Kurt Petersson zusammen mit Adjutanten im Jahr 1944.                           Fotos: Familien- und Firmen-Archiv Hasana J. Hakenmüller Foto: Schwarzwälder Bote

Geschichte: Zum 75. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler 20. Juli 1944 / Auch in Nagold gab es widerstandsbereite Militärs

Nagold. Für Herma Klar, Leiterin des städtischen Museums im "Steinhaus" in Nagold war bis vor drei Wochen noch klar, dass diese Stadt zwischen 1933 und 1945 durch und durch nazibraun gefärbt war. Von Widerstand auf Amtsebene oder von Seiten des dort stationierten Militärs keine Spur. Bis ihr da zwei Briefe aus den Jahren 1945 und 1946 zur Lektüre vorgelegt wurden, aus denen erkenntlich wird, was oberhalb dieses Ortes, auf dem Eisberg, Soldaten des dort seit 1943 stationierten Flieger-Ersatzbataillons VII betrifft. Da heißt es unter anderem: "Beim Flieger-Ersatzbataillon VII hatte sich um den Oberst Kurt Petersson eine antinationalsozialistisch eingestellte Gruppe gebildet zu der auch Rolfdieter Hakenmüller gehörte. Diese Gruppe hatte sich dem Kommandeur gegenüber bereit erklärt, jederzeit aktiv gegen die Partei zu kämpfen, sobald er den Befehl dazu erteilte. Im Falle eines Bekanntwerdens dieses gegebenen Versprechens hätte es selbstverständlich in der damaligen Zeit den Kopf gekostet, worüber sich jeder Angehörige, so auch Rolfdieter Hakenmüller, im klaren war.

Sehr kritisch wurde diese Sache, als im Verlauf der Ereignisse des 20.7.1944 vom Kommandeur Befehle der vorgesetzten Dienststelle hinsichtlich der Einsatzbereitschaft des Bataillons für die Partei nicht ausgeführt wurden, was zur Folge hatte, dass von Seiten der Partei sowie der vorgesetzten Dienststelle Verhandlungen und Verhöre auch des Schreibstubenpersonals, vorgenommen wurden.

Im Zusammenhang damit wurde Oberst Petersson sofort seiner Dienststelle enthoben und musste den Gau Württemberg innerhalb 24 Stunden verlassen haben.

Scharfe Verwarnung wird ausgesprochen

Besonders in dieser Zeit hielt Hakenmüller zu seinem abgegebenen Versprechen gegenüber dem Kommandeur und tat dies auch kund durch Äußerungen im Kameradenkreis, wodurch Hakenmüller von Seiten des Nat.Soz.Führungs-Offiziers scharfe Verwarnung erhielt."

"Mit großem Taktgefühl und Sorgfalt"

Dieser Brief stammt aus der Feder der damaligen Chef-Sekretärin Hanna von Schneyder, welche Hakenmüller ein Testat zu seiner erfolgreichen Bewerbung am Technikum Reutlingen ausgestellt hatte.

Wenn der jetzt 97-Jährige im heutigen Albstadt-Tailfingen aufgewachsene, seit 1953 in Hechingen-Hohenzollern lebende Rolfdieter Hakenmüller auf seine Dienstzeit als Obergefreiter vom 16. März 1944 bis zum 8. Mai 1945 in der primitiv mit Baracken eingerichteten Kaserne auf dem Eisberg zurückblickt, kommen ihm trotzdem mehr behagliche, als angstvolle Gefühle. Seine Hauptaufgabe bestand darin, straffällig gewordene Luftwaffen-Militärs zu degradieren, eine Aufgabe, die er laut brieflichem Zeugnis seines Chefs Petersson, "mit großem Taktgefühl und Sorgfalt trotz seines jugendlichen Alters mit gutem Erfolg ausführte".

Zuvor hatte der bis 1939 sehr erfolgreiche Springreiter (organisiert in der Reiter-SS) bei seinem Einsatz an der Front an der Straße von Messina in Sizilien im Jahr 1943 durch einen Streifschuss einen Schädelbruch erlitten, weshalb man ihn ins Militärkrankenhaus nach Sigmarigen zurückgebracht hatte. Die aufgrund dieser Verletzung entstandenen, immer wiederkehrenden Kopfschmerzen begleiteten ihn noch bis Ende der 1950er-Jahre. Doch nicht nur deshalb hat der gläubige Protestant seinen drei Kindern nachhaltig empfohlen, keiner politischen Fahne oder Partei hinterherzulaufen und ihnen erklärt, warum es kein "deutsches Vaterland" mehr geben könne.

Gäbe es die hier zitierten Briefe nicht – im Grunde genommen Testate – so gut wie nichts wäre zu erfahren, über die wahren Vorgänge im Flieger-Ersatzbataillon VII auf dem Eisberg. Zu Kriegsende hatten laut Karl Mayer, dem in deutscher Militärgeschichte sehr bewanderten Leiter des Calwer Stadtarchivs, die Nazis befohlen, alle schriftlichen Dokumente von dort abzugeben und schließlich zu vernichten. Der bis zum Jahr 2000 tätige Textilfabrikant Hakenmüller berichtete indes niemals von selbst darüber.

Da geht es ihm wie so vielen Zeugen des 20. Juli 1944, die das ganze Unternehmen als beschämenden Misserfolg empfanden. Zumal in Folge dessen fast die ganze Hitler-Opposition und moralisch-geistige Elite in Deutschland bis in die zweite Reihe ausgelöscht wurde. Auch viele Überlebende schwankten danach zwischen dem Urteil, dass Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg ein "Held" oder ein "Feigling" war.

Tiefe Abscheu ersetzt bisherige Verehrung

Rolfdieter Hakenmüllers Vater Paul war Leutnant der Reserve vor Reims im 1. Weltkrieg und hatte wohl dort den 1887 geborenen Kurt Petersson kennengelernt. 1940 wurde Paul zum Feldzug nach Belgien einberufen und erlebte die Verbrechen der Wehrmacht, was in ihm entgegen seiner bisherigen Verehrung der nationalsozialistischen Bewegung tiefe Abscheu verursachte. Weshalb er sich nach einem halben Jahr wegen Unabkömmlichkeit in seiner mit seinem älteren Bruder in Tailfingen geleiteten Textilfabrik zurückversetzen ließ. Nach seinem plötzlichem Tod 1942 wandte sich Rolfdieters Mutter an den Oberst Petersson, er möge doch ihren dazu noch an einer Gelbsucht erkrankten Sohn nach dessen Genesung zu sich in die Kompagnie nach Nagold holen.

Aus der Sicht des Oberst liest sich dies so: "Mitte 1944 spitzten sich die Zwistigkeiten zwischen Partei und Dienststelle zu. Die Differenzen zwischen der örtlichen Parteileitung, dem Kreis- und Gauleiter einerseits und mir andererseits wuchsen sich zur offenen Feindschaft aus. Daher war ich gezwungen, Klarheit innerhalb meines Stabes zu schaffen. Hakenmüller war mir als politisch unzuverlässig überwiesen. Seine antinationalsozialistische Einstellung wurde mir aus eigener Erfahrung bestätigt".

Spätestens seit seinem Kranken-Aufenthalt in Sigmaringen wechselten zwischen ihm und seiner jung verwitweten Mutter Helene jeden zweiten Tag Feldpostbriefe, die zwar in den Wochen vor und nach dem 20. Juli 1944 alle vorweg durch die Gestapo geöffnet wurden, jedoch immer mehr von belanglosem Inhalt wurden. Ganz bewusst? Bis heute kann sich Rolfdieter Hakenmüller sehr gut verstellen, was ihm einst wohl bei den nach dem gescheiterten Attentat erfolgten Verhören das Leben gerettet hat.

Ob sich die Mitglieder dieser eingeschworenen Truppe auf dem Eisberg jemals wieder gesehen haben, ist zweifelhaft. Denn Fanny, die Ehefrau des zu Ende des Kriegs schwer erkrankten Kurt Petersson, schrieb 1983 seinem jüngsten Adjutanten Hakenmüller von ihrem nachmaligen Wohnort in Heidelberg, dass die "Eisbergler" sich schon sehr lange nicht mehr gesehen, und sie ein Treffen für die nächstes Jahr plane, sie jedoch nicht wisse, wer alles wo wohne.  Die erwähnten Briefe sowie Fotos befinden sich im Familien- und Firmen-Archiv Hasana J.Hakenmüller, Hechingen

Hauptsitz des deutschen Fliegerbataillon VII war München. Die Nagolder Kaserne im 2. Weltkrieg bestand wohl hauptsächlich aus Baracken, zu einem richtigen Ausbau kam es offenbar nicht. Der Standort wurde von unterschiedlichen Dienststellen/Truppeneinheiten belegt. Ein Vorläufer befand sich seit 1943 in Grosselfingen/Hohenzollern. Nach dem Frankreichfeldzug wurde diese Einheit dann weg verlegt, näher an die Front. Das Flieger-Ersatz-Bataillon VII war keine besonders bedeutende Einheit, wie alle Ersatztruppen-Dienststellen im Heimatkriegsgebiet. Immerhin wurde hier der Personalersatz für die Fronttruppe zusammengefasst und meist auch ausgebildet. In Nagold kam die Überführung von straffälligen Luftwaffensoldaten zu Bewährungseinheiten hinzu. Zumeist aber waren hier Soldaten stationiert, die nicht mehr "kv", also kriegsverwendungsfähig waren. Sie waren "gv", garnisonsverwendungsfähig; zumeist also ältere Jahrgänge oder Rekonvaleszenten. Aufsteiger in der militärischen Hierarchie waren eher selten hier zu finden.

Petersson, im Ersten Weltkrieg wohl Heeresoffizier, wurde 1919 deaktiviert und 1935 beim Aufbau der Luftwaffe reaktiviert. Wahrscheinlich als Hauptmann. Vielleicht war er zuvor, wie viele "neue" Offiziere, bei der Polizei oder ähnlichen Organisationen. Bei Kriegsbeginn war er weit über 50 Jahre alt und wurde, wie viele Offiziere des 1. Weltkrieges, nicht mehr bei Frontverbänden verwendet. So kam er als Oberst dazu, ein Ersatz-Bataillon zu kommandieren.