Bei Thales in Ditzingen wird ETCS bereits getestet. Foto: factum/Granville

Land, Region und Bahn versprechen sich von der modernen Signaltechnik ETCS weniger Verspätungen im S-Bahnverkehr. Deshalb soll eine Machbarkeitsstudie den Einsatz auf der Stammstrecke untersuchen. Obwohl es keine Unterstützung aus Berlin gibt.

Stuttgart - Während Land, Region und Bahn in einer Machbarkeitsstudie für rund eine Million Euro untersuchen lassen, ob und wie die moderne Signaltechnik ETCS (European Train Controll System) auf der Stammstrecke der S-Bahn im Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße eingesetzt werden könnte, bekommen die Macher des Nahverkehrs in der Region von Berlin die kalte Schulter gezeigt. Das Bundesverkehrsministerium hat nach Informationen dieser Zeitung einen Förderantrag der Universität Stuttgart und des ETCS-Herstellers Thales mit Sitz in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg) abgelehnt, die die Technik in einem Pilotprojekt für S-Bahnen auf der Strecke zwischen Renningen und Weil der Stadt erproben wollten.

Verkehrsministerium schweigt

Der Sprecher von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wollte trotz mehrmaliger Nachfrage weder die Ablehnung bestätigen noch die Gründe dafür nennen. Er verwies schriftlich lapidar darauf, dass „Auskünfte über Mitteilungen bezüglich eingereichter Projektvorschläge beim Adressaten einzuholen sind.“ Die Kehrtwende des Ministers ist insofern verwunderlich, da der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, sich noch im Dezember 2016 auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel aus Filderstadt positiv zu dem Projekt geäußert hatte. „Die Bundesregierung begrüßt die Erprobung vom ETCS Level 2 für den Einsatz bei deutschen S-Bahnsystemen“, erklärte der CDU-Politiker damals.

Ein Thales-Sprecher bestätigte, dass eine Absage des Ministeriums für den Förderantrag eingegangen sei. Zusammen mit der Universität Stuttgart und der DB Netz AG wollte das Unternehmen das Zugsicherungssystem, das bisher vor allem im Fernverkehr zum Einsatz kommt und nach der Inbetriebnahme von S 21 auch den Bahnknoten Stuttgart steuert, in einem dicht befahrenen S-Bahnnetz erproben. Dazu sollte auf der Außenstrecke Renningen–Weil der Stadt parallel zur bestehenden punktförmigen Zugsicherung die neue Technik installiert werden. Die Kosten für das Pilotprojekt werden von Thales auf 2,6 Millionen Euro beziffert, wovon die Hälfte von den drei Antragstellern übernommen werden müsste. Wie es nach der Absage weitergeht, ist nach Angaben des Thales-Sprechers Pitt Marx offen. „Wir sind weiter auf der Suche nach Fördermitteln, weil wir den ETCS-Test nicht alleine finanzieren werden“, sagte er.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, das offiziell unter der Bezeichnung „S-Bahn Digital 4.0 – Leistungssteigerung und Qualitätsverbesserung von S-Bahn-Verkehren in Ballungsräumen“ firmiert, sollten auch in die Machbarkeitsstudie einfließen, die das Land, die DB Netz AG und der Verband Region Stuttgart in Auftrag geben werden. Mit ETCS sollen die Verspätungen auf der unterirdischen Stammstrecke, die wegen des hohen Fahrgastaufkommens und der zeitaufwendigeren Türsteuerung entstehen, bekämpft werden. In einer Studie des verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Stuttgart und einer Betriebssimulation der Bahn wurde bereits nachgewiesen, dass bei der gleichen Zugfolge wie heute (24 Bahnen in der Spitzenstunde) mit ETCS längere Haltezeiten möglich sind und damit weniger Verspätungen entstehen – das S-Bahn-System also insgesamt leistungsfähiger und weniger anfällig für Verzögerungen wird. „ETCS kann den Verspätungsanstieg auf der Stammstrecke deutlich reduzieren“, sagte Regionaldirektorin Nicola Schelling.

Regionaler Verkehrsausschuss beschließt Machbarkeitstudie

Die Machbarkeitsstudie soll konkret technische Anforderungen, Kosten- und Zeitbedarf ermitteln und Ende Juni ausgeschrieben werden. Von den Kosten von rund einer Million Euro übernehmen Land, Bahn und Region je ein Drittel. Der regionale Verkehrsaussschuss hat in seiner Sitzung am Mittwoch zugestimmt, dass die Region dafür 330 000 Euro bezahlt – allerdings unter heftigem Bauchgrimmen.

Alle Fraktionen waren sich einig, dass die Finanzierung von ETCS von der Bahn finanziert werden müsse– und das eigentlich auch für die Machbarkeitsstudie gelten müsse. „Das ist allein Sache der Bahn“, sagte Grünen-Regionalrat Fritz Kuhn. Man müsse den Bahnvorständen klar machen, welch großer Imageschaden mit der Weigerung, ETCS auf der S-Bahn einzuführen, verbunden wäre, sagte Stuttgarts OB.

Um die Chance für ETCS zu erhöhen und die technische Machbarkeit nachzuweisen, stimmten CDU, Grüne, SPD, Freie Wähler und FDP der finanziellen Beteiligung an der Machbarkeitsstudie „mit der Faust in der Tasche zu“, so CDU-Regionalrat Rainer Ganske , verbunden mit der klaren Ansage, sich an Einbaukosten nicht zu beteiligen. Es wird von mehr als 50 Millionen Euro ausgegangen, die in Technik und Fahrzeuge investiert werden müssen.

Der Einbau von ETCS wird politisch auch von der grün-schwarzen Landesregierung stark unterstützt. Die neue Signaltechnik wird im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU erwähnt, im Kabinettsbeschluss zur Luftreinhaltung in Stuttgart mit den Diesel-Fahrverboten wird das Projekt sogar explizit als Teil der Verbesserung des ÖPNV genannt. Weil ETCS mit dem Projekt S 21 verbunden ist, müsse eine Entscheidung bald fallen, betonte Regionalpräsident Thomas Bopp: „Wir müssen die Sache nun endlich ins Rollen bekommen.“