Franz Alt (links) berichtete in Neubulach aus seinem spannenden Leben. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Journalist und Autor erzählt unglaubliche Anekdoten / Ringen um "neuen" Jesus und Welt-Ethik

Der Journalist und Buchautor Franz Alt ist schon ein Phänomen. Auf Einladung der Volkshochschule (VHS) Calw war er am Freitagabend in den Bürgersaal des Neubulacher Rathauses gekommen. Und brachte sein Publikum zum Staunen und Nachdenken.

Neubulach. Journalist und Buchautor – das greift eigentlich nicht wirklich, wer oder was der in Baden-Baden lebende Franz Alt tatsächlich ist. Er hat Theologie studiert, aber auch Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie. Er schreibt seit drei, vier Jahrzehnten Bücher, die – mehr oder weniger offen – unsere Welt verändert haben. Er war als TV-Journalist und Moderator des SWR zwei Jahrzehnte mit dem Magazin "Report" in deutschen Wohnzimmern präsent. Und er kennt die Welt und die ganz Großen – manchmal sehr persönlich, sehr privat. Und weiß unglaubliche Anekdoten zu erzählen.

Persönliches vom Papst

Auch hier in Neubulach. Der Bürgersaal fasst kaum die Menge Menschen, die Franz Alt heute Abend hören wollen. Alles an Stühlen wird herbeigetragen, was das Rathaus hergibt. Trotzdem müssen einige Zuhörer unbequem auf Tischen oder dem Boden sitzen oder gar stehen, um dem großen Erzähler zu lauschen. Sie harren aus, hängen an seinen Lippen; manchmal auch kritisch. Denn Alt ist gekommen von seiner Idee eines "neuen" Jesus zu berichten. Und das im Stammland des Pietismus. Franz Alt ist Katholik. Schreibt heute für Radio Vatikan. Kann sehr Persönliches, Privates, Intimes vom Papst selbst erzählen.

Dessen aktuellen Lieblingswitz zum Beispiel: "Unterhalten sich zwei Kardinäle über den neuen Papst. Ein ganz toller, progressiver, aus Lateinamerika. ›Ob er das Zölibat abschaffen wird?‹, fragt der eine den anderen. ›Vielleicht. Aber das werden wir wohl nicht mehr erleben; vielleicht unsere Kinder...‹" Franz Alt ist begeistert von einem Papst, der so selbstironisch mit seiner Kirche umgeht. Denn Alt selbst predigt und sucht in seinen Werken einen Ur-Jesus, der ebenfalls an so einem Papst seine Freude gehabt hätte. Alt ist über aramäische Originaltexte des Neuen Testaments gestolpert, in denen ein ganz anderes Jesus-Bild erzählt wird, als es uns die christlichen Kirchen seit 2000 Jahren weiß machen wollen.

Ein (derzeit prominentes) Beispiel: Das Vaterunser – "...und führe uns nicht in Versuchung" – werde seit Jahrhunderten wiedergegeben. Im aramäischen Original, wie es Alt zitiert, heiße es: "Führe uns in der Versuchung" oder "aus der Versuchung heraus". Kann man für Haarspalterei halten. Aber wenn man bedenkt, dass über solche Buchstaben-Streite in der Menschheitsgeschichte bereits Kriege geführt wurden, ahnt man die Brisanz. Überhaupt Kriege: Jesus habe nie behauptet, er würde "das Schwert" oder gar den Krieg bringen, wie es bis heute in den Bibelübersetzungen über ihn heißt. Sondern: "Ich bin nicht gekommen, Harmonie zu verbreiten, sondern Streitgespräche." Insofern sieht sich Franz Alt als Erbe und Nachfolger des "wahren" Jesus. Er will, das sagt er mehr als einmal auch an diesem Abend, die Leute zum miteinander Diskutieren, Streiten bringen.

Und das schafft dieser mittlerweile 80-jährige Mann, der mit Michail Gorbatschow und dem Dalai Lama tiefe Freundschaften pflegt. 1983 schrieb Alt sein Buch "Liebe ist möglich", in dem er erstmals die biblische Bergpredigt als "politisches Programm" den Menschen ins Stammbuch schrieb.

Aussöhnung der Religionen

Gorbatschow habe sich das Buch damals übersetzen lassen. Und habe es zum Maßstab seiner Politik gemacht, erzählt Alt – der später andere Bücher mit seinem "Fan" Gorbatschow zusammen schrieb. Gorbatschow machte die Liebe, wie sie Franz Alt predigt, tatsächlich möglich. Der Eiserne Vorhang fiel, die Welt erlebte einen unfassbaren Wandel.

Wer so etwas in seinem Leben mit seinen Büchern erlebt, kann wohl nicht anders, als immer weiter um das Leben und die Menschen zu ringen. Um eine Aussöhnung der Religionen, aller Religionen. Eines Morgens habe ihm seine Ehefrau das Telefon ans Bett gebracht. Der Dalai Lama war dran, wollte sich mit Alt mittags zum Essen in Straßburg treffen. Ein wahrlich unfassbares, großes Leben, das Franz Alt da lebt. Beim Essen dann schob der geistliche Führer der Buddhisten dem deutschen Buchautor seinen Nachtisch rüber, da der weise Mann in der ewig roten Toga selbst so gerne Süßes esse, erzählt Alt. Auf dessen Nachfrage habe der Dalai Lama augenzwinkernd erwidert, genau das sei das Problem – er wolle nicht als Biene wiedergeboren werden.

Aber der Dalai Lama kann, so Alt weiter, natürlich auch sehr ernst sein. Und predigt eine Lieblingsidee von Franz Alt, die dieser ebenfalls an diesem Abend mehrfach zitiert: "Ethik ist wichtiger als Religion." Meint: Jeglicher Glaubensstreit, seit Menschengedenken der wichtigste Kriegsgrund – auch heute –, habe hinter einen gemeinsamen Nenner zurückzutreten: "Das Liebesgebot", wie es (auch) ein Jesus gelehrt hat. Und das die Welt verändern kann.

Noch eine dieser schier unglaublichen Anekdoten vom großen Franz Alt: Am 15. August 1989 sei er als einziger Journalist bei einer Zusammenkunft der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley in deren Ostberliner Wohnung gewesen. Immer wieder riefen andere (westliche) Journalisten bei ihr an, wollten wissen, was da gerade passiere. Bohley sei irgendwann so genervt gewesen wegen dieser Anrufe, dass sie nicht mehr ans Telefon gehen wollte. Einer der Anwesenden riet ihr im Spaß, sie solle dem nächsten der ungebetenen Anrufer einfach sagen, "am 9. November gäbe es eine Riesendemo in Ostberlin mit einer Million Teilnehmer, die das Ende der DDR besiegeln würde". "Ein Witz", so Alt. Der am nächsten Tag so in allen westlichen Zeitungen als wahr zitiert wurde. Und zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde – denn bekanntlich fiel am folgenden 9. November tatsächlich die Berliner Mauer und besiegelte das Ende der DDR.