Guillermo del Toro legt seinen neuesten Film „Nightmare Alley“ mit Bradley Cooper und Cate Blanchett in den Hauptrollen vor, der an diesem Donnerstag in den Kinos startet. Im Interview erzählt er, warum diese Noir-Geschichte ihm mehr als alle anderen Filme abverlangte.
Stuttgart - Mit einer schillernden Besetzung (Cate Blanchett und Bradley Cooper in den Hauptrollen) erzählt der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro eine Geschichte über Wahrheit und Lüge in der Bilderwelt des Film noir und entführt unter anderem in die nostalgische Kulisse eines Jahrmarktes aus den 30er Jahren.
Mr. del Toro, was verleitete Sie zu Ihrem neuen Film „Nightmare Alley“, der gleichnamige Roman von William Lindsay Gresham von 1946 oder die ein Jahr später gestartete erste Leinwand-Adaption mit Tyrone Power?
Mein Interesse geweckt wurde tatsächlich durch das Buch, das mir mal mein Freund Ron Perlman, der Schauspieler, in die Hand gedrückt hat. Das ist allerdings ewig her, da war ich 29 Jahre alt. Damals reizten mich an dieser Geschichte vor allem der Wanderzirkus und die Freaks, diese düstere Magie, die zumindest ein Aspekt daran ist. Heute bin ich 57 Jahre und blicke mit ganz anderen Augen auf die Geschichte. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich so lange gebraucht habe, aus der Sache wirklich etwas zu machen. Denn damals hätte ich weder die Mittel noch die Lebenserfahrung, um einen Film zu machen, der dem Roman gerecht wird. Anders als ich es ursprünglich erwartet hatte, fiel mir die Arbeit an „Nightmare Alley“ nicht leicht. Sondern im Gegenteil verlangte mir der Film mehr ab als fast alle anderen bisher.
Woran lag das?
Vor allem daran, dass diese Geschichte und die Welt, in der sie angesiedelt ist, deutlich komplexer sind, als man vielleicht denken würde. Sie beinhaltet eine große Anzahl an Figuren, die gar nicht ohne Weiteres in der Balance zu halten waren. Sie alle tragen dazu bei, verschiedene Facetten des Protagonisten Stanton zu beleuchten, aber es galt – sowohl beim Schreiben des Drehbuchs als auch später in der Arbeit mit dem tollen Ensemble – sehr genau abzuwägen, wer wie viel Raum in der Story bekommt. Da den richtigen Rhythmus zu finden und obendrein diesen Stanton, der ja nicht unbedingt ein Sympathieträger ist, trotzdem zu jemandem zu machen, dem man allem Misstrauen zum Trotz folgen möchte – das war echt mühsam. Aber unbedingt lohnenswert, denn ich war mir sicher, dass dies genau die richtige Zeit für diesen Film ist.
Ach ja? Was genau macht denn diese um 1940 spielende Geschichte für ein heutiges Publikum so relevant?
Für mich geht es im Kern von „Nightmare Alley“ um den Umgang mit der Wahrheit. Der Film zeigt, wie sehr die eigenen Lügen für einen Menschen zum Gefängnis werden können. In den demagogischen Zeiten, in denen wir aktuell leben, in denen Populisten ganz bewusst in Kauf nehmen, dass die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge aufs Gefährlichste verwischen, erscheint mir diese Geschichte passender denn je. Die Warnungen werden im Film klar ausgesprochen: Wenn man anfängt, seinen eigenen Lügen zu glauben, hat das schmerzhafte Folgen.
Ein Film, der seine Botschaft vor sich herträgt?
Das nun auch wieder nicht. Zunächst einmal ist er ja eine spannende Noir-Geschichte. Aber sicherlich kann man ihn als Parabel sehen. Ich habe mein ganzes Leben lang Parabeln erzählt – und die funktionieren immer am besten, wenn man es dem Publikum überlässt, sich die Bedeutung zu erschließen, statt alles auszubuchstabieren.
Apropos Noir: Wie sehr wollten Sie dem Genre huldigen, und welche Klischees galt es zu vermeiden?
Mir war es wichtig, dass mein Film nicht bloß zu einem Artefakt für Cineasten wird und an den eigenen Referenzen erstickt. Ich wollte unbedingt, dass „Nightmare Alley“ wie eine realistische Geschichte wirkt, nicht wie Kunsthandwerk. Deswegen gibt’s kein durch Lamellenjalousien schimmerndes Licht, keinen sich langsam drehenden Deckenventilator, keine regennass-glänzenden Straßen, während der Off-Erzähler spricht. Stattdessen habe ich Bradley Cooper zum Boxtraining geschickt, damit die Körperlichkeit der Figur greifbar wirkt. Noir ist für mich kein visuelles Regelwerk, sondern ein Gefühl. Eine Poesie der Enttäuschung und des Existenzialismus und im Grunde die Kehrseite des amerikanischen Traums. Also der amerikanische Albtraum. Die essenziellen Elemente des Genres sind für mich daher eher narrativer als stilistischer Art.
Nämlich?
Es muss eine klare Kluft geben zwischen Arm und Reich geben, so dass die Gier ins Spiel kommen kann. Fast immer geht es in einer Noir-Geschichte darum, dass jemand zu Geld oder Einfluss kommen will, der – mit Gewalt oder anderen unrechtmäßigen Mitteln – das in der angestammten Gesellschaftsordnung nicht hat. Außerdem ist es im Noir von entscheidender Bedeutung, dass das Publikum ganz klar den Moment erkennt, in dem der Protagonist die falsche Entscheidung trifft. Man muss dabei sein, wie er an einer Weggabelung steht und dann die Richtung einschlägt, die ihn auf Abwege führt.
Was machte Bradley Cooper zum idealen Hauptdarsteller?
Zunächst einmal hat er etwas von Gary Cooper, was ich sehr passend fand. Er sieht aus nach diesen alten Zeiten, wie ein Filmstar von früher, mit kantigem Gesicht und blauen Augen. Ein echter Verführer eben, was wichtig war, schließlich ist seine Figur im Film dazu in der Lage, jeden hinters Licht zu führen außer sich selbst. Ich brauchte jemanden, der gleichzeitig charmant und finster sein kann und die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht, selbst wenn er in 99 Prozent aller Szenen zu sehen ist. Das können nicht viele Schauspieler, Bradley aber schon.
Der Filmemacher
Regisseur
Guillermo del Toro wurde 1964 im mexikanischen Guadalajara geboren. Er drehte zunächst Horrorfilme, seine erste Hollywoodproduktion stammt aus dem Jahr 1997: „Mimic – Angriff der Killerinsekten“, später folgte „Hellboy“ (2004). Für sein Drama „Shape of Water“ (2017) bekam del Toro unter anderem die Oscars in den Kategorien beste Regie und bester Film.
Nightmare Alley
Del Toro schrieb zusammen mit Kim Morgan das Drehbuch. Besetzung: unter anderen Cate Blanchett, Bradley Cooper. Kinostart: 20. Januar.