„West Side Story“ ist ein einziger Bewegungs-, und Gefühlsrausch. Foto: imago images/ZUMA Wire/Twentieth Century Studios via www.imago-images.de

Regisseur Steven Spielberg hat das Kultmusical „West Side Story“ modern akzentuiert und ist zugleich nahe an der legendären Kinofassung von Robert Wise geblieben. Damit liefert er einen weiteren Oscar-Anwärter.

Stuttgart - Steven Spielberg („Schindlers Liste“) hat sich seinen lang gehegten Traum erfüllt, die „West Side Story“ neu fürs Kino aufzubereiten. Ein mutiges, risikoreiches Unterfangen. Zehn Oscars hat das Original aus dem Jahr 1961, in Szene gesetzt von Robert Wise („The Sound of Music“/„Meine Lieder, meine Träume“) und dem Choreografen Jerome Robbins, gewonnen. Entsprechend stand er bei seinem Update unter Druck. Was er spielerisch gemeistert hat – und clever genug war, bei seiner Blaupause wenig zu verändern.

Eine riesige Abrissbirne füllt zunächst die Leinwand. Bauschutt türmt sich auf maroden Straßen. Auf einem Plakat erfährt man, dass hier das Lincoln Center entsteht, der Stadtteil Upper West Side soll saniert und reanimiert werden. Gentrifizierung ist bereits 1957 ein Thema, zum Ärger von Riff (Mike Faist) und seinen Jets, die aus einem Kanal auftauchen, den „Jet Song“ zum Besten geben und dynamisch durchs Viertel tanzen. Ihr Territorium. Ihre Regeln. Was die Sharks, die puerto-ricanische Gang von Bernardo (David Alvarez), nicht hinnehmen will. Ihr Territorium. Ihre Regeln. Und schon prügeln sie wieder aufeinander ein. Mühselig getrennt von Leutnant Schrank (Corey Stoll) und seinen überforderten Cops.

Shakespeares ewiger Stoff von der Liebe

Der ewige Stoff stammt von William Shakespeare. Dessen Banden waren die verfeindeten Familienclans Montague und Capulet, ihre tragischen Helden „Romeo und Julia“. Die nun Tony (Ansel Elgort), Kumpel von Riff und Ex-Anführer der Jets, und Maria (Rachel Zegler), Schwester von Bernardo, heißen. Auf einer Tanzveranstaltung im Gemeindezentrum schauen sie sich erstmals tief in die Augen – und wissen, dass sie füreinander bestimmt sind.

Um Liebe geht es im Kern. Um Liebe, die an der Realität zerbricht, an Rassenschranken, an Hass, Wut und Angst vor allem Fremden. Brisant, hochmodern ist diesbezüglich das Drehbuch des Pulitzer-Preisträgers Tony Kushner („Angels in America“), der sich weitgehend ans 1957 im New Yorker Winter Garden Theatre uraufgeführte Musical von Leonard Bernstein (Musik), Stephen Sondheim (Liedertexte) und Arthur Laurents (Buch) gehalten hat. Subtil sind seine Umarbeitungen: Die Geschichte ist teilweise an anderen Schauplätzen verortet, die Reihenfolge der Lieder wurde vertauscht, den Song „Somewhere“, ursprünglich von Tony and Maria – in Person von Richard Beymer bzw. Natalie Wood – zum Besten gegeben, interpretiert diesmal die lebenskluge Latina Valentina (Rita Moreno).

Ein einziger Farben- und Bewegungsrausch

Womit die markanteste Neuerung genannt ist. Moreno, eine von nur 16 Künstlern, die im Verlauf ihrer Karrieren einen Academy Award, einen Emmy, einen Grammy und einen Tony Award gewonnen haben, tritt in dieser Rolle an die Stelle ihres verstorbenen Ehemannes Doc, Besitzer des Drugstores, den sie inzwischen führt. Tony jobbt und wohnt hier, mütterlich betreut von der Witwe, die ihn Aufrichtigkeit und Güte lehrt und zwischen den Bandenmitgliedern, die sich hier regelmäßig treffen, zu vermitteln versucht. Sogar als Dolmetscherin fungiert sie, ganze Dialogpassagen sind – ohne Untertitel – in Spanisch gehalten. Dennoch kann man dem Geschehen problemlos folgen, dank der intuitiven Bildsprache Spielbergs, der sich einmal mehr als ganz Großer seines Faches erweist. Morenos ursprünglichen Part der Anita, Bernardos feuriger, schlagfertiger und spitzzüngiger Freundin, hat Ariana DeBose übernommen, die im Kreis ihrer Freundinnen im kanariengelben Kleid zum „America“-Ohrwurm durch die Straßen fegt, brillant choreografiert von Justin Beck, berühmt durch seine revolutionären Inszenierungen am New York City Ballett. Ein einziger Farben- und Bewegungsrausch ist dieses schwerelos anmutende Werk, eine Augenweide in Sachen Kostümbild und Produktionsdesign, dynamisch von Sarah Broshar und Michael Kahn geschnitten, furios fotografiert von Janusz Kaminski („Der Soldat James Ryan“), dem erklärten Lieblingskameramann des Filmemachers. In jeder Szene spürt man dessen Leidenschaft für den Stoff und das zugrunde liegende Meisterwerk, das die Jahre schadlos überstanden und nichts an seiner Qualität eingebüßt hat.

Ihm zollt er unverhohlen Tribut, setzt pointiert eigene Akzente und ruft Höchstleistungen von seinem Team und den Darstellern ab. Ein zeitloses Gesamtkunstwerk, im dem die ganz persönliche Handschrift des Machers stets klar erkennbar ist.

Tränen und Revierkämpfe mit bekanntem Ende

Zegler und Elgort rühren einen mit ihrem Duett „One Hand, one Heart“ und ihrer Balkonszene zu „Tonight“ zu Tränen, während einem fast der Atem stockt, wenn final die Jets und die Sharks zum entscheidenden Revierkampf blutig aufeinandertreffen. Mit bekannt tragischem Ende.

Ein weiterer Oscar-Anwärter vom Blockbuster-Garanten Steven Spielberg.

West Side Story. USA 2021. Regie: Steven Spielberg. Mit Rachel Zegler, Ansel Elgort, Rita Moreno, Ariana DeBose. 156 Minuten. Ab 12.