Kürzlich entdeckten britische Forscher eine neue Blutgruppe namens MAL. Damit erhöht sich die Zahl der Blutgruppensysteme auf 47. Doch warum ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Blutgruppen zu unterscheiden? Ein Gespräch mit einem Arzt für Transfusionsmedizin gibt Aufschluss.
Nach über fünf Jahrzehnten der Forschung hat jüngst ein britisches Wissenschaftlerteam eine neue Blutgruppe gefunden. Das neue Blutgruppensystem namens MAL basiert auf dem Antigen AnWj, welches bereits in den 1970er-Jahren entdeckt wurde. Durch die neue Blutgruppe könnten potenziell Leben gerettet werden.
„Mit neuen Blutgruppen werden bestimmte Risikokonstellationen abgedeckt, die mit den bisherigen Systemen nicht erfasst werden konnten“, erklärt Markus M. Müller, Experte des DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg/ Hessen und Oberarzt für Transfusionsmedizin und Hämostaseologie.
Den Unterschied zwischen den Blutgruppensystemen machen verschiedene Antigene, die auf der Außenmembran der roten Blutkörperchen liegen. Antigene werden vom Immunsystem etwa bei einer Bluttransfusion als „fremd“ erkannt und daraufhin meistens bekämpft (die sogenannte Immunreaktion). Durch die Bestimmung der jeweiligen Antigene lassen sich solche Reaktionen ausschließen. „Wir lernen dadurch immer mehr über die Immunologie. Für den Körper ist es entscheidend zu erkennen, ob etwas körpereigen oder fremd ist“, so Müller weiter.
Ziel: Genom des Menschen besser verstehen
Insgesamt sind nun 47 Blutgruppensysteme bekannt, jedes mit eigenen genetischen Merkmalen und Oberflächenmerkmalen. Das neu erforschte System ist aber auch ein weiteres Mosaiksteinchen zur Entschlüsselung der menschlichen Genetik. Wissenschaftler untersuchen die Blutzellen, um herauszufinden, welche genetischen Eigenschaften ein Mensch mitbringt. „Durch die Erforschung solcher Antigene können wir das Genom eines Menschen besser verstehen und auch wichtige Rückschlüsse auf die Resistenz gegenüber Umweltfaktoren ziehen“, erklärte Facharzt Müller.
Wenn Gene sich verändern, also mutieren, passiert das rein zufällig und so entstehen auch neue Antigene. Überlebt eine Mutation - beziehungsweise ein Antigen – hat das meist evolutionäre Gründe. Tritt es in Teilen der Bevölkerung häufiger auf, stellt sich den Forschern daher die zentrale Frage: „Warum lässt die Evolution das zu?“
Normalerweise gibt es eine natürliche Selektion der Gene – sind sie von Vorteil, werden sie weitergegeben. Sind sie von Nachteil, werden sie innerhalb der Zeit immer weniger. Laut Müller ist die Schlussfolgerung: Es muss einen Grund geben, warum eine Mutation überlebt und die andere nicht. Das sei dann Gegenstand weiterer Forschungsarbeit.
Doch das Entschlüsseln und Erkennen neuer Blutgruppenmerkmale ist nicht nur für die Forschung wichtig, sondern wie eingangs erwähnt, auch für die praktische Anwendung in der Transfusionsmedizin. Für eine erfolgreiche Bluttransfusion müssen nämlich nicht nur die klassischen AB0-Blutgruppen übereinstimmen, sondern auch die weniger bekannten, spezifischen Merkmale des Empfänger- und Spenderbluts. „Wenn das Blut genetisch nicht kompatibel ist, kann der Körper Immunzellen dagegen aktivieren und die Zellen angreifen“, warnt der Transfusionsmediziner.
Besonders in komplexen Fällen, etwa bei seltenen Blutgruppenmerkmalen, wird dabei der internationale Austausch von Blut lebenswichtig. Müller erinnert sich an einen besonders dramatischen Fall: „Eine junge Frau brauchte dringend eine Transfusion mit einem speziellen Blutmerkmal, das nur sehr schwer zu finden war. Ganz Europa war involviert, und wir konnten ihr am Ende das passende Blut geben – sie überlebte.“
Arabisches und afrikanisches Blut wird wichtiger
Auch Migration und Globalisierung haben die Herausforderungen bei der Bluttransfusion vergrößert. Blutmerkmale, die früher regional auf andere Kontinente begrenzt waren, werden heute auch vermehrt in Europa benötigt. „Blut aus dem arabischen Raum oder aus Afrika wird immer wichtiger, weil viele Flüchtlinge und Eingewanderte eigene Genmerkmale mitbringen und passendes Blut benötigen“, erklärt Müller.
Solche Merkmale müssten jedoch entdeckt und korrekt zugeordnet werden, damit die Transfusion möglichst problemlos verlaufe. Blutbanken in Ulm, Hagen, Paris und Bristol kooperieren daher auf internationaler Ebene, um passende Blutkonserven für Patienten mit unterschiedlichen genetischen Hintergründen zu sammeln, einzufrieren, tiefgefroren zu lagern und bereitzustellen.
Beispielsweise gibt es in Afrika genetische Eigenschaften, die einen Schutz gegen Malaria bieten – eine genetische Anpassung, die es in europäischem Blut kaum gibt. Ein anderes Beispiel ist Thalassämie, eine genetische Störung der Hämoglobinbildung, die im arabischen Raum häufiger auftritt. Thalassämie-Betroffene benötigen oft regelmäßige Bluttransfusionen. „Solche Patienten sind auf Transfusionen angewiesen, die genau passen, da es ansonsten zur Antigenbildung kommen kann“, so Müller. Dabei sollte das Spenderblut möglichst die gleichen Merkmale aufweisen.
Blut ist nicht einfach nur Blut
Die Erforschung des Blutes und die Transfusionsmedizin haben seit dem frühen 20. Jahrhundert enorme Fortschritte gemacht. Als der österreichische Wissenschaftler Karl Landsteiner 1901 das AB0-Blutgruppensystem entdeckte, revolutionierte er die Medizin: Bis dahin waren Bluttransfusionen ein riskantes Unterfangen, oft mit lebensbedrohlichen Folgen. Seitdem hat sich unser Verständnis von Blutgruppen kontinuierlich erweitert.
Insbesondere die ISBT (International Society of Blood Transfusion) spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, um die neuesten Erkenntnisse auszutauschen. Gemeinsam werde dann nach Lösungen gesucht oder besprochen, wie mit neuen Entdeckungen weitergearbeitet werden kann.
Denn Blut ist nicht einfach nur Blut – „Es unterliegt tausenden Spezifikationen, und je besser wir diese verstehen, desto besser können wir Patienten helfen“, sagt der Spezialist des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg/ Hessen.