Gundula Gwenn Hiller hat sich damit auseinandergesetzt, wie die Deutschen glücklicher sein könnten. Foto: Dominik Pfau

Obwohl Deutschland zu einem der wirtschaftlich stärksten Länder gehört, landet es auf dem Welt-Glücksindex stets weit abgeschlagen. Warum ist das so?

Ettenheim – Gundula Gwenn Hiller, Professorin für interkulturelle Kompetenzen, geht in ihrem neuen Buch "Was wir von anderen Kulturen lernen können" diesem Problem auf den Grund. Die ehemalige Schülerin des Städtischen Gymnasiums Ettenheim hat dieses Mal keine fachliche Publikation herausgebracht, sondern eine Art Ratgeber für jedermann. In ihm zeigt sie – auch anhand persönlicher Erfahrungen – wie die Deutschen von den Weisheitsformen anderer Kulturen profitieren können.

Frau Hiller, was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Ich lehre seit knapp 20 Jahren interkulturelle Kommunikation an Universitäten und Hochschulen. Dabei geht es meist darum, Probleme, Schwierigkeiten oder Missverständnisse aufzuzeigen und zu vermeiden. Bei diesem Buch wollte ich es einmal genau andersherum machen: Ich wollte den Blick darauf werfen, wie bereichernd andere Kulturen sind, welche Ressourcen sie haben und welche Weisheitsformen, von denen wir noch etwas lernen können. Und ich wollte, dass dieses Mal meine Arbeit nicht nur für eine akademischen Blase relevant ist, sondern einem breiteren Publikum zugänglich wird.

Und wie war es nun für Sie zur Abwechslung einmal für ein nicht-akademisches Publikum zu schreiben?

Befreiend. Ich habe zwar schon für das, was ich schreibe, auch Quellen angegeben, aber ich musste mich nicht so streng an die akademischen Regeln halten. Ich konnte einfach frei von der Leber weg, schnell und leichten Herzens schreiben. Dementsprechend schnell entstand das Buch, die reine Schreibarbeit hat von Januar bis April gedauert. Das lag auch daran, dass ich das Wissen, die Fallbeispiele und die Konzepte schon alles im Hinterkopf hatte.

Was war der Auslöser, der Sie dazu gebracht hat, das alles zu Papier zu bringen?

Es war der Weltglücksindex (World Happiness Report) aus dem Jahr 2020. Bei diesem sind wir weit abgeschlagen auf Platz 17. Und ich habe mich gefragt, warum das so ist: Wir sind eines der reichsten Länder, haben eines der teuersten Gesundheitssysteme und gute Arbeitsbedingungen. Aber trotzdem sind andere, ärmere Länder wie Costa Rica vor uns. Stattdessen scheinen wir die Frustweltmeister zu sein. Und ich frage mich: Warum? In anderen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Finnland herrschen ähnliche Lebensbedingungen wie bei uns – aber die Menschen dort sind so viel glücklicher. Das konnte für mich nur kulturell begründet sein.

Also machen wir Dinge falsch?

Nein, einfach nur anders. Das Buch soll nicht belehrend wirken. Es geht nicht darum, dass bestimmte Kulturen schlechter oder besser sind als andere. Stattdessen geht es einfach darum, einen Blick auf andere Kulturen zu werfen, um zu sehen, ob man von ihnen Dinge lernen kann.

Und woran liegt es nun, dass die Bewohner anderer Länder glücklicher sind?

Die skandinavischen Länder etwa haben eine stärkere Gemeinschaft. Zudem herrscht in diesen Ländern eine gute Gleichberechtigung – auch in Sachen Kindererziehung. Auch haben sie eine ausgeprägtere Work-Life-Balance, lassen häufiger mal die Seele baumeln. Da gibt es etwa die "Hygge"-Lebensphilosophie in Dänemark.

Was ist »Hygge«?

Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig das hierzulande bekannt ist. Selbst bei Kolleginnen von mir – und das, obwohl es in Deutschland eine eigene Zeitschrift mit dem Namen gibt. Das Wort "hygge" stammt ursprünglich aus dem Norwegischen und bedeutet "Wohlbefinden". Der Wissenschaftler Wiking definiert es als "Kunst der Innigkeit", "Gemütlichkeit der Seele" oder als "Abwesenheit jeglicher Störfaktoren". Es ist nichts Gegenständliches, sondern eine bestimmte Atmosphäre, in der wir uns einfach wohl und geborgen fühlen – und die alle fünf Sinne anspricht.

Was sollten wir Deutschen nun am dringendsten von anderen Kulturen lernen?

Zwei Dinge: Gelassenheit und verbindende Kommunikation.

Fangen wir mal bei der Gelassenheit an...

Wir sind bei ganz vielen Dingen perfektionistisch, schauen auf die Effizienz. Wir machen eine enge Zeitplanung, takten sie durch – und wenn etwas durcheinander gerät, werden wir unnötig gestresst.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Indem wir unseren Tag nicht so vollstopfen. Dazu neigen wir nämlich, sogar in unserer Freizeit – und kreieren uns dadurch ganz viel Freizeitstress. Im neuen Jahr könnten wir etwa damit anfangen, uns mehr Puffer zwischen unseren Terminen legen oder einen Tag mal gar nicht zu verplanen. Das sorgt für mehr Gelassenheit, auch wenn mal etwas nicht klappt. Zudem sollte man sich Zeit für sich selbst nehmen, um etwas Schönes zu erleben und zu genießen – nach dem "Hygge"-Prinzip. In Berlin sind beispielsweise Kakaozeremonien in Mode, wo Menschen bei einer Tasse Kakao online über ein bestimmtes Thema, das ihnen auf dem Herzen liegt, reden und sanft in den Tag zu starten.

Und was können wir in der Kommunikation verändern?

Wir neigen im Vergleich zu anderen Ländern dazu, sehr direkt zu kommunizieren. Das ist sehr effektiv. Was uns aber dadurch oft fehlt, ist das Verbindliche, das Freundliche in unseren Beziehungen. Wir verteilen nur sehr wenige Komplimente und fühlen uns dadurch oft selbst einsam und nicht gewertschätzt. Ich will gar nicht sagen, dass wir Deutschen unhöflich sind – allerdings wirken wir in Vergleich zu anderen Ländern oft so. Durch eine kulturelle preußisch-protestantische Prägung sind wir einfach aufs Wesentliche konzentriert – und das schlägt sich in unserer Sprache wieder. Tatsächlich ist das der häufigste Kritikpunkt, den ich von all meinen Teilnehmern aus anderen Kulturen – egal, woher – höre. Die Deutschen seien so wenig herzlich, dafür sehr distanziert und zurückhaltend. Vielleicht verreisen wir Deutsche ja deshalb so gerne in andere Länder: Weil es fast überall freundlicher und herzlicher zugeht als bei uns und wir diese Gastfreundschaft dort umso mehr schätzen.

Und wo kann man da starten, etwas zu verbessern?

Anderen häufiger ein Kompliment zu schenken und nette Worte für sie zu haben, ist ein guter Anfang.

Das klingt simpel...

Ja, es klingt simpel, aber das ist es für uns ganz und gar nicht. Ich habe diese Aufgabe schon meinen Studierenden gegeben. Es hat sie zum einen große Überwindung gekostet. Zum anderen hat auch ihr Umfeld gefragt, was los ist und dass sie sich verändert haben. Ein kleines Kompliment kann eine große Wirkung haben.

Gibt es noch mehr, was man tun könnte?

Man könnte sich fürs neue Jahr vornehmen, mehr Smalltalk zu betreiben. Wir sind oft so im Stress, dass wir meinen, dafür keine Zeit zu haben. Sich nach den anderen zu erkunden, mit ihnen zu reden, ist aber keine Zeitverschwendung – es zahlt sich für uns am Ende immer aus.

Zur Person

Gundula Gwenn Hiller ist ausgewiesene Expertin für interkulturelle Kommunikation und Diversität. Sei 2019 lehrt sie als Professorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit im Bereich Beratung, interkulturelle Kompetenzen und Migration in Mannheim. Zuvor hat sie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) in Kulturwissenschaften promoviert und war dort zehn Jahre lang als wissenschaftliche Leitung des Zentrums für interkulturelles Lernen zuständig. Sie hat inzwischen mehr als 50 Länder bereist, in fünf von ihnen gelebt und spricht fünf Sprachen. Von ihr sind bereits mehr als 40 Publikationen erschienen. Sie lebt seit 15 Jahren in Berlin. Ihre Kindheit hat sie aber in Friesenheim und Ettenheim verbracht. Sie hat in Lahr das Scheffelgymnasium und drei Jahre lang das Städtische Gymnasium in Ettenheim besucht sowie 17 Jahre lang in Freiburg gelebt.