Fast ehrfurchtsvoll zeigt Hans Digel das Bild seines Großvaters Johann Jockers als Marine-Soldat. Foto: Kunert

Firmenpatriarch erzählt von seinem Großvater. Besonderes Kapitel der Familiengeschichte.

Nagold - Es sind wahre Kleinode, die Firmenpatriarch Hans Digel da in den Konferenzraum seiner Unternehmenszentrale auf dem Wolfsberg trägt - und sie haben einmal nichts mit modischer Kleidung zu tun: uralte chinesische Fotoalben, Zeugnisse eines ganz besonderen Kapitels der Familiengeschichte.

Eine der ersten Seiten, die Hans Digel aufschlägt, zeigt einen Mann mit einem gar mächtigen Schnauzbart. In stolzer Pose, in historischer deutscher Marine-Uniform. "Das ist mein Großvater - mütterlicherseits." Johann Jockers hieß der, von allen nur "Hans" genannt. Stammte aus dem Dorf Legelshurst - das liegt zwischen Kehl und Appenweier im Rheintal. Ja, von diesem "Hans" hat auch Hans Digel seinen Vornamen. Und ein paar Erinnerungen aus der Kindheit.

Großvater Jockers war - wenn er nicht gerade in der damals kaiserlich-wilhelminischen Armee diente - Bierbrauer von Beruf, betrieb in seinem Heimatdorf die Brauerei Salmenbräu. Enkel Hans begleitete ihn bei den Besuchen der Familie im Rheintal ein ums andere Mal etwa zum "Kunden-Trunk" - der Vertriebs-Tour des Opas durch die Kneipen der umliegenden Dörfer. "Einmal war der Fahrweg frisch geteert", erinnert sich der Enkel - selbst Jahrgang 1942. Der Großvater bekam da, nicht mehr so ganz spursicher ob der "Vertriebsgespräche" in Sachen Salmenbräu, "Gleichgewichtsprobleme" - und saß plötzlich auf einem Schotterhaufen am Wegesrand. Eine lustige Erinnerung an den großen alten Mann. Der so viel in seinem Leben erlebt hatte.

Unternehmer-Gen vom Opa gab es wohl mit

"Wär’ ich Bierbrauer und nicht Textilkaufmann geworden, hätte ich trinkfester sein müssen", resümiert Hans Digel die kleine Anekdote. Aber das Unternehmer-Gen vom Opa gab es wohl mit.

Aber auch vom Vater, Gustav Digel, der in der Braustube von Salmenbräu die Tochter des Johann Jockers kennen- und später auch lieben lernte: Maria Jockers. Sie bediente den jungen "Textiler aus der Reutlinger Ecke", der gerade - 1939 - sein eigenes Textilunternehmen gegründet hatte. Der Standort Nagold wurde ihm für sein Unternehmen damals "zugewiesen" - weil es hier damals so viele Webereien gab. Und wo die junge Familie ab den Nachkriegsjahren aber auch schnell heimisch wurde. Die 80-jährige Unternehmensgeschichte ist eine ungebrochene Erfolgsgeschichte.

Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Großvater Jockers war nicht irgendein Brauer. Als Soldat des Kaisers bereiste er die damaligen deutschen Kolonien - Südafrika, China. "Deutsch-Südwest". Eine echte Weltreise. Auch in die deutsche Kolonialstadt Tsingtau (alte Schreibweise) führte der Weg - wo die deutschen Kolonialherren eine "Germania Brauerei" gegründet hatten, die die vom chinesischen Kaiser formal gepachtete Region Kiautschou mit dem so beliebten Gerstensaft versorgen sollte. "Hans" Jockers wurde hier zu einem der ersten Braumeister der Germania Brauerei. Aus der später, als die Deutschen auch hier ihre Kolonien wieder aufgeben mussten, die heutige Tsingtao-Brauerei wurde - aktuell die zweitgrößte Brauerei Chinas, Top 6 weltweit. Dass die Chinesen - wie die meisten Asiaten - so gerne Bier trinken, und dass bis heute am liebsten "nach deutschen Reinheitsgebot", hat tatsächlich seine Wurzeln in der einstigen Germania-Brauerei im historischen Tsingtau.

Der älteste Sohn von Opa Johann verstarb Ende der 1930er-Jahre

Hans Digel blättert in den alten Foto-Alben vor sich auf dem Konferenztisch. Auch mit Ehrfurcht. Die Bilder zeigen das ganz alte China, wie es heute längst verloren ist. "Früher waren es mehr Foto-Alben", berichtet der Brauerei-Enkel. Einige wurden verliehen - und fanden den Weg (aus welchen Gründen auch immer) nicht zurück zur Familie Digel. Umso mehr werden die verbliebenen, mit edlen Intarsien-Arbeiten geschmückten Einbände wert geschätzt in der Familie. "Der älteste Sohn von Johann" - auch ein "Hans" - "verstarb leider Ende der 1930er-Jahre". Als Bierbrauer hätte er eigentlich das väterliche Salmenbräu übernehmen sollen.

Als nächster "Hans" in der Ahnenreihe hätte der Großvater es wohl gerne gesehen, wenn Hans Digel die Brauer-Tradition in der Familie fortgesetzt hätte. "Als kleiner Kerl" half dieser auch gerne mit im Braubetrieb des Opas, nicht nur beim "Kunden-Trunk". Auch bei der Produktion der Eisstangen für die Kühlung des Bieres (mittels einer speziellen elektrischen Anlage, wie sich Hans Digel erinnert). Sogar die "Handkasse" im Braustüble sei ihm "später" anvertraut worden, wenn er zu Besuch in Legelshurst war. Wenn Hans Digel so erzählt - sicher auch eine idyllische, vielleicht aber auch einfach nur durch die vielen vergangenen Jahre seitdem eine ein wenig romantisch verklärte Zeit. Aber das Brauwesen, das war einfach nicht seins. Salmenbräu wurde deshalb später von einer Rastatter Brauerei aufgekauft.

Auch Hans Digel reiste nach Tsingtao

Zwei-, dreimal in seinem Leben war Hans Digel später tatsächlich aber auch selbst in Tsingtao - nicht in erster Linie auf den Spuren des Großvaters - sondern um Lieferanten für sein Textilunternehmen zu besuchen; aber auch ein bisschen, um dem Ahnen nachzuspüren. "Natürlich habe ich auch die historische Brauerei besucht", die heute zu einem Museum ausgebaut ist. "Aber Hinweise auf meinen Großvater habe ich dort leider nicht gefunden." Aber gemeinsam mit den Bildern aus den Familien-Alben sei die Erinnerung in den noch vorhandenen historischen Brauerei-Gebäuden doch auch recht lebendig geworden.

Und: "Das Tsingtao-Bier ist richtig klasse!", findet Hans Digel. Was ja vielleicht doch auch mit dem Erbe von Johann "Hans" Jockers zu tun haben könnte. Wobei Hans Digel sich sehr sicher ist, für seinen Lebensweg damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Warum? "Textiler wie ich sind nun mal sehr viel weniger durstig." Sagt’s. Und schließt für heute die alten chinesischen Foto-Alben.