Der neue Papst (links). Foto: dpa

Pilger und Neugierige warten im Regen vor dem Petersdom, um dann in Jubel auszubrechen. Weißer Rauch zeigt an: Es gibt einen neuen Mann auf dem Stuhl Petri. Er wird viel zu tun haben.

Rom - Die Katholische Kirche hat einen neuen Papst. Jorge Bergoglio heißt er mit bürgerlichem Namen und war bisher Erzbischof von Buenos Aires. Der Name des 265. Nachfolgers des Apostels Petrus ist wie selten zuvor Programm: Franziskus Nicht nur die Wahl des 76-Jährigen ist eine Sensation, mehr noch sein Papstname. Der neue Pontifex stellt sich als „Brückenbauer“ in die Tradition eines der größten Heiligen und Glaubenszeugen des Christentums: Franz von Assisis (1181–1226), des Gründers des Franziskanerordens.

Bergoglio selbst ist Jesuit und steht damit in der geistlichen Tradition des von Ignatius von Loyola (1491–1556) gegründeten Jesuitenordens. Das neue Kirchenoberhaupt wird beide Ordenstraditionen verbinden: die radikale Option für die Armen der Franziskaner mit dem missionarischen Eifer der Jesuiten. Ein Ordensmann als Kirchenoberhaupt. Auch das ist ein starkes und mutiges Signal an die Kirche, die nach dem achtjährigen Pontifikat Benedikt XVI. auf Reformen und Aufbrüche brennt.

Mit Bergoglio haben die 115 im Konklave versammelten Kardinäle einen profilierten Erneuerer gewählt. Ein Kirchenmann, der schon im Konklave 2005 der schärfste Ge-genkandidat von Joseph Ratzinger war. Zudem ist Bergoglio der erste Nichteuropäer, der die Geschicke von 1,2 Milliarden Katholiken lenken wird. Zum ersten Mal in 2000 Jahren Kirchengeschichte wird die auf den europäischen und nordamerikanischen Kontinent fixierte Sicht- und Denkweise des Katholizismus durchbrochen. Nun wird die katholische Peripherie, werden Lateinamerika, Afrika und Asien in den Mittelpunkt weltkirchlichen Agierens treten. Ein Vorgang von grandioser kirchenhistorischer Bedeutung.

Bergoglio steht mit seiner ganzen Biografie für eine völlig andere, authentische Art von Kirche. Im Gegensatz zu den von Verweltlichung und Atheismus geprägten Ortskirchen der nördlichen Hemisphäre. Am 17. Dezember 1936 wurde er in Buenos Aires geboren. Mit 22 Jahren trat der Argentinier dem Jesuitenorden bei, der seit mehr als 450 Jahren als intellektuelle Speerspitze der Katholischen Kirche gilt und herausragende Kirchenpersönlichkeiten und Theologen hervorbrachte. Bergoglio ist aber nicht in erster Linie ein Denker und intellektueller Stratege wie Benedikt XVI. Auch kein großer Kommunikator wie Johannes Paul II. Seine kurze Ansprache nach seiner Wahl vor den auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen zeigt ihn als bescheidenen, tiefgläubigen und warmherzigen Priester. Er erinnert in Gestus und Duktus an Johannes XXIII., den großen 1963 nach nur fünfjährigem Pontifikat gestorbenen Konzilspapst.

1998 Erzbischof von Buenos Aires

Bergoglios Vita liest sich wie die einer klassischen erfolgreichen Jesuitenlaufbahn. Er durchlief nach philosophischen und theologischen Studien alle wichtigen Stationen in seiner argentinischen Heimat. Nachdem er eine technische Schule als Chemie-Techniker absolviert hatte, trat er ins Ordensseminar ein. 1969 wurde er zum Priester geweiht, leitete von 1973 bis 1979 als Provinzial (Ordensoberer) die Geschicke der Jesuiten in Argentinien. Von 1980 bis 1986 war er Rektor der Theologischen Fakultät von San Miguel, einer Verwaltungseinheit in der Provinz Buenos Aires. Anschließend promovierte er in der Jesuitenhochschule St. Georgen bei Frankfurt – und kehrte als Geistlicher Direktor nach Cordoba, der zweitgrößten Stadt des Landes, zurück. Am 28. Februar 1998 wurde er zum Erzbischof von Buenos Aires ernannt.

Mit Franziskus hat die Kirche also einen Erneuerer an ihrer Spitze. Doch dieser Papst ist kein linkskatholischer Reformer. Mit Bergoglio dürfte es kaum zu Änderungen der Glaubens- und Moraldoktrin kommen. Weder wird der 76-Jährige den Zölibat aufheben, noch die künstliche Verhütung – Pille und Kondome – sanktionieren. Dieser Papst wird die vielerorts reiche und saturierte Kirche aus dem Evangelium der Armen erneuern. Er steht für eine Option für die Armen, für eine Kirche derer, die – wie der peruanische Theologe Gustavo Gutierrez schreibt – auf der Rückseite der Geschichte leben. Wer einmal die Armensiedlungen lateinamerikanischer Metropolen gesehen hat, die Favelas in São Paulo und Rio Janeiro, die Barrios in Lima und Bogotá, kann erahnen, was dieses Pontifikat mit der Kirche machen kann. Der Fokus wird mit Franziskus I. fort von dem bisherigen Zentrum auf die Peripherie gelenkt, auf die aufstrebenden Kirchen der südlichen Erdhalbkugel.

Bergoglio ist streng im Glauben, zurückhaltend in der Art, geradezu scheu. Gewaltige Hoffnungen ruhen auf dem neuen Papst. Mit 76 Jahren und seiner etwas angegriffenen Gesundheit ist er in die neue Papstwahl als krasser Außenseiter unter den Favoriten gegangen. Doch sein Beispiel hat die Kardinäle überzeugt. Mehr noch: Bei gerade mal fünf Wahlgängen waren sie von ihrem Favoriten offenkundig begeistert.

Anwalt der Armen

Der Erzbischof von Buenos Aires und Primas Argentiniens bevorzugt ein möglichst unauffälliges Auftreten in der Öffentlichkeit. So konnte er bereits als Kardinal öfter in der U-Bahn auf dem Weg in die Kathedrale an der Plaza de Mayo beobachtet werden. Auch in Rom geht er lieber im dunklen Mantel, ohne Kardinalshut. Bergoglio wird oft auch als Anwalt der Armen bezeichnet und als solcher von seinen Landsleuten verehrt. Zu Recht: Vor wenigen Wochen warnte er noch vor der „alltäglichen Übermacht des Geldes mit seinen teuflischen Folgen von Drogen und Korruption sowie dem Handel von Menschen und Kindern, zusammen mit der materiellen und moralischen Misere“.

Mit 21 Jahren wurde Bergoglio wegen einer schweren Lungenentzündung ein Teil der rechten Lunge entfernt. Sein schlichter Lebensstil ermöglichte ihm, mit diesem Handicap bis ins Alter recht gut zu leben. In der Zeit der argentinischen Militärdiktatur 1976 bis 1983, in der nach sozialer Aufruhr das Militär die Staatsmacht übernahm und Zehntausende Regimegegner ermordete, führte Bergoglio seine Ordensbrüder streng in strikt religiöse Aufgaben zurück.

Aus dieser Zeit resultierte auch seine Ablehnung der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, die von der Kirche neben einem spirituellen Aufbruch auch eine klare politische Parteinahme für die Entrechteten und Unterdrückten forderte. Bergoglio lehnte die Anlehnung der Befreiungstheologen wie Leonardo Boff, Gustavo Gutierrez oder Enrique Dussel an den Marxismus genauso ab wie die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der Frohen Botschaft.

Dem einzigen Jesuiten in diesem Konklave, der 2001 zum Kardinal berufen wurde, wird eine zu große Nähe zur früheren Militärdiktatur vorgeworfen. Er wurde beschuldigt, zwei Jesuiten nicht vor der Verfolgung durch die Junta geschützt zu haben. Er erklärte stets, er habe wenige Tage vor dem Staatsstreich 1976 die beiden Patres vor bevorstehender Gefahr gewarnt und ihnen angeboten, im Jesuitenhaus Schutz zu suchen. Die Priester, die in Elendsvierteln in Buenos Aires predigten, sollen nach Bergoglios Aussagen dieses Angebot abgelehnt haben. Zwei Monate später wurden die beiden von Militärs entführt und fünf Monate lang in der berüchtigten Marineschule Esma in Haft gehalten. Danach beschuldigten sie Bergoglio.

Diesen Anschuldigungen haben die Kardinäle keinerlei Bedeutung beigemessen. Bergoglios gemessen ausgesprochenen, aber inhaltlich unzweideutigen Worte bei heiklen doktrinären Fragen werden von ihnen geschätzt. Als Franziskus wird er vor allem das sozialpolitische Profil der Kirche stärken und sich selbst zum Fürsprecher der Armen machen. Mit klaren Worten geißelt er soziale Ungerechtigkeit. „Die ungleiche Verteilung der Güter ist eine soziale Sünde, die zum Himmel schreit.“ Dieser Antrieb erinnert an Johannes Paul II., der vielen als Moral-Apostel in Erinnerung geblieben ist. Dabei war dieser polnische Papst vornehmlich Sozialreformer, dessen erste von 102 Auslandsreisen ihn 1979 zur lateinamerikanischen Bischofsversammlung von Puebla in Mexiko führte, wo die Option für die Armen als kirchliches Grundgesetz festgeschrieben wurde. In diesem Geist steht Bergoglio.

Trotz seines Strebens, Distanz zu der Politik zu halten, kollidierte Bergoglio in den vergangenen Jahren mehrfach mit den Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner. Er kritisierte Korruption und Armut, wandte sich 2010 erfolglos gegen die Legalisierung der Homo-Ehe in Argentinien.

Vielleicht könnte man diesen Papst als konservativen Reformer und progressiven Traditionalisten charakterisieren. Auf jeden Fall wird er ein Segen für die Kirche sein.