Ein Kangal hat in Neubulach einen Mischling angegriffen.(Symbolfoto) Foto: dpa

Festgebissen und durch Luft geschleudert. Nach Anzeige: Auflagen möglich.

Neubulach - Balou ist als ausgebildeter Therapiehund besonders gut erzogen und oft unter Kindern, bald soll er auch Senioren im Pflegeheim erfreuen. Kürzlich aber musste sein Frauchen um Balous Leben bangen: Ein Kangal in Begleitung einer Dogge hat ihn angegriffen.

"Wir machen uns Gedanken über den Wolf, aber das hier ist viel schlimmer", sagt Balous Halterin mit Blick auf aktuelle Diskussionen in der Öffentlichkeit, und das nicht ohne Grund: Kangals werden ursprünglich als Herdenschutzhunde verwendet – um Schafe vor Raubtieren zu beschützen. Auch im Nordschwarzwald wird seit vermehrten Wolfssichtungen der Einsatz von Hirtenhunden zunehmend ein Thema.

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich an einem Morgen Anfang August in der Nähe des Waldspielplatzes im Neubulacher Ortsteil Martinsmoos abgespielt haben: Dort sei sie mit ihrem knapp neunjährigen Mischling unterwegs gewesen, erzählt Balous Halterin. Der sei "bei Fuß" gelaufen, nicht an der Leine. "Dann höre ich jemanden schreien, gucke die Wiese runter und sehe, wie zwei Hunde bellend auf uns zu rennen." Sie habe ihrem Hund den Befehl "Sitz" gegeben, sich vor ihn gestellt und versucht den Kangal und die Deutsche Dogge einzuschüchtern, indem sie sie anbrüllte. "Wenn sich zwei je 60 bis 70 Kilo schwere Tiere so nähern, hat man schon auch Schiss", erzählt sie. Zumal sie gleich erkannt habe, "dass das rappelt". Nach ihren Worten seien die Vierbeiner "nicht wie Spielgenossen" auf Balou zugekommen.

Halterin entscheidet sich dafür, andere in der Umgebung zu warnen

Die beiden Hunde hätten sie ignoriert, der Kangal habe sich gleich in Balous Hals festgebissen. Die Dogge habe ihre Runden um die Szene herum gedreht. Zwar habe sich der – mit rund 30 Kilogramm vergleichsweise leichte – Balou "sofort unterworfen". Doch der Kangal habe nicht aufgehört, ihn geschüttelt und durch die Luft geschleudert. "Normalerweise lassen Hunde von anderen ab, sobald sie sich unterwerfen, aber das kannte ich so noch gar nicht."

Entsprechend panisch sei ihre Reaktion gewesen: "Der bringt meinen Hund um", habe Balous Frauchen der anderen Halterin zugerufen und sie aufgefordert, schnell herzukommen. Die aber habe noch einige Zeit gebraucht, bis sie an den Ort des Geschehens geeilt war und den Kangal zurückziehen konnte. Und dabei habe die Frau "echt zu tun" gehabt, das Kraftpaket unter Kontrolle zu bringen. Sie habe sich gleich für den Vorfall entschuldigt. "Auf dem Heimweg hat Balou dann angefangen zu krampfen", erzählt seine Halterin. Die Bilanz der Attacke: Der Mischling hat Einbisse an Hals und Schulter sowie mehrere Blutergüsse.

In den Tagen danach habe sie lange gegrübelt, ob sie mit dem Fall überhaupt an die Öffentlichkeit gehen sollte. Doch letztlich habe sie sich dafür entschieden, die Menschen in der Umgebung zu warnen, erzählt Balous Frauchen. "Vor solchen Hundehaltern habe ich echt Bammel", sagt sie, "durch solche Leute kommen Hunde in Verruf".

Im Rathaus sind weitere Fälle dieser Art nicht bekannt

Generell findet sie, dass es für alle Hunde und deren Halter Regeln geben müsse, etwa eine Pflicht zum Besuch einer Hundeschule. Kampfhunde-Listen lehnt sie eher ab. Doch sie ist der Meinung, dass Herdenschutzhunde wie Kangals in einem Wohngebiet in der Nähe von Kindern nichts zu suchen hätten. "Die gehören mit Auflagen dahin, wo sie ihre Aufgaben machen können", sagt sie. Für den betreffenden Kangal verlangt sie das aber nicht einmal: "Die Halterin soll den Hund nicht unbedingt abgenommen bekommen, aber er sollte einen Maulkorb bekommen und an die Leine müssen." Damit muss sich bald die Stadtverwaltung Neubulach befassen: Nachdem Balous Frauchen den Fall angezeigt hat, schreibt nun die Polizeihundestaffel in Pforzheim ein Gutachten. Auf dessen Grundlage muss dann im Rathaus über mögliche Auflagen für die Kangal-Halterin entschieden werden.

Besonders pikant: Balous Frauchen berichtet von einem ähnlichen Vorfall vor zwei Jahren, als sie dem gleichen hellbraunen, unangeleinten Kangal – damals sei dessen Halterin nicht in Sichtweite gewesen – schon einmal begegnet sei. Ihre kleinen Kinder seien dabei gewesen, die sie sofort in eine nahe gelegene Schutzhütte geschickt habe. Sie selbst habe sich vor den Kangal gestellt und ihn angeschrien, der sei dann umgedreht und weggegangen. Außerdem wisse sie von weiteren vergleichbaren Situationen in Verbindung mit demselben Kangal.

Die Neubulacher Stadtverwaltung bestätigt auf Nachfrage den jüngsten Vorfall, der angezeigt wurde. Weiteres dazu könne man aufgrund des laufenden Verfahrens noch nicht sagen. Über angebliche weiter zurückliegende Fälle mit demselben Kangal sei im Rathaus nichts bekannt.

Info: Der Kangal

Ein Kangal ist "ein lupenreiner Herdenschutzhund", sagt Udo Kopernik, Pressesprecher vom Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH). Entsprechend wenig "Affinität gegenüber Menschen" weise diese Hunderasse auf. Wer Kangals halten will, müsse ihr Verhalten genau kennen und brauche entsprechende Qualifikationen, sagt Kopernik. So müsse man wissen, dass Kangals "sehr territorial und bewachend" seien, vor allem in der Zeit zwischen der Abenddämmerung und den Morgenstunden. "Kangals sind keine klassischen Familienhunde", sagt der Experte, der die Tiere eher als geeignet für Schäfer und andere landwirtschaftliche Betriebe sieht.

Zumal Kangals zu der Sorte von Herdenschutzhunden gehören, die laut Kopernik charakterlich "noch sehr nah an der ursprünglichen Verwendung" in der Natur sind. Er sagt, dass man Kangals gerade am Morgen und am Abend lieber an die Leine nehmen sollte. In der jüngeren Vergangenheit waren Kangals in Baden-Württemberg nicht nur mit Blick auf den steigenden Bedarf an Herdenschutz ein Thema: Im vergangenen Jahr tötete ein Kangal eine Rentnerin im Kreis Sigmaringen; und erst vor gut zwei Wochen sorgte ein Kangal in Balingen (Zollernalbkreis) für Schlagzeilen, weil er – wiederholt – einen anderen Hund angegriffen und verletzt hatte.