Christian Petzold fabuliert in seinem neuen Film „Miroirs No. 3“ von Menschen in Grauzonen zwischen Leben, Wachtraum, Mythen und Tod. Lohnt sich ein Kinobesuch?
Wie ein dunkler Spiegel zieht der Fluss an Laura vorbei, während sie wortlos einem Stehpaddler auf seinem Brett hinter her schaut. Der deutsche Filmemacher Christian Petzold versteckt gerne intellektuelle Rätsel in alltäglichen Szenen. Was die allererste Einstellung in dessen kryptisch betitelten Kinodrama „Miroirs No. 3“ zu bedeuten hat, wird auch die Pointe zum Schluss des Films nicht preisgeben. „Miroirs“ ist der Titel eines Klavierzyklus von Maurice Ravel, dessen dritten Teil, „Une Barque sur L’Océan“, die Klavierstudentin Laura (Paula Beer) einmal im Film spielen wird. Der Fremde auf dem Brett könnte also für Ravels Barke auf dem Ozean stehen; der titelgebende Spiegel für den Fluss, der auch an den mythischen Strom Styx erinnert, der wiederum in der griechischen Sagenwelt die Lebenden von den Toten trennt.
Welche Pläne haben Betty und die Männer mit Laura?
Wie eine lebendige Frau von dieser Welt wirkt Laura im Film jedenfalls so gut wie nie. Die Beziehung zu ihrem Freund Jakob (Philip Froissant) ist entfremdet, trotzdem rafft sie sich zu einem Segeltörn auf, den Jakob mit einem Musikproduzenten und dessen Freundin geplant hat. Auf dem Weg verunglückt das Paar, und Jakob stirbt, als er aus seinem Cabrio geschleudert wird. Laura überlebt wie durch ein Wunder und wird von Betty (Barbara Auer), einer scheinbar alleinstehenden Frau Anfang Sechzig, aus dem Straßengraben aufgelesen. Wie Laura scheint auch Betty von einem Mysterium umgeben. Erst spät stellt sie ihrem Pflegegast Richard (Matthias Brandt), ihren Mann, und Max (Enno Trebs), ihren Sohn vor, die einige Minuten entfernt von Bettys Haus in einer Autowerkstatt wohnen. Obwohl sich Laura unter Bettys Pflege vom Trauma des Unfalls erholt und im Kontakt mit der Familie aufblüht, drängt sich der Verdacht auf, Betty und die Männer könnten nicht ganz uneigennützige Pläne für Laura schmieden.
Christian Petzold ist bekannt dafür, das Alltägliche mit Elementen des Unheimlichen aus Märchen, Sagen und Mythen zu kreuzen. So verwob er in „Transit“ (2018) die Geschichte eines Mannes auf der Flucht, der in der Identität eines anderen an einem Zwischenort strandet, mit historisch-literarischen und fantastischen Motiven. In „Undine“ (2020) entwickelte er eine moderne Variante des Märchens von der Meerjungfrau, die ihren untreuen Geliebten töten soll, um selbst als Elementargeist weiter leben zu können.
Alles nur Selbsttäuschung?
Zunächst scheint auch „Miroirs No. 3“ von einem subtil übernatürlichen Phänomen zu erzählen; als Wiedergängerin zwischen Leben, Wachtraum und Tod verbringt Laura ihre Tage bei Betty. Was Betty und ihre Männer umtreibt, errät das Publikum viel früher als Laura, die sich seltsam naiv in den Schoß der fremden Familie fallen lässt. Trotzdem hält Petzold den sanften Thrill seiner Geistergeschichte lange auf hohem Niveau. Nur von der hastig enthüllten Pointe wird man zu unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen, dass die interessant beunruhigende Metaphysik in diesem Fall doch bloß einer banalen Selbsttäuschung entspringt.
Miroirs No. 3. Deutschland 2025. Regie: Christian Petzold. Mit Paula Beer, Barbara Auer. 89 Minuten. Ab 12 Jahren.