Museumsmitarbeiterin Annette Hehr neben der Vitrine mit Produkten, die von Eva Stricker gestaltet wurden. Foto: Fritsche

Die Jubiläumsausstellung "Alle Tassen im Schrank" im Stadtmuseum beleuchtet die 200-jährige Geschichte der Majolika und ihre große Bedeutung für die Entwicklung der Stadt Schramberg.

Schramberg - Schon fast fertig ist die Ausstellung, die am Mittwoch, 16. Juni, auch noch offiziell eröffnet wird, beim Pressetermin: Nur einige gläserne Schutzvorrichtungen warten noch darauf, über die wertvollen Exponate gestülpt oder an Regalen angebracht zu werden. Ein Schiefertafel empfängt die Besucher beim Eingang in den Hauptraum: Mit Kreide kann er darauf den Satz ergänzen: "Die Majolika gehört zu Schramberg, wie ...".

In diesem größten der drei Ausstellungsräume werden die 200-jährige wechselvolle Geschichte des Steinguts und der "Schramberger Majolikafabrik" anhand von großen Wandtafeln und vielen Originalobjekten dokumentiert, Hintergründe berichtet und Höhepunkte beleuchtet. "Ausgestellt sind nicht nur dekorative, sondern auch im Alltag verwendete Gebrauchsgegenstände", erläutert Annette Hehr, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Stadtmuseums. In einer der Vitrinen sind zum Beispiel Produkte aufgestellt, die von der legendären Designerin Eva Stricker, später verheiratete Zeisel, im Bauhausstil gestaltet wurden.

Informativ und spannend sind die Wandtafeln über den Werdegang: Von Isidor Faist 1820 gegründet als Faist’sche Steingutfabrik bis 1929, als Steingut- und Majolikafabrik Uechtritz und Faist bis 1883, dann als Villeroy & Boch bis 1912, dem Verkaufsjahr an die Brüder Moritz und Leopold Meyer; deren Exil in England ab 1938 und die Rückkehr von Moritz 1949, der die Majolika wieder in Besitz nehmen konnte. Danach 1970 die Fortführung durch seinen Sohn Peter. Dessen Kinder Annette und Michael Melvin übernahmen 1986 die Firma und führen sie nach dem Ende der Steingutproduktion 1989 als Firmenpark bis heute.

Dass Schramberg ohne die Majolika eine andere Stadt geworden wäre, drängt sich als Schlussfolgerung zwingend auf. Ohne sie hätte es möglicherweise sogar die Uhrenfabrik Junghans gar nicht gegeben. "Ohne die Majolika wäre Nicolas Junghans, der Vater des Firmengründers Erhard Junghans, nicht nach Schramberg gekommen", erzählt Hehr. Nikolaus und seine Familie wurden 1841 von seinem alten Freund Isidor Faist nach Schramberg geholt, um in dessen Steingut- und Majolikafabrik Uechtritz und Faist als Kupferdrucker zu arbeiten.

Kinder früh als Kunden entdeckt

Das Aufbringen der Bemalung war eine hohe Kunst: Kupferstiche wurden mit Seidenpapier abgezogen und so die farbigen Muster auf die Keramik gebracht. Auch der Bahnanschluss, dem viele Schramberger noch immer zu Recht nachtrauern, für den Transport der Rohstoffe – vor allem Kohle – und den Abtransport der Ware hatte das Geschäft befördert.

Wendet man sich vom Haupteingang nach links, öffnet sich ein weiterer Raum. Sein Thema ist die Vermarktung der Majolika-Produkte im Lauf der Zeit. "Meist gab es im Frühjahr und Herbst neues Dekor", erläutert Hehr. Ins Auge fallen die originale Ausrüstung des Handelsvertreters, der früher zu den Kunden gereist ist: sein Vertreterkoffer, seine Werbegeschenke. Man sieht ihn förmlich damit im Volkswagen oder D-Zug sitzen. Im selben Raum finden sich nicht nur die "Kassenschlager", die in vielen Haushalten allgegenwärtig waren, sondern auch Unikate und eine "Kinderecke": Auch der Nachwuchs wurde früh als Kundschaft entdeckt.

Im dritten Raum wird mit Tafeln, Grafiken und Originalwerkzeug der Entstehungsprozess von der Steingutmasse bis zum fertigen Produkt gezeigt. Dort wird besonders deutlich, dass der Produktionsprozess personalintensiv war, die Lohnkosten deshalb ein entscheidender Faktor waren und dass alleine deshalb schon die Produktion in Deutschland oder Europa auf Dauer keine Chance hatte.

Während die Geschäfte in den 70er-Jahren boomten, ging es in der 80er-Jahren kontinuierlich zurück. Zum einen hatten die asiatischen Mitbewerber niedrige Lohn- und Rohstoffkosten, zum anderen waren die Keramikprodukte nichts für die Spülmaschinen. Den Niedergang konnten auch dafür besser geeignete und in der Ausstellung gezeigte Produkte aus "Keravit" (Feinsteinzeug) nicht stoppen, ebenso wenig der Versuch, Bauteile für Auto-Katalysatoren zu entwickeln: Ein Wabenstück ist ausgestellt. 1988 erschien zum Abschied eine kleine Kaffeetasse im Retrodesign, das es auch schon in den Anfängen der Steingutfabrik gegeben hatte.

Zweimal, mit der Steingut- und der Uhrenproduktion, hat Schramberg jetzt schon einen wirtschaftlichen Strukturwandel und den damit einhergehenden Niedergang einer Branche erlebt und ihn erfolgreich bewältigt. Das lässt hoffen, dass es der Stadt beim von E-Mobilität und Digitalisierung befeuerten Strukturwandel der Automotive-Branche wieder gelingt.INFO:

Die jeweils aktuelle Möglichkeit des Museumsbesuchs kann in Abhängigkeit von der Corona-Inzidenz variieren. Die jeweils geltenden Bedingungen sind im Internet auf www.schramberg.de veröffentlicht. Für den Besuch ist derzeit ein tagesaktueller negativer Coronatest, ein Impf- oder Genesenen-Nachweis erforderlich.