Von der Dunkelheit ins Licht führten die Gedichte aus dem neu erschienenen Buch von Selda Falke und die dazu passenden Musikstücke von Bernhard Müller (Orgel, Klavier, links) und Jerzy Andrzejewski (Violine) bei der Orgelmatinée mit Lesung. Foto: Ferenbach Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Berührende Orgelmatinée mit Lesung von Selda Falke zu ganz persönlichen Trauerjahren

Dass der Weg durch Jahre der Trauer ein individueller ist, wurde bereits in der Begrüßung zur Orgelmatinée mit Lesung klar. Mit persönlichen Worten hieß Selda Falke am Sonntagvormittag die "vielen vertrauten, aber auch nicht so vertrauten Gesichter" in der gut besuchten evangelischen Stadtkirche in Neuenbürg willkommen.

Neuenbürg. In den nachfolgenden Lesungen sprach sie offen aus Herz und Seele und verstärkte so die familiäre, intime Atmosphäre in dem mit vielen Kerzen erleuchteten Altarraum. Die bewegenden Gedichte aus ihrem Buch "Trauerjahre – über Liebe, Tod und Weiterleben" wurden umrahmt von dazu passenden Werken für Orgel und Violine, dargeboten von Bezirkskantor Bernhard Müller und Jerzy Andrzejewski. Selda Falke, eine unter dem Künstlernamen Vogelsang insbesondere aus ihrer Zeit am Pforzheimer Stadttheater bekannte Schauspielerin, lebt seit fünf Jahren in Neuenbürg und arbeitet als freischaffende Künstlerin und Autorin im Bereich Schauspiel und Theaterpädagogik. "Ich hatte nie vor, ein Buch zu schreiben, doch die Texte sind einfach entstanden", schildert sie ihre Beweggründe für das im Juli 2019 erschienene und mit zahlreichen Fotos von Grabsteinen illustrierte Gedichtband.

Auslöser waren der Tod ihrer geliebten und vertrauten vier Jahre älteren und an Sichelzellenanämie erkrankten Schwester Selen im Jahr 2013, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. 2016 starb ihre Mutter an Krebs und ein Jahr später ihr Vater. "Trauer ist menschlich, natürlich, eigen, und es gibt kein Patentrezept für den Umgang damit", so die heute 40-jährige Autorin. Für sie sei das Schreiben ein heilsamer Weg gewesen, einer natürlichen Ordnung folgend, die sich in den drei Kapiteln Dunkelheit, Dämmerung und Licht niederschlug.

Aus allen drei Kapiteln zitierte Falke jeweils sechs Gedichte mit klarer, einprägsamer Stimme, immer wieder innehaltend für eigene Gedanken und Reflexionen der Zuhörer. Erstmals liest die Künstlerin aus ihrem eigenen Buch vor Publikum, zeigt aber keine Spur an Nervosität oder Unsicherheit, wendet die Augen immer wieder auf vom bedruckten Papier und sucht den Blickkontakt in den Reihen vor ihr. Sehr ergreifend fasst sie ihre Gefühle von Trauer und Schmerz, Verzweiflung und Lähmung in Worte. Wie in Briefen formuliert sie ihre Gedanken, tritt in Dialog mit ihrer verstorbenen, aber immer noch so nahestehenden Schwester, ihrem Liebsten und ihrer Mutter. "Du meine nahe Seele, meine zweite Haut", schreibt sie, als sie sich selbst nicht mehr als menschliches Wesen fühlt, sondern nur noch schwarzsieht. Als die "brennenden Narben" dann langsam heilen, gewinnt sie mit Selens Worten "In der Liebe, Schwesterherz, warte ich auf dich" wieder Zuversicht. Auch für den "letzten Moment" des Abschiednehmens, der "nach Hause trägt" und in den man so vieles hineinpacken möchte, findet sie ungeschönte, emotionale Worte und spricht dabei wahrscheinlich vielen aus der Seele.

Sehr einfühlsam

Im letzten Kapitel "Licht" beschreibt Falke wie sie zu neuer Freiheit gelangt, wie das Vermächtnis ihrer Schwester in ihr weiterlebt und wie auch selbst flüchtige Momente zu Spuren werden können. Auch die von Organist Bernhard Müller und Geiger Jerzy Andrzejewski vorgetragenen Werke ließen dem Thema "Tod und Trauer" – passend zum Totensonntag – viel Raum. Eingangs erklang das bekannte "Adagio für Violine und Orgel" von Tomaso Albinoni, ein Werk von besonderer Ausstrahlung, dessen mystischer Stimmung die beiden Solisten sehr einfühlsam nachspürten.

Nicht ganz so schön emotional austariert waren die folgenden Stücke, die Titelmusik aus "Schindlers Liste" von John Williams, das Präludium c-moll für Orgel von Josef Rheinberger und Johann Sebastian Bachs Choral "Jesus bleibet meine Freude". In letzterem schimmerte eher etwas zurückhaltend die beschwingte österliche Freude barocker Religiosität durch, das Licht, das auch Selda Falke am Ende des Tunnels erahnt, "vielleicht von einem Zauberer".