Nach der Ära Manuel Neuer im Fokus: Marc-André ter Stegen. Foto: Christian Charisius/dpa

Kein Kroos. Kein Neuer. Kein Gündogan. Kein Müller. Die Nationalelf startet nach der emotionalen Heim-EM in eine neue Ära. Und es geht mit einem Vorbild in die Nations League: Spanien.

Düsseldorf - Julian Nagelsmann verneinte "Entzugserscheinungen". Und doch ist der Bundestrainer heilfroh, endlich wieder am Spielfeldrand seine Fußball-Leidenschaft ausleben zu können. Zu coachen. Zu jubeln. Zu hadern. Kurzum: Das Adrenalin eines Spiels zu spüren. "Ich freue mich darauf", sagte Nagelsmann gut 27 Stunden vor dem Start in die Nations League gegen Ungarn im Düsseldorfer Stadion, das am Samstagabend (20.45 Uhr/ZDF) mit fast 50.000 Zuschauern ausverkauft sein wird. 

Es geht wieder los bei der Nationalmannschaft - wenn auch eine Nummer kleiner als bei der emotional extrem aufgeladenen Heim-EM. Der Aufbruch zur Titelreife bei der WM 2026 beginnt freilich ohne vier DFB-Legenden. Kein Kroos, kein Neuer, kein Müller, kein Gündogan. "Wir haben eine andere Startelf", sagte auch Nagelsmann. Aber insgesamt kein anderer Kader. "Das erste Spiel nach der EM ist wichtig, um die Fans wieder mitzunehmen", sagte Nagelsmann: "Ich will denselben Enthusiasmus sehen, zu gewinnen, wie bei der EM." 

Weltmeister-Aussage erzeugt Druck? "Nee!"

64 Tage nach dem Tränen-Aus gegen den späteren Europameister Spanien im Viertelfinale des Heimturniers soll beim schnellen Wiedersehen mit EM-Gruppengegner Ungarn wieder ziemlich losgelöst nach Toren gejubelt und nach 90 Minuten bei der Stadionrunde der Spieler gemeinsam gefeiert werden. "Wir wollen die EM nochmal rund machen", sagte Nagelsmann. 

Noch 20 EM-Spieler sind beim Neuanfang dabei. Und die bisweilen belächelte Nationenliga wird bei der vierten Auflage auch vom DFB-Team ehrgeizig angegangen. Das Ziel heißt Final Four und Titelgewinn 2025. Immerhin hat Nagelsmann die Messlatte für 2026 ganz hoch gelegt. "Hat dich das unter Druck gesetzt, dass ich gesagt habe, ich möchte Weltmeister werden?", fragte Nagelsmann angesichts kritischer Kommentare einiger Fußball-Experten prompt bei der Pressekonferenz den auf dem Podium neben ihm sitzenden Pascal Groß. "Nee", antwortete der 33 Jahre alte Neu-Dortmunder.  

Groß für Kroos, Füllkrug für Gündogan 

Das 1018. Länderspiel in der DFB-Historie markiert eine Zäsur. Neue Männer braucht das Land. Nagelsmann muss zentrale Positionen in der Team-Achse neu besetzen und gegen Ungarn sowie am Dienstag in Amsterdam gegen die Niederlande erste Fingerzeige geben. Wie viel Kroos steckt in Groß, dem Nagelsmann die Rolle des Mittelfeldstrategen überträgt?

"Er macht den Pascal, nicht den Kroos", betonte Nagelsmann. Er will den Kroos-Rucksack nicht noch schwerer machen für den eher stillen Groß. "Ich bleibe mir selbst treu. Ich probiere, auf dem Platz die Mitspieler in Szene zu setzen", sagte der Mittelfeldspieler.

Musiala und Wirtz müssen weiter wachsen

Für den so wichtigen Gündogan-Part, die Offensive um Jamal Musiala, Florian Wirtz und Kai Havertz anzuleiten, gibt es dagegen keinen Eins-zu-eins-Ersatz. EM-Joker Niclas Füllkrug wird für Gündogan in die Startelf rücken, wie Nagelsmann vorab verriet. Aber natürlich wird der Vollblutstürmer Füllkrug nicht Gündogan kopieren. Füllles Job ist das Toreschießen. 

Die beiden 21 Jahre alten Musiala und Wirtz müssen schnell weiter wachsen, ebenso der vier Jahre ältere Havertz. Beim 2:0 um EM-Punkte gegen Ungarn trafen übrigens Musiala und Gündogan. Klar ist auch: Im Tor steht nach dem ewigen Turnierkeeper Neuer dessen ewiger Kronprinz Marc-André ter Stegen. "Ich bin froh, dass die Zeit des Wartens jetzt vorbei ist", sagte der 32-Jährige. Anführen wird die DFB-Elf zudem als neuer Kapitän Joshua Kimmich.

Die Zuschauer weiter begeistern

Ein gewisses Sommergefühl soll in Düsseldorf wieder zu spüren sein. "Wir werden nicht die Energie erzeugen können wie bei der Heim-EM", weiß Füllkrug. Public Viewing und über 20 Millionen TV-Zuschauer - das ist vorerst wieder vorbei. "Aber die Leute sollen sich weiter mit uns identifizieren, gerne im positiven Sinne über uns sprechen, weil wir damit schon wieder einiges für die WM 2026 vorbereiten können", sagte der Torjäger.

In der Nations League soll im Idealfall nachgeholt werden, was am 5. Juli in Stuttgart nach dem 1:2 durch ein ganz spätes Tor der Spanier in der Verlängerung nicht mehr möglich war. "Es ist ein guter Wettbewerb - und jeder Fußballer hält gerne einen Pokal in Händen", sagte Füllkrug. Und von Nagelsmann über Kimmich und ter Stegen bis zu Füllkrug erheben im DFB-Tross alle unisono die Spanier zum DFB-Vorbild für den noch jungen UEFA-Wettbewerb.

 

Die Spanier fanden die Nations League "ganz cool"

Spaniens Nationalteam gewann 2023 die Nations League. 2024 folgte der EM-Triumph. Zufall? "Ich will nicht sagen, dass es vorhersehbar war. Aber die Spanier haben vom ersten EM-Spiel an im Auftreten und in ihren Äußerungen klargemacht, dass sie für sich in Anspruch nehmen, die beste Mannschaft zu sein", bemerkte Nagelsmann zur Bedeutung des Nations-League-Erfolgs: "So ein Selbstverständnis entwickelst du nur, wenn du Spiele gewinnst."

Spiele gewinnen. Und das am Stück. Darum geht es. Das ist das Nahziel in den sechs Partien bis zum Jahresende gegen Ungarn, die Niederlande und Bosnien-Herzegowina. Der Erste und Zweite der Gruppe ziehen ins Viertelfinale im kommenden März ein. "Wenn wir die Spanier fragen, wie sie die Nations League finden, die sie gewonnen haben", sagte Kimmich, dann ist die Antwort für den ehrgeizigen Bayern-Profi leicht: "Die fanden die ganz cool."