Bis zum 30. September dieses Jahres drehten sich 642 Windräder in Baden-Württemberg. Das in Gaildorf (Bild) ist das höchste seiner Art. Foto: dpa

Aufgrund geänderter Vergaberegeln der Bundesnetzagentur ist der Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg ins Stocken geraten – mit dramatischen Folgen: Vermutlich können von Mitte nächsten Jahres an im Land so gut wie keine Windräder mehr gebaut werden.

Stuttgart - In diesen Tagen wird im Stuttgarter Umweltministerium und vermutlich auch bei einigen Windkraftprojektierern in Baden-Württemberg kräftig gehofft und mindestens ebenso kräftig gebangt: Denn Mitte November verkündet die Bundesnetzagentur, welche Windkraftprojekte in der aktuellen Ausschreibungsrunde den Zuschlag bekommen – nur diese Projekte erhalten eine Förderung, nur sie sind also rentabel und werden verwirklicht. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Die Gefahr ist groß, dass Baden-Württemberg auch in dieser dritten Runde nur wenige oder gar keine Projekte durchkriegt. In den ersten Runden im April und August war der Südwesten völlig leer ausgegangen.

Das hat für den Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg dramatische Folgen – vermutlich können von Mitte nächsten Jahres an, wenn die Projekte mit Alt-Genehmigungen umgesetzt sein werden, so gut wie keine Windräder mehr gebaut werden. Das zeigt ein Blick auf die Zahl der Genehmigungen. 2016 waren stolze 201 Projekte freigegeben worden; das lag auch daran, dass wegen der absehbaren neuen Regeln viele Genehmigungen noch durchgepeitscht wurden. Doch 2017 sind es bis Ende September gerade einmal zwei gewesen.

Die Ziele der Landesregierung werden eher illusorisch

Das Ziel der Landesregierung, dass sich bis 2020 etwa 1100 Windräder drehen, ist deshalb schon jetzt kaum noch zu erreichen; bis zum 30. September dieses Jahres waren es 642. Und das klimapolitische Ziel, bis 2020 den Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung auf zehn Prozent zu steigern, ist schon heute illusorisch: 3500 Megawatt Leistung müssten dazu im Land installiert sein, im Moment ist es aber mit 1269 Megawatt nur ein gutes Drittel.

Die seit Jahresbeginn geltenden Vergaberegeln sollen den Bürgern dienen. Denn die Zuschüsse nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG), die letztlich die Stromkunden bezahlen, waren durch den rasanten Ausbau der Windkraft nach oben geschossen. Seit 2010 hatte sich die Umlage verdreifacht und macht heute rund ein Viertel des Strompreises für den Endkunden aus. Diesen Anteil wollte man begrenzen, indem man nun erstens eine Deckelung eingezogen hat (pro Jahr dürfen maximal 2800 Megawatt zugebaut werden, 2016 wurden noch 4500 Megawatt installiert) und indem man zweitens nur den günstigen Anlagen eine Förderung angedeihen lässt. In der zweiten Runde im August wurden 67 von 281 Geboten berücksichtigt; 40 dieser 67 Anlagen sollen in Brandenburg und Niedersachsen gebaut werden. 2018 wird die EEG-Umlage minimal von 6,88 auf 6,79 Cent pro Kilowattstunde sinken.

Das Ministerium befürchtet, dass die Windkraft ausgebremst wird

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) kämpft nun nach Kräften um neue Vergaberegeln. Sein Sprecher Frank Lorho sagt klipp und klar: „Wenn die Kriterien so bleiben, dann wird die Windkraft in Baden-

Umweltminister Franz Untersteller will erreichen, dass die Vergaberegeln überarbeitet werden. Foto: dpa
Württemberg schlicht und ergreifend ausgebremst.“ Da im Südwesten die Windräder immer auf Erhebungen gebaut werden müssten, seien die logistischen Kosten höher als etwa bei Anlagen an der Küste – dieser Umstand müsse in der Ausschreibung stärker berücksichtigt werden. Das Ministerium fordert eine „Regionalisierungskomponente“. Die neue Bundesregierung müsse die Regeln anpassen, sagt Lorho.

So sieht das auch der Bundesverband Windenergie in Berlin. Die „Fehlentwicklung des aktuellen Ausschreibungsdesigns“ müsse korrigiert werden, sagte Präsident Hermann Albers vor kurzem. Recht entspannt ist dagegen Hartmut Brösamle, der Vorstand des weltweit agierenden Windkraftentwicklers wpd in Bietigheim-Bissingen. Auch er sieht im zweiten Halbjahr 2018 und 2019 einen „massiven Einbruch“ beim Ausbau in Baden-Württemberg, aber er ist überzeugt, dass die Politik bald eingreifen und dann „der Spuk ein Ende haben“ werde. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, müsse man auch die Deckelung aufheben: „Mit 2800 Megawatt können wir wirtschaftlich leben, aber klimapolitisch nicht“, betont Brösamle.

Dem Sprecher der Bürgerinitiative fehlen die Kordinaten

Bertram Feuerbacher, der Sprecher der Bürgerinitiative Pro Schurwald, sieht sich dagegen durch die Ergebnisse der Ausschreibungen bestätigt. Sie zeigten, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung für Windkraftanlagen in Baden-Württemberg nicht stimme: „Es macht keinen Sinn, Windräder bei uns zu bauen.“ Das Argument, dass ohne Windräder im Süden teurere (und ungeliebte) Stromleitungen aus dem Norden gebaut werden müssten, ist ihm zu schwammig – er kenne keine gesamtwirtschaftliche Vergleichsrechnung dazu, die das bestätige.

Insgesamt kritisiert er, dass der Ausbau der Windkraft mehr wuchert als wächst: Es gebe keinen nationalen Ausbauplan; vielmehr entscheide jedes Bundesland, ja häufig jedes Landratsamt nach unterschiedlichen Regeln. In Bayern etwa gelte ein Abstand von Windrädern zur nächsten Siedlung von 2000 Metern, in Baden-Württemberg seien es nur 700 Meter: „Der Ausbau der Windkraft krankt daran, dass es keinerlei Koordination gibt“, sagt Feuerbacher.