Der Nagolder Unternehmer Dietrich Aldinger ist ein leidenschaftlicher Tüftler. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Portrait: Aus dem Nagolder Vorzeige-Unternehmer und Mäzen hätte vielleicht auch ein großer Jazz-Musiker werden können

Donnerstagabend wird der Nagolder Unternehmer und Mäzen Dietrich Aldinger im Stuttgarter Schloss mit der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Gewürdigt wird damit seine unternehmerische Leistung, aber auch seine Unterstützung des Jugendforschungszentrums.

Nagold. Eigentlich ist die mit der Auszeichnung verbundene Aufmerksamkeit Dietrich Aldinger gar nicht so lieb. Was da gewürdigt werden soll, sieht er selbst irgendwie überhaupt nicht als besondere Leistung an. Sein Leben – das wird deutlich, wenn man dem heute 76-Jährigen zuhört – war immer geprägt von Pflichterfüllung. Disziplin. Einerseits. Es gibt aber auch noch den "anderen" Dietrich Aldinger. Den Musiker. Den Ästheten. Den lustvoll-sinnlichen Dietrich Aldinger.

Der Unternehmer: 320 Leute beschäftigt das Unternehmen Dietrich Aldinger GmbH heute an den Produktionsstandorten in Nagold und Horb. Alleiniger Geschäftsführer ist seit 2015 Sohn Achim Aldinger. Als der Senior das Unternehmen Anfang der 1970er-Jahre von der Familie seiner Ehefrau übernahm, waren es nur knapp ein Dutzend Mitarbeiter. Das Geheimnis des Erfolgs: Aldinger baute den Metallbearbeitungsbetrieb konsequent zu einem Innovationsführer aus, wobei seine Tüftelei-Leidenschaft den Kunden stets eigene Wettbewerbsvorteile in ihren Branchen sicherte. Bekanntestes Beispiel: die Auslösetasten für Toiletten, die Dietrich Aldinger für den Armaturen-Hersteller Geberit entwickelte. Und die heute weltweit in schier unendlichen Variationen im Einsatz sind.

Er sieht sich allenfalls noch als Berater

Eine eher selten erzählte Seite der Unternehmer-Familie Aldinger: mit Unterstützung des Papas baute Tochter Anja Aldinger das ebenfalls in Nagold (auf dem Eisberg) ansässige Unternehmen Aldinger Industries Airovation auf, das sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem der weltweit führenden Zulieferer von Interior- und Exterior-Komponenten für die Luftfahrt-Industrie entwickelt hat. Was damit gemeint ist: der Betrieb mit heute ebenfalls bereits 125 Mitarbeitern liefert zum Beispiel für "den" führenden Sitzhersteller überhaupt sämtliche Kunststoff-Teile für Flugzeugsitze – also Sitzschalen, Klapptische und so weiter.

Mit Blick auf seine Kinder sagt Dietrich Aldinger aber, dass er nie der "Patriarch" der Familie sein wollte. Sein möchte. Weshalb er alle Verantwortung längst abgegeben hat, sich allenfalls noch als Berater sieht. Und diesen Zustand sichtlich genießt. Gibt es ihm doch erstmals in seinem Leben den Raum, sich ganz und ausschließlich seinen "sonstigen" Interessen zu widmen. Der Musik zum Beispiel. Fast schüchtern erzählt Aldinger von seinem jüngsten Coup: vom Umbria Jazz Festival in Italien konnte er "gebraucht" einen der extrem raren und wertvollen Fazioli-Konzertflügel erstehen. "Einfach ein Traum", für den dieselben Hölzer aus demselben Alpental verwendet werden, wie sie einst der legendäre Geigenbauer Antonio Stradivari für seine Instrumente einsetzte.

Mindestens eine Stunde täglich spielt Dietrich Aldinger an diesem Flügel für sich seine Musik. Schon sein Studium habe er sich mit Musik verdient – damals in den 1950er-, 60er-Jahren, in den berüchtigten Clubs der Stuttgarter Jazz-Szene. Als er seiner Mutter, die ihn nach dem Tod des Vaters im Zweiten Weltkrieg ab seinem ersten Lebensjahr alleine großziehen musste, eröffnete, dass er eigentlich auch viel lieber Musik studieren wolle, "ging die runter in den Keller, holte sich eine Flasche Wein" – Pfälzer Wein, weil: Mutter Aldinger war Pfälzerin, und der Württemberger damals noch nicht trinkbar – "und erzählte mir dann, dass mein Vater, mein Großvater – alle Ingenieure waren. Und dass das auch meine Bestimmung sei."

Sohn Dietrich gehorchte. Und schiebt im Heute noch eine "Fortsetzung" dieser Geschichte nach: "Als mein Sohn Achim mir eines Tages offenbarte, dass er unbedingt Missionar werden wollte, ging ich selbst hinunter in meinen eigenen Keller, eine Flasche Wein zu holen" – der Württemberger, den Dietrich Aldinger bevorzugt, war und ist mittlerweile gut trinkbar – "um ihm ebenfalls dieses Ansinnen auszureden." Aldinger erzählt diese Anekdote nicht ohne spürbaren Schmerz; er weiß nur zu gut, was es bedeutet, seine eigentlichen Träume ziehen zu lassen. Was er da von seinem Sohn verlangte. Aber auch Achim Aldinger gehorchte. Und baut heute längst – sehr erfolgreich, wie der Senior nicht ohne Stolz verkündet – seine eigene Unternehmer-Geschichte.

"Ich mag die Mentalität der Menschen dort"

Was Aldinger senior selbst in all den Jahren der Pflicht mit seiner "Muse", der Musik, verband, waren unter anderem immer wieder Besuche in New Orleans. Der Heimat des Jazz, von dem Aldinger alle Geschichten zu erzählen weiß. Die Ursprünge im 19. Jahrhundert, der Song der ersten Schellack-Schallplatte, die hier aufgenommen wurde. Wie sich aus den frühen Marching Bands erst der Blue Grass, dann der Dixie und später der Swing entwickelte. "Ich mag die Mentalität der Menschen dort." Mit dem Banjo sei er selbst durch die Straßen von "The Big Easy" gezogen, habe mit anderen gleich an der nächsten Hausecke einfach drauflos improvisiert. Die Menschen dort – bettelarm; aber die Musik – die gehe einfach ganz tief rein.

Und dann berichtet Aldinger noch mal von seiner Stuttgarter Zeit, dort wo er aufgewachsen sei. Die Jazz-Clubs, wo er zum Beispiel mit der Jazz-Legende Horst Jankowski gespielt habe. Der ihm als damaliges Mitglied des Tanzorchester des Süddeutschen Rundfunks geraten habe eben zu diesem Studium, das ihm dann seine Mutter wieder ausredete. Und für einen Moment blitzt das Leben auf, das Dietrich Aldinger auch hätte leben können. Und in dem er vielleicht auch einer der ganz Großen geworden wäre.

Die Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg wird an Persönlichkeiten und Unternehmen verliehen, die sich in herausragender Weise um die baden-württembergische Wirtschaft verdient gemacht haben. Wichtige Kriterien sind: Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen; Bereitstellung von Ausbildungs-plätzen; gesellschaftlich verantwortliche und nachhaltige Unternehmensführung; Innovation, Forschung und Entwicklung, Technologie- und Wissenstransfer; ressourcenorientiertes Wirtschaften; Stärkung der Sozialpartnerschaft; besondere Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.