Ilona Cwik-Lorz und ihr Ehemann Jörg aus Nagold radelten in 104 Tagen insgesamt 6183 Kilometer durch Nordeuropa. Auch ein „Urlaub vom Urlaub“ war gezwungenermaßen mit dabei.
Dieses Jahr radelte das Paar von April bis Juli 2024 wieder in 104 Tagen mehr als 6183 Kilometer durch Deutschland, Luxemburg, Belgien, Südengland, Frankreich, Niederlande, Dänemark. Und sie streiften sogar Schweden. Auch Norwegen bereisten sie bis ans Nordkap, aufgrund einiger Pannen allerdings auf einem Kreuzfahrtschiff. Sie nannten es „Urlaub vom Urlaub“. Die Räder brachten sie in der Zwischenzeit in einer gemieteten Lagerbox in Kiel unter. Hier ihre Geschichte
Wie kam es zur Idee eine Tour in den Norden zu machen?
Nachdem wir im vergangenen Jahr durch Süd-Europa geradelt sind, schien uns der Gedanke, in den Norden zu radeln, auf der Hand zu liegen. Damit wir wild campen und zum Beispiel in Dänemark in den vielen Sheltern kostenlos übernachten können, überlegten wir, nicht mit eBikes, sondern mit unseren Gravelbikes (Rennrad mit breiten Reifen für Schotter) zu reisen. Oder doch lieber mit eBikes über die Alpen in den Süden? Wir konnten uns nicht entscheiden. Als wir dann schlussendlich auf unseren vollbepackten eBikes saßen und ich Jörg fragte, ob er lieber nach rechts in den Süden oder doch lieber nach links in den Norden fahren will, entschied er sich für den Norden. Für mich die erste Überraschung dieser Reise.
Gab es Training vor der Tour?
Trainiert haben wir nicht. Da wir dieses Jahr aber gerne mal ohne Unterstützung fahren wollten, hatten wir eine Probetour mit vollbepackten Gravelbikes gemacht. Es war März, es regnete und war kalt. Wir dachten, da müssen wir durch. Wenn wir das zu ungemütlich finden, brauchen wir erst gar nicht Richtung Norden loszuradeln. Um es kurz zu machen: Wir kamen bis Calw-Stammheim. Dort wärmten wir uns im Café „Alte Feuerwehr“ mit einer heißen Suppe auf und fuhren anschließend zwar etwas frustriert, aber auch über uns selbst lachend, mit der Kultur-Bahn wieder zurück nach Nagold. Wir hatten eindeutig nicht genügend Kondition – wenn uns das auch etwas überrascht hatte – und somit keine große Freude am Graveln. Im Gegensatz zu den Bio-Bikes, wie Räder ohne Akkus inzwischen genannt werden, ist das Reisen mit eBikes eher eine Kopfsache, um motiviert zu bleiben, und nicht eine Frage der Kondition.
Ganz schön viel Pannen innerhalb weniger Tage
Im vergangenen Jahr hatten wir zwei Platten, mehr nicht. Dieses Jahr hatten wir keinen Platten, dafür riss zuerst Jörgs Zahnriemen und zwei Tage später meiner. Das war sehr nervenaufreibend, denn wir mussten jedes Mal viel herumtelefonieren, um Riemen mit genau 137 Zähnen zu erhalten. Dann mit Mietauto beziehungsweise Zug zum Händler. Denn die Riemen mussten von einer Fachwerkstatt montiert werden, da sonst unsere Versicherung die Kosten nicht übernommen hätte. Anders sah es mit Jörgs unkaputtbarer Roloff-Schaltung aus, bei der plötzlich mehrere Gänge nicht mehr funktionierten. Die konnte nicht so einfach repariert werden. Als ich dann auch noch auf einen Stein fuhr und dabei mein Schutzkranz fürs „Kettenblatt“ völlig deformiert wurde, waren wir schon ziemlich verzweifelt. Denn alles passierte innerhalb weniger Tage.
War Eure Kreuzfahrt ans Nordkap von Anfang an geplant?
Nein, aber nach vier Pannen waren wir etwas lustlos und es kam die Idee auf, eine 15-tägige Kreuzfahrt ans Nordkap zu machen. In der Zwischenzeit, so dachten wir, könnte eine Werkstatt in Kiel Jörgs Schaltung reparieren und meinen Kranz ersetzen. Aber das Ersatzteil war nicht so schnell lieferbar und die Reparatur der Schaltung hätte mehrere Wochen gedauert. Die Kreuzfahrt machten wir dann aber trotzdem. Für unsere Räder mieteten wir eine Lagerbox. Übrigens wurde die Schaltung nach unserer Reise vom Hersteller innerhalb einer Woche kostenlos repariert.
Wo hat es Euch am besten gefallen? Wo war es am schönsten?
Mehrere Highlights erlebten wir ausgerechnet auf der Kreuzfahrt. So war ein Höhepunkt trotz Nebel unsere 70 Kilometer lange Radtour mit AIDA-Rädern vom Schiff zum Nordkap und zurück. Auch die auf eigene Faust unternommene Tour mit geliehenen eBikes auf den Lofoten war unbeschreiblich schön. Nie hätten wir es für möglich gehalten, dass wir echtes Karibik-Feeling in Norwegen haben werden. Fantastisch fanden wir auch unsere acht Kilometer lange Wanderung in vier Stunden von der Berghütte Fjellstue auf den Berg Preikestolen. Obwohl es für Jörg nicht ganz so toll war – er leidet unter Höhenangst. Auch waren die Überquerung des Polarkreises und die Mitternachtssonne unvergessliche Erlebnisse.
Von Südengland über die Bretagne in die Normandie
Weitere Höhenpunkte waren in Südengland der sagenumwobene Steinkreis Stonehenge und Land’s End in Cornwall mit seinen zerklüfteten und spektakulären Klippen. Unbeschreiblich war das Gefühl, als wir dem Mont-Saint-Michel in der Bretagne entgegen radelten, in der Normandie waren die Erinnerungen an den D-Day interessant, aber auch bedrückend, und in den Niederlanden besuchten wir ein außergewöhnliches Fahrradcafé mit Werkstatt. In der Fahrradstadt Kopenhagen waren wir vom Freistaat Christina begeistert.
Weltkulturerben Deutschlands beeindrucken
Am Rhein und an der Mosel entlang war es bei herrlichem Frühlingswetter mit zig Burgen wunderschön. Auf sehr gut ausgebauten kilometerlangen Fahrradstraßen – wir konnten es selbst kaum glauben – führte uns unsere Tour durch das für uns überraschend schöne Ostdeutschland. So war beispielsweise das Dessau-Wörlitzer Gartenreich ein Genuss für die Seele. In Berlin haben wir unsere Tochter besucht. Das ist natürlich immer schön! Halle war allein schon wegen der Himmelsscheibe von Nebra eine Reise wert. Überhaupt waren die vielen Weltkulturerben, die wir überall unterwegs besichtigen konnten, sehr beeindruckend. Wer mit offenen Augen durch die Welt radelt, findet überall Schönes!
Ist die Reise anderen Radlern zu empfehlen?
Naja, sagen wir mal so: Wer gerne Hecken anschaut, ist in Cornwall genau richtig. Die Aussicht auf die wunderschöne Landschaft war nämlich meist von meterhohen Hecken versperrt. Und der Küstenradweg an der Nordsee? Den haben wir mehr im Kopfkino genossen. Oft war entweder Ebbe oder der Deich stand uns im Weg. Statt Meeresrauschen hörten wir Schafe blöken und hatten vor allem Schafskot unter den Reifen. Wenn dann auch noch Regen hinzukam, wurde der Weg zur Schlitterpartie und der Spaß blieb im Matsch stecken. Ganz ehrlich, das hat uns gestunken – und zwar buchstäblich. Dazu kommt, dass das Wetter im Norden öfters auf „nass und kalt“ steht – und die Preise für Übernachtung und Essen sind in Skandinavien auf höchstem Niveau.
Überraschende Erlebnisse
Ein älterer Radfahrer empfahl uns in Würzburg, unbedingt einen Brückenschoppen zu trinken. Wir schauten ihn etwas entgeistert und mit Unverständnis an. Wir konnten auch mit der Information aus dem Internet, dass die Alte Mainbrücke mehr als nur eine Brücke sei, nichts anfangen, bis wir wenige Minuten später auf der historischen Steinbrücke Einheimische wie Touristen sahen, die Weingläser in der Hand hielten. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass auf der Brücke Frankenwein, alternativ auch Hugo oder Aperol Spritz, in Schoppengläsern getrunken wird. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und tranken mit großem Vergnügen inmitten einer wundervollen Sommerstimmung mit tollem Blick auf den Main und die von uns zuvor besuchte Festung Marienberg einen Brückenschoppen.
Kommt man auf einer Radreise mit vielen Menschen in Kontakt?
Wer mit großem Gepäck mit dem Fahrrad unterwegs ist, wird immer wieder angesprochen. Auffallend war es allerdings in England: Während Jörg unseren täglichen Supermarkteinkauf tätigte und ich auf die Räder aufpasste, bin ich sofort in sehr interessante Gespräche verwickelt worden. Es hat so gutgetan, sich mit Muttersprachlern auf englisch zu unterhalten. Fast alle sprachen mit mir besonders langsam und deutlich. Aber auch in jedem anderen Land kommt man sehr schnell in Kontakt mit den Menschen und bekommt viele Tipps, wo es sich lohnt, hinzuradeln.
Gab es unterwegs auch gefährliche Situationen?
Wir sind sehr froh, dass es auf dieser Reise keine gefährlichen Situationen gab. Obwohl - der Linksverkehr in England schon eine große Herausforderung ist. Und dann auch noch die Kreisverkehre! Da muss man schon sehr gut aufpassen, dass man sich nicht auf der falschen Straßenseite wiederfindet. Gerade die Strecke nach Stonehenge blieb uns in sehr unangenehmer Erinnerung. Einmal waren wir sogar von der Autobahn nur durch einen kleinen Streifen Gras getrennt. Wohlbemerkt, auf einem ausgeschilderten Radweg! Zum Glück war es nur ein kurzes Stück. Dafür waren die Autofahrer in Cornwall auf den sehr engen Straßen sehr rücksichtsvoll. Und wenn ich es mir genau überlege, war auch das Radfahren ausgerechnet in der fahrradfreundlichsten Stadt Kopenhagen sehr anstrengend. Es war zwar beeindruckend, wie die Ströme von Radfahrenden durch die Stadt geleitet werden. Trotzdem waren wir jedes Mal froh, wenn wir die Hauptradwege verlassen konnten. Es waren einfach zu viele Radler! Zudem gibt es in Dänemark eine Besonderheit: Mofas und Mopeds („Knallert Körsel“) dürfen die Radwege benutzen, es sei denn, es ist ausdrücklich verboten. Das fanden wir etwas befremdlich und hat bei mir oft Herzklopfen verursacht, denn teilweise düsten diese mit über 50 km/h an uns vorbei.
Was würdet Ihr auf Eurer nächsten Reise anders machen?
Wir haben uns fest vorgenommen, das nächste Mal weniger Gepäck mitzunehmen. Einige Kleidungsstücke haben wir gar nicht getragen. Auch unsere Stühle haben wir kaum benutzt, da wir auf den Campingplätzen oft Sitzgelegenheiten vorgefunden haben. Wir überlegen uns auch, keine Kochutensilien mitzunehmen. Wir sind Vegetarier und können uns sehr gut vorstellen, uns nur von Rohkost zu ernähren. Ist eh gesünder.
Plant Ihr schon Eure nächste Reise?
Zurzeit denken wir über eine Tour durch Italien bis nach Malta über Korsika und Sardinien nach. Aber auch Schweden mit unseren Gravelbikes reizt uns, denn von Malmø waren wir begeistert. Wir trainieren inzwischen und es fällt uns immer leichter, ohne Unterstützung in und um Nagold herum zu radeln.