Foto-Künstler Thomas Fritsch will seinen Nachbarn ein bisschen Unsterblichkeit schenken / Schau im Alten Rathaus
Von Axel H. Kunert
Neuweiler-Gaugenwald. Fotografieren und Fotos sind das Leben von Thomas Fritsch. Und dieses Leben lebt er seit dem Jahr 2000 zu einem großen Teil im Neuweiler Ortsteil Gaugenwald.
Und so lange Fritsch mit den Gaugenwaldern sein Leben schon teilt, "so lange gab es schon diese Idee, die Bewohner, ihre Häuser, ihre Tiere – eben alles, was sie ausmacht – auch einmal zu fotografieren." Aber eben "nicht nur so", sondern "mit dem gewissen Etwas". Was dieses "Etwas" ist, davon kann sich seit der Eröffnung zur Ausstellung "Wald-Hufen-Dorf-Kinder" am Freitagabend jeder selbst im Alten Rathaus des Ortsteils ein Bild machen.
Motive werden quasiin Zeitkapsel gepackt
Auf den ersten Blick sind Fritschs Bilder Fotos von Familien vor ihren Häusern. 47 großformatige Schwarz-Weiß-Schnapsschüsse. Zeitgenössisch. Klug komponiert, aber doch sichtbare Gegenwart. Aufgenommen während zahlloser Sessions in den vergangenen sechs Monaten. Aber genau darin liegt für Fritsch auch der Zauber, ein Teil der Magie seiner Arbeit. "Mit diesen Bildern packe ich die Motive mit den Menschen, die sie zeigen, wie in eine Zeitkapsel ein." Für Fritsch werden die Bilder so zu Dokumenten der Zeitgeschichte. Die Momentaufnahmen eines Dorfes. Nicht nur für das Jetzt, um sie in einer Ausstellung zu zeigen, "sondern für die Ewigkeit."
Was der Foto-Künstler damit meint: "Ich bin mit einem Foto meiner Urgroßeltern aufgewachsen. Mein Urgroßvater war Kohlenhändler" - in Görlitz, wo auch Thomas Fritsch her stammt. "Das Bild zeigt ihn und meine Urgroßmutter hoch auf der Kutsche, vor der zwei prächtige Pferde angespannt sind, vor ihrem Haus." Dieses eine bestimmte Bild war für Fritsch sein ganzes Leben präsent. Er nahm es in seinen Gedanken mit, als er noch in der damaligen DDR in Potsdam die Fachhochschule für Fotografie besuchte. Er fotografierte es im Wohnzimmer seiner Mutter ab, wo es hing, um es 1989, als er als einer der letzten DDR-Bürger noch offiziell ausgebürgert wurde, mit nach Stuttgart und später in den Nordschwarzwald nehmen zu können.
Als es ihn schließlich nach Gaugenwald verschlug, war dieses "kernige, erdige, ehrliche, authentische Landleben", wie es das Bild der Urgroßeltern für ihn immer widergespiegelt hatte, auch etwas, "dass ich hier wohl zu finden suchte". Daher hatte er von Anfang an die Idee, solche "Fotos für die Ewigkeit" auch von seinen neuen Nachbarn zu machen. Um sie so alle kennenzulernen. Um sich und seine Arbeit vorzustellen. Und den Gaugenwaldern auf diese Weise das, wie er findet, wertvollste Geschenk zu machen.
Aber warum die Bilder in schwarz-weiß? Natürlich "kann" Thomas Fritsch auch Farbe. Aber eigentlich immer, wenn Fritsch keine schnöde "Gebrauchsfotografie" macht, sondern "ein eigenes Projekt", wie er es nennt – also "Kunst" –, verfällt er automatisch auf diese monochromen Kompositionen. Das habe zum einen sicher damit zu tun, dass er einst mit einer "Pentacon Six" aus deutsch-Dresdner Produktion ("die habe ich ein Jahr lang vom Lohn abbezahlt") eben in schwarz-weiß das Fotografieren zu seinem Beruf machte – vor allem auch als Zeitungsfotograf. Zum anderen "lenkt Farbe die Wahrnehmung der Betrachter ab". Schwarz-weiße Aufnahmen zwingen den Betrachter, sich auf das Wesentliche in einem Motiv, vor allem in Gesichtern, zu konzentrieren.
Und das Schwarz-Weiße führt auch dazu, dass Fotografien tatsächlich auf einmal zeitlos werden. Dass man die schwarz-weißen Aufnahmen aus dem Jetzt neben solchen von vor hundert Jahren legen kann. Und beide Aufnahmen quasi "auf Augenhöhe miteinander" Antworten darauf liefern, was sich in einem solchen Jahrhundert im Wald-Hufen-Dorf Gaugenwald tatsächlich verändert hat. Erstaunlich wenig, wie das Beispiel der Familie Waidelich zeigt – für die Thomas Fritsch eine solche 100-jährige Aufnahme von den Großeltern des jetzigen Familienoberhauptes als Vorlage hatte: Die Kleidung ist eine andere, neue Fenster hat das Haus, die Bäume sind größer und ein Zaun ist verschwunden. Und man ahnt auf einmal, mit welchen Augen in vielleicht noch einmal hundert Jahren die dann lebenden Nachkommen der Gaugenwalder die Aufnahmen von Fritsch dann betrachten werden. Wahrscheinlich mit der selben Nostalgie, mit der auch Fritsch sich das Bild seiner Urgroßeltern anschaut.