Eine außergewöhnliche Atmosphäre herrschte beim Konzert der Nagolder Kantorei am Karfreitag. Foto: Thomas Fritsch

Eine bewegende Veranstaltung in der Nagolder Stadtkirche ging den Auferstehungs-Feierlichkeiten am Ostersonntag voran. Sehr viele Menschen wohnten der Aufführung der Lukas-Passion von Otto Riethmüller am Karfreitag bei.

Der Pfarrer und geistliche Dichter Riethmüller (1889-1938) suchte in den Zeiten des beginnenden deutschen Nationalsozialismus – besonders nach der Einführung des Arierparagraphen in Staat und Kirche 1933 – einen Weg, der repressiven Gleichschaltung sämtlicher staatlicher Bereiche entgegen zu wirken. Einen besonderen Augenmerk widmete er in Rahmen seiner Arbeit in der Bekennenden Kirche den jungen Christen als einem Gegengewicht zu der 1926 gegründeten Nachwuchsorganisation der NSDAP, der Hitlerjugend.

 

In seiner 1932 entstandenen Lukas-Passion verwendete Riethmüller die in den 1920-er- Jahren verbreitete Praxis des Sprechgesangs (expressiver Deklamation) und ließ die gemischten Chöre singen, sprechen, skandieren oder gar schreien. Dabei setzte er aufgrund der jeweiligen Umstände auf Schlichtheit der Darbietung, Beliebigkeit der Besetzung, freie Auswahl der zwischen den Bibeltexten gesungenen Liedern sowie auf die aktive Teilnahme der Zuhörern.

Eva-Magdalena Ammer hat freie Hand für ihre eigene Fassung

All diese interpretatorischen Freiheiten gaben der Kirchenmusikdirektorin Eva-Magdalena Ammer freie Hand für ihre eigene Fassung, welche sie an die Version des Wiederentdeckers der Passion, Bernhard Leube, anlehnte. Die Dirigentin besetzte das Oratorium mit Chor, dem Evangelisten (Lukas Onken), der Stimme des Herrn (Johannes Freyer) und mit zwei Orgeln (Fiona Podolski, Peter Ammer). Den liturgischen Teil vertraute sie dem Codekan Tobias Geiger an.

Kirchenmusikdirektorin Eva-Magdalena Ammer leitete das besondere Konzert. Foto: Thomas Fritsch

In drei längeren Blöcken „Verrat des Judas, das letzte Mahl, in Gethsemane, Verleugnung des Petrus“, „Verhör und Verurteilung Jesu, Pilatus und Herodes, Kreuzigung und Tod Jesu“ und „Grablegung Jesu“ verfolgten die Anwesenden den freiwilligen Gang des Erlösers in den Tod.

Zwischen den Dialogen, Einzelstimmen, Fragen und Antworten ertönten sehr deutlich Drohungen und Rufe eines aufgebrachten Mobs. Der dramatisch-expressive Tonfall der Sprechchöre überging dann nach der Kreuzigung in sanfte und mitfühlende Trauerklagen.

Sehr starke geschichtlich-religiöse und persönliche Empfindungen

Die musikalische Andacht zur Stunde des Todes Jesu rief sehr starke geschichtlich-religiöse und persönliche Empfindungen hervor. Obwohl der Schwerpunkt der Aufführung nicht auf dem rein Künstlerischem lag – was für Riethmüller wichtig und wegweisend war – zeigte sich die Kantorei stimmlich und emotional in ihrem besten Licht.

In der Kirche stellte sich eine authentische, düstere und grausige Atmosphäre ein, in der die Motetten und Choralsätze von Heinrich Schütz, Samuel Scheidt oder Johann Sebastian Bach sowie mehrere, mit dem Chor gemeinsam gesungene Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch Schmerz und Verzweiflung ausdrückten, aber auch Trost und Hoffnung auf Erlösung spendeten.