Eng geht es in der und rund um die Stuttgarter Liederhalle zu – zu eng nicht nur aus Sicht der Konzertveranstalter. Foto: dpa

Die Liederhalle kommt räumlich an ihre Grenzen. Das ist nicht neu. Weil die Schlossgartenphilharmonie aber bisher nicht mehr als eine Idee ist, dringen die sachkundigen Bürger auf eine Lösung.

Stuttgart - Stuttgarts Name als Heimat für Kulturveranstaltungen ist in Gefahr. Wegen Raumnot. Das befürchten unter anderen die sachkundigen Bürger, eine Expertengruppe, die den Gemeinderat berät. Die Experten fordern von der Verwaltung, zu prüfen, ob es rund um die Liederhalle Erweiterungsmöglichkeiten gibt. Stuttgarts Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) winkt ab.

Verprellte Künstler

Carla Bruni singt nicht gerne in ehemaligen Fabrikhallen. Deswegen wird die Gattin des ehemaligen französischen Staatspräsidenten kaum in Stuttgart zu hören sein. Das glaubt zumindest Paul Woog, der Geschäftsführer des Konzertveranstalters SKS Michael Russ GmbH. Woog findet keine passenden Räume für Musiker, die zwar keine Klassik spielen, aber trotzdem nicht in Clubs wie dem LKA-Longhorn auftreten wollen. „Es gibt inzwischen viele Künstler, die an Stuttgart vorbeiziehen, weil wir ihnen keinen Veranstaltungsort bieten können“, sagt Woog. Ein Beispiel dafür ist auch der chinesische Pianist Lang Lang, für den im Beethovensaal kein Termin zu bekommen war.

Unterhaltung hat es schwer

Vor allem bei Rock-, Pop- und Entertainmentveranstaltungen ist die Not groß. „Klassische Konzerte werden mit langem Vorlauf geplant. Im Unterhaltungsbereich haben wir viel weniger Zeit“, sagt Paul Woog. Nur zwischen vier und acht Monaten bleiben ihm meist, um mit dem Tourneemanager und dem Konzerthallenbetreiber zu verhandeln. „Termine zwischen Montag und Donnerstag sind wirtschaftlich nicht interessant, und an den Wochenenden wird es oft eng“, sagt Woog.

Die Liederhalle zum Beispiel ist ständig ausgebucht. Allein schon der Beethovensaal ist an 340 Tagen im Jahr belegt. Der Ansturm auf den Konzertsaal ist auch deswegen so groß, weil andere Räume in den letzten Jahren geschlossen wurden. „Man spürt natürlich, dass es Orte wie das Kongresszentrum B der alten Messe und Clubs wie die Röhre, oder das Zapata nicht mehr gibt“, sagt Norbert Hartmann vom Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle.

Das Radio-Sinfonieorchester

Dieser Zustand könnte noch schlimmer werden, fürchten viele, wenn ab Herbst 2016 das neue Sinfonieorchester des Südwestrundfunks (SWR) in der Liederhalle proben wird, das durch die Fusion des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (SO) entstehen soll. „Um den Standort Stuttgart für das neue Orchester attraktiv zu machen, hat der Gemeinderat dem Klangkörper insgesamt 120 Termine in der Liederhalle versprochen“, sagt Andreas Keller von den sachkundigen Bürgern. Bisher hatte das RSO die Liederhalle an nur an etwa 50 Tagen im Jahr gebucht.

Für den Orchestermanager des RSO, Felix Fischer, ist es „essenziell wichtig“ den Beethovensaal nicht nur zu Konzerten, sondern auch bei Proben nutzen zu können. „Wir können nur ein kleines Kontingent unserer Stücke in anderen Sälen proben“, sagt er. „Die Akustik im Hegelsaal zum Beispiel ist eine ganz andere, wir können nicht in einem Saal proben und im anderen aufführen.“

Dafür mussten andere Nutzer des Beethovensaals zurückstecken. „Wir haben versucht, das Optimale für alle Beteiligten herauszuholen, aber es ist richtig, dass die zusätzlichen Termine für das Radio-Sinfonieorchester hauptsächlich zulasten der Rock- und Popkonzerte gehen“, sagt NorbertHartmann.

Das Musikquartier

Ein weiterer Grund für den Vorstoß der sachkundigen Bürger ist die Frage des Standorts. Sie wollen einen neuen Konzertsaal in der Innenstadt. „Wir wünschen uns eine Lösung in der Nähe der jetzigen Liederhalle“, sagt Andreas Keller, bis 2008 Intendant der Bachakademie. Konkreter wird Konzertveranstalter Paul Woog: „Wir brauchen einen zusätzlichen Raum von der Größe des Beethovensaals, und wir brauchen einen Raum für Rock und Pop mit etwa 800 Stehplätzen.“ Er sieht noch Entwicklungsfläche zwischen Liederhalle und Berliner Platz oder zwischen Mensa und Hegelstraße. „Wenn man will“, sagt Woog, „dann gibt es auch Möglichkeiten.“

Dass der neue Konzertsaal in der Nähe der Liederhalle sein sollte, hält Woog für unbedingt notwendig. „Es steht einer Stadt gut zu Gesicht, Konzerte im Zentrum zu haben und nicht im Industriegebiet eines Außenbezirks“, sagt er. Außerdem sei es auch aus logistischen Gründen geboten, Konzertsäle nicht in allzu großer Entfernung voneinander zu betreiben. „Dann müsste man das Material nicht jedes Mal durch die ganze Stadt fahren.“

Modernisierung?

Das Problem des mangelnden Stauraums kennt auch das Radio-Sinfonieorchester. „Wir brauchen im Beethovensaal mehr Platz für unsere Instrumente in der Nähe der Bühne “, sagt Orchestermanager Felix Fischer. „Ein Bassist kann seinen Instrumentenkasten nicht für jede Probe herbeitragen.“

Dieses Problem soll demnächst behoben werden. „Im Gebäude selbst soll mehr Raum geschaffen werden, ohne bauliche Veränderungen vorzunehmen“, sagt Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann.

Die Liederhalle steht genauso wie der Berliner Platz und der Hoppenlaufriedhof unter Denkmalschutz. Deswegen sind Anbauten grundsätzlich nicht möglich.

Paul Woog stellt sich für seine Popkonzerte auch eher einen Neubau vor. „Es muss ein Konzertsaal sein, der auch im Jahr 2020 noch seinen Zweck erfüllt“, sagt er, „mit einer multimedial bespielbaren Projektionsfläche.“

In der Liederhalle selbst gibt es bisher keine technische Ausstattung für Rock- oder Popkonzerte. Beide großen Säle sind nur mit Weißlicht ausgestattet. Was die Tontechnik betrifft, so sei das Kultur- und Kongresszentrum aber auf dem neuesten Stand, wie Norbert Hartmann, der Leiter der Liederhalle, betont.

Schlossgartenphilharmonie

Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster träumte 2009 von einem Neubau direkt am Hauptbahnhof, wo sich jetzt noch das Gleisfeld des Kopfbahnhofs befindet. Doch die Euphorie von früher ist inzwischen Nüchternheit gewichen, und selbst Bürgermeisterin Eisenmann hat Zweifel, ob es je zum Bau einer Schlossgartenphilharmonie kommen wird. Dauern würde das Projekt ohnehin noch lange, weil zuerst der neue Bahnhof gebaut werden muss.

Deswegen sind sich alle einig, dass schon früher eine Lösung gefunden werden muss.

Einem neuen Konzertsaal in der direkten Nachbarschaft der Liederhalle gibt Bürgermeisterin Eisenmann aber wenig Chancen. „Das muss nicht geprüft werden, es ist schlicht unmöglich“, sagt sie. Gibt es Alternativen? „Das ist ein laufender Prozess“, antwortet Eisenmann. Die sachkundigen Bürger haben dennoch ihre Hoffnung auf ein Musikquartier noch nicht aufgegeben. „Wir wollen, dass das Thema nicht von der Bildfläche verschwindet“, sagt Peter Jacobeit, der als Geschäftsführer der Kulturgemeinschaft ebenfalls in der Expertengruppe sachkundige Bürger sitzt.