Die kleine Kreissäge rechts und der Glasofen im Hintergrund gehen nach der Werkstattschließung in Nagold mit ins private Heim von Heidi Herrgott in Mindersbach – was erahnen lässt, dass sie dort dann immer noch (für eigene künstlerische Arbeiten) reichlich gebraucht werden. Foto: Kunert

Ende des Monats schließt Glasmalerin Heidi Herrgott ihren Handwerksbetrieb in der Emminger Straße.

Nagold - "Ich hab’s doch verdient aufzuhören!?", antwortet Heidi Herrgott, wenn man sie fragt, warum sie ihre "Werkstatt für Glas & Rahmen" in der Emminger Straße in Nagold Ende des Monats aufgibt. Mit Corona habe das aber nichts zu tun. Die Pandemie habe allenfalls die Entscheidung beschleunigt.

Weil: "Ich habe die Ruhe in dieser Zeit sehr genossen." Seit bekannt ist, dass sie nun ihren kleinen Betrieb für immer schließen wird, ist es allerdings mit der Ruhe erst einmal vorbei. "Ja, ich werde gerade regelrecht mit Aufträgen überrannt." Gerade, zum Pressegespräch, ist der Laden eigentlich zu. Aber eine Kundin, die extra aus Wildberg hergekommen ist, sieht Heidi Herrgott von außen, klopft. Da kann die Geschäftsfrau in Heidi Herrgott nicht anders – und sie lässt die Kundin rein.

Fast nur Stammkunden

Die bringt ein japanisches Halstuch, das viel zu schön zum Tragen sei. Ein Geschenk von einem Japaner, weshalb es eine persönliche Bedeutung habe. Heidi Herrgott soll dem noch, bevor sie aufhört, einen schönen Rahmen verleihen. Eigentlich ist das letzte Auftragsbuch bereits voll – und geschlossen. Aber Heidi Herrgott macht das, was sie macht, stets mit ganzer Leidenschaft. Deshalb kann sie wohl gar nicht anders – als sofort über den richtigen Rahmen nachzudenken. Ein, zwei Beispiele aus dem Fundus ans Tuch anzulegen. Und den sehr reduzierten, schmalen schwarzen Metallrahmen zu empfehlen. "Machen Sie es, wie Sie es für richtig halten", sagt die Kundin schließlich. Kunden sind über die Jahre fast nur Stammkunden – und vertrauen der Handwerksfrau. Und dass Heidi Herrgott immer fair ihre Arbeit abrechnet – darüber muss man nicht sprechen.

Aber woher weiß die gelernte Glasmalerin, welcher Rahmen wirklich der jeweils richtige ist? "Das ist immer ein Bauchgefühl", erzählt sie. Dafür müsse man "das Bild verstehen". Den Künstler. Was er aussagen will. Auch den Raum, in dem das Bild später einmal hängen soll. "Die Kunden haben heute oft die Wand, wo das Bild ran soll, als Foto auf dem Handy dabei."

Beim Rundgang durch die alte Werkstatt, in der früher ihr Vater (Erich Schwarz; gelernter Kunstglaser) Fenster gebaut hat, holt Heidi Herrgott ein Bild des Landschaftsmalers Heinz Wolf aus einer der großen Schubladen, der wie sie im Nagolder Ortsteil Mindersbach lebt. "Ich mag seine Bilder, seine Art zu malen sehr." Aber welchen Rahmen genau dieses Bild mit seinen Grau-, Blau-, Grün- und Orange-Tönen verdient, das wisse sie noch nicht. Das brauche noch etwas Zeit. Und Besinnung. Was ahnen lässt, dass diese Arbeit von Heidi Herrgott auch selbst eine große Kunst ist.

Warum Sie einmal den Beruf der Glasmalerin erlernt hat? "Ich bin nicht gefragt worden", sondern vom Vater verpflichtet. Ein Bruder wurde Fensterbauer wie der Vater, ein anderer ging in den Verkauf. Das Haus hier in der Emminger Straße 3 ist ihr Elternhaus, bis letztes Jahr lebte oben die Mutter; dann verstarb sie, 94 Jahre alt. Vielleicht auch das ein Grund für die Tochter, das Kapitel abzuschließen. Sich auf andere Dinge zu konzentrieren: "Ich tät brutal gerne mit dem Zeichnen anfangen", erzählt Heidi Herrgott. Zuhause – in Mindersbach – hätten sie und ihr Mann auch noch einzigartige historische Jugendstil-Fenster – aus einer alten Villa in Baiersbronn. Die sie restaurieren möchte. Die Glasmalerei – die kam in den letzten Jahren wohl etwas zu kurz.

Im zweiten Lehrjahr – im hessischen Hadamar verbracht – sei die Leidenschaft für den von den Eltern verordneten Beruf erwacht. Es war eine freie, ungebundene Zeit. Wie gemacht für das Entfesseln ihrer kreativen Ader. 1972 kam sie zurück nach Nagold, in den elterlichen Betrieb, den Vater und Mutter seit den 1950ern hier aufgebaut hatten. Der Vater baute die Fenster, sie übernahm die Glasmalerei – die in den 1980ern "eine richtige Welle" in der Region erlebte: Viel Bleiglas war gefragt, auf Glas gemalte Wappen oder auch Zunftzeichen. Später folgte das "Fusion-Glas" – Gläser verschiedener Farben wurden miteinander verschmolzen. Aber Heidi Herrgott und ihr Papa scheuten die immensen Investitionen für die notwendigen Öfen – zum Glück: "Billigware aus dem Osten überschwemmte dann den Markt." So rückten mehr und mehr für die Handwerkerin die Bilderrahmen in der Vordergrund – maßangefertigt, stets aus nur hochwertigen Materialien; oder auch Reparaturen derselben ("Wer macht das heute noch!?"). Aber das kreative Arbeiten mit Glas? Wurde eher zur Nebensache, zumindest im Alltag ihrer Werkstatt.

Heidi Herrgott kümmert sich um eigene Kunst

"Früher habe ich manche Kirche restauriert", erzählt Heidi Herrgott. Was damals auch ihre Tochter beeindruckt haben musste. Die wollte "von ganz Klein auf" immer der Mama helfen in der Werkstatt. Der Deal der beiden: "Wenn du über den Werktisch schauen kannst, dann darfst du auch helfen." Heute ist Anna Herrgott als gelernte Glasmalerin (wie die Mama) und Kunstglaserin (wie der Opa) eine international gefragte, freie Künstlerin mit Atelier in Bad Ems (Rheinland-Pfalz). Und es schwingt ein wenig Stolz in der Stimme mit, wenn Mutter Heidi davon berichtet, wie die Tochter "ihren Weg gefunden" habe. Aber eventuell auch ein wenig Sehnsucht, es in Bezug auf die "Freiheit" der Tochter gleich zu tun.

Heidi Herrgott zeigt ein herrliches, von ihr gestaltetes Farb-Fenster – in Blautönen. Ein Werk aus ihrer Musterausstellung, das sie eigentlich im laufenden Ausverkauf ihrer Auslagen ebenfalls verkaufen wollte. Jetzt nicht mehr. "Das geht mit nach Hause", nach Mindersbach. Dort gebe es, in ihrem Garten, "einen Friedhof für blaues Glas" – das wegen seiner besonderen Färbung schon ein Kunstwerk für sich sei. "Die Menschen wissen gar nicht, wie aufwändig es ist, dieses Glas herzustellen." Das Blau etwa kommt von Kobaltoxiden, die extrem gesundheitsschädlich sind. Im Glas jedoch ist das Kobalt fest eingebaut und kann aufgrund der stabilen Struktur nicht einfach herausgelöst werden.

Irgendwer habe ihr einmal eine blaue Sektflasche geschenkt, berichtet Heidi Herrgott. Als die leer war, brachte es die passionierte Glaskünstlerin in ihr nicht übers Herz, die Flasche einfach wegzuschmeißen. "Das kam mir falsch vor." Weshalb sie die Flasche damals dekorativ im Garten in den Schnee gestellt habe. Seitdem seien "endlos viele" blaue Flaschen dazu gekommen – ein richtiges Kunstwerk daraus entstanden. Was vermuten lässt: wenn am 28. August die "Werkstatt für Glas & Rahmen" in der Nagolder Innenstadt für immer ihre Türen schließt, dann hört Heidi Herrgott endgültig auf, ausschließlich nur für ihre Kunden da zu sein. Und wird sich ab da – hoffentlich – vor allem wohl um ihre ganz eigene Kunst kümmern.