Gut gemacht: Bundestrainer Joachim Löw mit Timo Werner. Foto: Baumann

Timo Werner ist spätestens nach seinem Gala-Auftritt von Stuttgart der Stürmer Nummer eins in der Nationalmannschaft – aus guten Gründen.

Stuttgart - Eine knappe Dreiviertelstunde nach Spielschluss steht Mario Gomez in den Katakomben der Mercedes-Benz-Arena und setzt zur ultimativen Lobhudelei an. Auf Timo Werner, seinen größten Konkurrenten im Sturm der Nationalelf. Auf den 21-jährigen Jungspund, der gerade dabei ist, ihn im Sauseschritt zu überholen. Ihm den Platz im Sturm der Nationalelf wegzunehmen. Ihn zu verdrängen. Gomez aber feiert Werner, so wie ihn gefühlt das ganze Stadion nach seiner Galavorstellung mit zwei Toren im WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen (6:0) gefeiert hat.

„Timo wird die nächsten zehn Jahre in Deutschland im Sturm dominieren, wahrscheinlich auch in Europa, wenn er einfach so weitermacht wie bisher“, sagt Gomez also: „Und da habe ich keine Bedenken. Er ist so klar in der Birne und macht das grandios.“ Der Angreifer des VfL Wolfsburg setzt dann noch einen drauf, indem er seinen Konkurrenten von RB Leipzig quasi zum Stammspieler für die WM nächstes Jahr in Russland erklärt. „Wir brauchen einfach bei der WM einen Timo Werner in dieser Form. Er wird sogar noch besser, er wird dann noch ein Jahr mehr Erfahrung haben, wenn wir Weltmeister werden wollen“, sagt Gomez: „Und wenn man ihn unterstützt, ist er noch besser.“

Man muss sich dieses Bild vor Augen halten. Der weitgereiste Mario Gomez, der Mann, der mit seinen 32 Jahren so ziemlich alles erlebt hat im Fußball, der Platzhirsch, der Mann, der im nächsten Jahr bei der WM in Russland vielleicht ein letztes Mal im Nationalteam nochmal wissen will, steht da und huldigt: Timo Werner. Seinem jungen Widersacher.

Eine knappe Stunde vorher hat Gomez nicht weniger als die Geste des Abends geliefert. Es läuft die 65. Minute, als er die die Arme nach oben reckt. Der Stürmer steht bereit zur Einwechslung. Werner trabt nach draußen, gefeiert von den Zuschauern in der Stuttgarter Arena. Dann gibt Gomez sein erstes Statement ab. Er klatscht und hört nicht auf damit. Die Arme nach oben gestreckt, schlägt er die Innenflächen seiner Hände aneinander. Unablässig. Beifall für den Konkurrenten Timo Werner.

Es sollte nicht der letzte gewesen sein.

Denn nach dem Spiel ist sich jeder Beteiligte einig: Dieser junge Mann ist die neue deutsche Nummer eins im Sturm. Der Neuner, um den es schon lange immer wieder so herrliche Debatten gibt. Echte Neun, falsche Neun oder doch ein Neuneinhalber? Ein echter Werner ist die Antwort.

Ein Stürmer mit Tiefgang

Das sehen auch der Wortführer Mats Hummels und der Bundestrainer so, die sich nahtlos in Gomez’ Lobpreisungen einreihten. „Er hat wieder ein Riesenspiel gemacht, in allen Belangen“, sagte Hummels. „Auf lange Sicht könnten wir da einen sehr, sehr starken Mittelstürmer haben.“

Das bestätigte Joachim Löw – der Coach ging am Ende des Abends, als er neben Werner auf dem Pressepodium saß, ins Detail. Und lieferte die Erklärung dafür, warum dieser spezielle Stürmertyp so wichtig für die Struktur im Spiel seiner Elf ist. „Timo macht das, was dem Gegner extrem weh tut und schwer zu verteidigen ist, weil er diesen brutalen Zug zum Tor hat und diese Schnelligkeit“, sagte Löw. „Er läuft ständig quer und tief. Ich hoffe, dass er das beibehält, diese Laufwege sind kaum zu stoppen.“ Löw nannte Werner passend dazu übrigens noch „Rakete“.

Tatsächlich ist die wohl größte Qualität Werners sein Tiefgang. Ständig geht er steil. Ständig drängt er mit Tempo in den Rücken der Abwehr, reißt so Lücken und macht Platz für die Offensivkräfte hinten dran, die dann wiederum mehr Räume für ihre Passstafetten haben. Und Werner im Zweifel steil schicken können.

Werner hat seinen Platz gefunden

Löws Mantra ist genau dieser Tiefgang. Sein vorderster Angreifer darf auch mal entgegen kommen und die Kugel prallen lassen. Aber nicht zu oft, da sich dann der Raum vor dem Sechzehner verengt. Löw will aber genau in diese gefährliche Zone reinkommen. Mit Kombinationen, mit Steilpässen. Dazu braucht es einen Empfänger, eine schnelle Speerspitze, die in die die gefährlichen Räume in Tornähe stößt und den anderen nicht den Raum vorne dran wegnimmt. Es braucht Timo Werner. Dessen Rolle in der Nationalelf klar definiert ist, ebenso wie in der Liga bei den Tempofußballern aus Leipzig.

Beim VfB Stuttgart war das anders. Bei seinem Heimatclub erlebte Werner nicht nur wegen des Bundesligaabstiegs 2016 schwere Zeiten. „Kaum hatte ein Trainer sich mal ein Bild vom Spieler Timo Werner gemacht, war der Trainer schon wieder weg“, sage Werner in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“: „Bei Huub Stevens habe ich oft im linken Mittelfeld gespielt, fast als Linksverteidiger, bei Alexander Zorniger war ich Mittelstürmer, bei Armin Veh war ich mal Links-, mal Rechtsaußen, und bei allen kam ich auch mal von der Bank“, ergänzte Werner. „Ich hatte nie eine klare Heimat auf dem Platz.“ Jetzt hat er seinen Stammplatz gefunden. Und jede Menge Fürsprecher auf seiner Seite.