Neuweiler - Etwas zähneknirschend hat der Neuweiler Gemeinderat der Errichtung einer Gedenktafel für den jüdischen Arzt Eugen Marx zugestimmt. Er hatte von 1930 bis 1933 auch in Neuweiler praktiziert – und fiel mit seiner Familie den Nazis zum Opfer.

Dass einige Gemeinderäte vor der Abstimmung – drei Gegenstimmen und eine Enthaltung – ihren Unmut äußerten, lag weniger an der grundsätzlichen Idee eines Gedenkens. Vielmehr zeigten sich mehrere Ratsmitglieder verärgert über die Art und Weise, wie die Entscheidung darüber zustande kam.

Vorgeschichte

Im Herbst 2016 hatte die heutige "Initiative zum Gedenken an Dr. Marx" Ernest Kolman, den damals 90-jährigen Neffen des Arztes, zu einer Gedenkwoche in den Schwarzwald eingeladen (wir berichteten). Er reiste aus London an, um unter anderem in der Waldschule in Neuweiler vor Schülern über seine Erfahrungen in der Nazizeit zu sprechen. Kolman äußerte immer wieder den Wunsch, dass als Gegenleistung in Neuweiler – wo er auch mehrmals seinen Onkel besucht hatte – eine Gedenktafel für Marx und dessen Familie errichtet wird. Der Initiativkreis unterstützte dies ausdrücklich, nachdem die Gemeinde Neuweiler anfangs wenig Interesse an einem Gedenken bekundet hatte.

In der Folge stimmte sich die Gemeinde mit dem baden-württembergischen Staatsministerium für Erinnerungskultur ab, und der Gemeinderat veranstaltete einen Workshop. Anfang dieses Jahres stimmte das Gremium über einen Entwurf ab, der das Gedenken an die Familie Marx mit der Erwähnung weiterer Neuweiler Ärzte kombinieren sollte (wir berichteten). Die Gemeinde verstand diesen Entwurf auch als "Werbeaufruf für Allgemeinmediziner", was in mehreren Leserbriefen an den Schwarzwälder Boten scharf kritisiert wurde.

Entwurf

Der Titel der Gedenktafel, deren Erstellung der Gemeinderat nun zugestimmt hat, lautet "Erinnerung für die Zukunft". Die Tafel soll an der Stelle des ehemaligen Arzthauses von Neuweiler aufgestellt werden. Der Text erklärt, dass Marx mit seiner Familie dort wohnte und von der Bevölkerung "sehr geschätzt" wurde. Die Geschichte der Vertreibung der Familie wird erzählt, und ein eigener Abschnitt samt Foto widmet sich dem "Schicksal der Kinder" des Arztes. Entgegen dem Beschluss von Januar steht die Familie Marx nun allein im Fokus des Gedenkens, weitere Ärzte werden nicht erwähnt. Die Kosten für Anfertigung und Aufstellen der Tafel betragen laut Gemeindeverwaltung 5000 Euro.

Beratungen

Die Gemeinde sei zur Errichtung dieser Tafel "von irgendwelchen Erben mehr oder weniger gezwungen" worden, wie Gemeinderat Bernd Greule sagte. Den meisten sei klar, dass es "in dieser schwarzen Vergangenheit Unrecht gegeben hat". Aber so, wie "das im Grundsatz gelaufen ist", wolle er der Errichtung nicht zustimmen. Kurz vor der Abstimmung meldete sich Greule noch mal zu Wort: "Dass wir so dazu gezwungen werden können, kotzt mich richtig an."

Auch Rat Dieter Seeger signalisierte seine Ablehnung: "Ich bin dagegen, sich von anderen ins Bockshorn jagen zu lassen." Bürgermeister Martin Buchwald bestätigte später, dass die Äußerungen der Initiatoren "in der Formulierung nicht glücklich" gewesen seien.

Gemeinderat Werner Stockinger erinnerte an mehrere öffentliche kritische Reaktionen auf den Beschluss vom Januar und warb dafür, das Thema abzuschließen: "Ich finde das gut so." So sah es auch Rätin Doris Hammann: Man solle die Tafel aufstellen, damit "endlich Ruhe ist". Es sei "keine schöne Sache", wie sie zustande gekommen sei. So müsse man letztlich "den Initiatoren gerecht werden". Ratskollege Rainer Hanselmann will die Angelegenheit ebenfalls "endlich abschließen". Er ergänzte, dass man es auch mit der Aufarbeitung anderer Opfer probiert habe, wobei das Landratsamt Calw nicht gerade kooperiert habe. Der nun vorliegende Entwurf sei "okay".

Unter anderem Gemeinderätin Regina Schmid zeigte sich verwundert darüber, dass auf der Tafel nun doch nicht weitere Neuweiler Ärzte erwähnt werden sollen. Darauf erklärte der Bürgermeister, dass man sich nach "Diskussionen mit allen möglichen Leuten" dazu entschieden habe, dass der neue Entwurf "eine gute Sache" sei, die den Grausamkeiten des NS-Regimes gerecht werde.

Schmid beklagte eine "Selbstdarstellung" des Initiativkreises und sprach sich dafür aus, der Tafel einen allgemein formulierten Satz für andere Opfer des Nationalsozialismus hinzuzufügen. Buchwald antwortete darauf, dass unter anderem in Gesprächen mit dem Staatsministerium deutlich geworden sei, dass eine "allgemeingültige" Form des Gedenkens heutzutage "nicht mehr als positiv gesehen" werde.

Darauf erklärte Rätin Karin Schmidt, dass sie dagegen sei, erneut etwas an dem Entwurf zu ändern. Man solle lieber jetzt zustimmen, um als Gemeinde das "Gesicht einigermaßen zu wahren".

Info: Das Schicksal der Familie Marx

Eugen Marx wurde 1933 von Nazi-Schergen misshandelt und vorübergehend ins Konzentrationslager nach Heuberg bei Balingen gebracht. Nur für kurze Zeit war er zurück in Neuweiler, dann floh er mit seiner Familie nach Köln. Wenig später verlor der Arzt seine Kassenzulassung. Im Jahr 1942 wurden seine beiden Töchter nach einem Massentransport im Alter von acht und elf Jahren in einem Vernichtungslager bei Minsk in Weißrussland ermordet. Marx überlebte die NS-Zeit, wanderte in die USA aus und starb 1965 in Chicago. Kolman hatte ähnliches Glück: Er entkam 1939 mit einem Kindertransport aus Köln nach England, wo er noch heute lebt.