Jahrelang wurden übergewichtigen Schauspielern hauptsächlich Nebenrollen zugeteilt. Doch bei „Bridgerton“ spielt Nicola Coughlan die Haupt- und ihre Figur keine Rolle. Gibt es in Hollywood einen Wandel?
Penelope Featherington ist das typische Mauerblümchen. In der feinen Gesellschaft wird sie meist übersehen, vor dem Spott ihrer Schwestern und ihrer Mutter flüchtet sie sich in die Welt der Bücher. Doch dann durchlebt die von Nicola Coughlan gespielte Figur in der dritten Staffel von „Bridgerton“ einen Wandel: als heimliche Verfasserin einer erfolgreichen Klatschzeitung bekommt sie Selbstbewusstsein. Sie nimmt ihr Schicksal in die Hand, tauscht ihre unvorteilhaften quittengelben Kleider mit wunderschönen Roben und gewinnt das Herz ihres heimlichen Schwarms. Die Wandlung von unscheinbar zu selbstbewusst ist wahrlich kein neues Thema für eine Serie oder einen Film. Ungewöhnlich daran ist jedoch, dass Penelopes fülligere Figur dabei nicht thematisiert wird.
Mit Nicola Coughlan sieht man eine der wenigen erfolgreichen Hollywood-Schauspielerinnen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, in einer Hauptrolle. Damit dürfte die Netflixserie „Bridgerton“, die für ihre diverse Besetzung bekannt ist, in der Filmbranche einen weiteren Schritt in Richtung Wandel gemacht haben. Denn dass eine übergewichtige Schauspielerin eine Hauptrolle übernimmt, in der es um eine romantische Beziehung inklusive erotischer Szenen geht, ist in der Filmbranche bisher alles andere als selbstverständlich gewesen. Auch in der Romanvorlage der amerikanischen Autorin Julia Quinn, auf der „Bridgerton“ beruht, nimmt Penelope zunächst mehr als zehn Kilo ab, bevor sie das Herz ihres Schwarms Colin gewinnen kann. Glücklicherweise setzte sich die Serie darüber hinweg, Penelope bleibt, wie sie ist. Beim Publikum kommt das gut an – Penelope ist die wohl beliebteste Figur im „Bridgerton“-Kosmos.
Die irische Darstellerin Nicola Coughlan selbst ist es leid, ständig auf ihre Figur angesprochen zu werden. Auf den Kommentar einer Journalistin, wie„mutig“ es sei, dass sie Nacktszenen drehe, antwortete sie schlagfertig: „Wissen Sie, es ist schwer, weil ich denke, dass Frauen mit meinem Körpertyp – Frauen mit perfekten Brüsten – uns selbst nicht oft genug auf dem Bildschirm sehen, und ich bin sehr stolz darauf, ein Mitglied der Community der perfekten Brüste zu sein.“
In Kinderfilmen sind unbeliebte Figuren oft dick
Dass Übergewichtige in der realen Welt weiterhin auf ihre Figur reduziert werden, mag auch daran liegen, dass Filme und Serien jahrelang Stereotype reproduzierten. Übergewichtige Schauspieler und Schauspielerinnen bekamen häufig die Nebenrolle als tollpatschige Ulknudel zugewiesen. Oft wurden sie plump und unbeholfen dargestellt, manchmal sogar unsympathisch. Besonders in Kinderfilmen fällt auf, dass die fiesen Rollen gerne mit dicken Kindern besetzt werden. Ein Beispiel dafür ist die Figur des Dudley Dursley, der verzogene Cousin von Harry Potter. Mit ihm verbindet man alle möglichen negativen Eigenschaften – fies, faul und egoistisch ist er, ebenso wie sein dicker Vater Vernon.
Ein weiteres Beispiel ist die deutsche Kinderbuchverfilmung „Die Wilden Kerle“, deren erster Teil 2003 erschien. Der Kontrahent der Protagonisten wird der „dicke Michi“ genannt – selbstverständlich ist auch er kein Sympathieträger. In dem 2005 erschienenen Film „Charlie und die Schokoladenfabrik“ gibt es den esssüchtigen, übergewichtigen Jungen Augustus Glupsch, der in einen Fluss aus Schokoladenmasse fällt. Filme wie diese suggerieren, dass Dicksein mit Dummheit, Faulheit oder Gemeinheit einhergehen.
In den 1990er und 2000er Jahren gab es einige Filme, die das Thema Dicksein in den Vordergrund rückten – auf höchst fragwürdige Weise. Der Schauspieler Eddie Murphy beispielsweise schlüpfte gleich mehrmals in einen sogenannten Fatsuit, durch den schlanke Menschen üppiger werden. Dadurch wirkte er in Filmen wie „Norbit“, wo er 2007 eine übergewichtige Frau spielte, und „Der verrückte Professor“, in dem er 1996 einen dicken Professor darstellte, der mithilfe eines Wundermittels erschlankt, eher wie eine Karikatur von übergewichtigen Menschen. Auch Gwyneth Paltrow spielte 2001 in „Schwer verliebt“ im Fatsuit die 150 Kilo schwere Rosemary. In dem Film werden Stereotype auf die Spitze getrieben, etwa wenn die Schritte von Rosemary die Erde förmlich erbeben lassen. Gwyneth Paltrow bezeichnet den Film inzwischen als „Katastrophe“ und bereut es, mitgespielt zu haben.
Normalgewichtige Frauen werden in Filmen als „dick“ bezeichnet
Ebenfalls fragwürdig waren Filme, in denen normalgewichtige Frauen als dick bezeichnet wurden und dies auch problematisiert wurde wie in „Der Teufel trägt Prada“ (2006), „Bridget Jones“ (2001) oder auch in der deutschen Serie „Doctor’s Diary“ (2007 bis 2010).
Sehr viel besser machte es dagegen schon früh die erfolgreiche US-amerikanische Serie „Gilmore Girls“, in der Melissa McCarthy die Rolle der sympathischen Köchin Sookie von 2000 bis 2007 verkörperte. Ihre fülligere Figur war in der Serie kein Thema. Melissa McCarthy wurde anschließend zu einer der erfolgreichsten und bestverdienenden Schauspielerinnen Hollywoods, die unter anderem 2019 für ihre Hauptrolle in der Filmbiografie „Can You Ever Forgive Me?“ eine Oscar-Nominierung erhielt. Auch Schauspielerinnen wie Chrissy Metz („This Is Us“) und Aidy Bryant („Shrill“) waren zuletzt mit ernsthaften Hauptrollen erfolgreich.
Es bleibt zu hoffen, dass der Erfolg von Serien wie „Bridgerton“ am Ende dazu führt, dass künftig mehr Rollen mit Schauspielern und Schauspielerinnen besetzt werden, deren Figuren bisher noch nicht als normschön galten.
Info
Bridgerton
Die US-amerikanische Serie läuft seit Dezember 2020 bei Netflix. Die von Chris Van Dusen geschaffene und von Shonda Rhimes produzierte Serie basiert auf Julia Quinns Romanreihe. Die dritte Staffel wurde in zwei Teilen am 16. Mai und 13. Juni 2024 veröffentlicht. Die dritte Staffel behandelt die Liebesgeschichte von Colin Bridgerton und Penelope Featherington, womit die Serie das erste Mal von der Reihenfolge der Romane abweicht. Die Serie gehört zu den erfolgreichsten auf Netflix.