden können mit all denen, die dazu gerne in unsere Kirchen kommen.

Dann wäre es möglich solche Gottesdienste live zu streamen für alle, die nicht die Möglichkeit haben selber daran teilzunehmen. Es kann durchaus passieren, dass Menschen die Möglichkeit nutzen einen Gottesdienst – ähnlich einem guten Spielfilm – zu einem späteren Zeitpunkt anzuschauen und "mitzufeiern". Das werden Menschen auch nach Corona wertschätzen. Allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, die eben ein gestreamter Gottesdienst mit sich bringt: Der Empfang der eucharistischen Gaben von Brot und Wein ist digital unmöglich.

Wie positionieren sich die christlichen Kirchen und Kirchenleitungen zur aktuellen Einschränkung der Religionsfreiheit und wie stehen Sie persönlich dazu?

Endlich wachen die Kirchenleitungen auf und werden die "Christen ungeduldig". Die deutsche Bischofskonferenz kritisiert das Gottesdienstverbot durch den Staat als "nicht nachvollziehbar".

Das Bundesverfassungsgericht geht sogar einen Schritt weiter und spricht von einem "überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit". Gegen diesen Eingriff verwehre ich mich mit meinem demokratischen Verständnis. Ich erwarte mir diesbezüglich mehr Mut von Seiten der Kirchenleitungen und weniger Angepasstheit an staatliche Vorgaben, bei allen notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.

Wir könnten unter strengen Auflagen Gottesdienste feiern, ohne, dass Liturgen dafür in Verruf gebracht werden. Nach Beendigung der Corona-Krise werden wir als Kirche vor der Herausforderung stehen, uns unter anderem zu fragen, wie wir mit der Tatsache umgehen, dass wir über Livestream-Gottesdienste viel mehr Menschen erreichen, als über die klassischen Sonntagsgottesdienste, bei denen die Reihen ja schon längst sehr licht geworden sind.

Ein "einfach weiter so" und zurück in angeblich bessere Zeiten kann ich mir nicht vorstellen. "Systemrelevant" sind wir als Kirche schon längst nicht mehr und dazu haben wir ziemlich viel selber beigetragen. Die aktuelle Krise könnte für uns als Kirche eine wirkliche Chance werden. Dabei werden wir alle Menschen, die jetzt darunter leiden oder sogar daran gestorben sind, nicht aus unserem Gedenken verlieren.

Persönlich erwarte und wünsche ich mir: ein Ende der Verweigerung nach vorne zu blicken und mehr der "Kraft der Verwandlung" zu trauen. Daraus schöpfe ich persönlich Kraft. In der tiefen Überzeugung, dass "Kirche Jesu Christi" nur dann eine Zukunft hat und attraktiver werden kann. Das wird noch ein langer steiniger Weg sein, denn zu viele wehren sich noch dagegen und zwar nicht nur ganz oben, sondern auch in so manchen Gemeinden. Entscheidender sind jedoch all die Menschen, die solidarisch und österlich "Aufstehen für das Leben".