Sie sind die Väter des Erfolgs beim Nagolder Automobilzulieferer Wagon Automotive. Jetzt gehen sie in Freundschaft getrennte Wege. Thomas Eisseler (links) und Ralf Bommer (rechts) verlassen das Unternehmen. Bildmitte: Orlando Caldari, Chef der italienischen Tiberina-Gruppe, die die Mehrheit an dem Nagolder Unternehmen übernommen hat. Foto: Buckenmaier Foto: Schwarzwälder Bote

Autozulieferer: Warum Ralf Bommer und Thomas Eisseler als Gesellschafter ausgestiegen sind

Für Außenstehende kam der Schritt überraschend, dabei war der Ausstieg von Ralf Bommer und Thomas Eisseler als Gesellschafter von Nagolds größtem gewerblichen Unternehmen, der Wagon Automotive Nagold GmbH, sorgfältig geplant.

Nagold. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Ausgerechnet jene beiden Unternehmer, die das in Zeiten der Finanzkrise so gebeutelte Nagolder Unternehmen im Zuge eines Management Buyouts 2009 vor der Insolvenz gerettet haben, gehen jetzt von Bord? Mitten in boomenden Zeiten, die Wagon zu neuen Umsatzrekorden trägt? Kann man denn mit 54 Jahren – so alt sind beide – schon ans Aufhören denken?

"Nur schwer vorstellbar", sagt Thomas Eisseler und lacht. Zwischen ihm und seinem Kompagnon Bommer sitzt Orlando Caldari (56), der nicht minder gut aufgelegte Chef der Tiberina-Gruppe, die Bommer und Eisselers Anteile an dem Nagolder Automobilzulieferer übernommen hat.

Die Botschaft, die Bommer, Eisseler und Caldari mit diesem gemeinsamen Auftritt vermitteln wollen, ist klar: Das sei mitnichten eine feindliche Übernahme gewesen, man gehe vielmehr in aller Freundschaft und Professionalität auseinander.

Konzerngeschichte beginnt in einer Garage

Caldaris Vater Pasquale hat im Jahr 1960 in dem mittelitalienischen Städtchen Umbertide in der Nähe von Perugia mit einer Handvoll Leute in seiner Garage den Grundstein zu der Firma gelegt. 20 Jahre später stieg Sohn Orlando ins Unternehmen ein. Da beschäftigte man schon 100 Mitarbeiter. Heute stehen weltweit 4200 Menschen bei dem italienischen Automobilzulieferer in Lohn und Brot, davon 600 in Nagold. Tiberina hat seine Produktionsstandorte über den ganzen Globus verteilt: in Italien, Brasilien, Argentinien, Tschechien, Türkei und eben, mit Wagon Automotive, auch in Deutschland.

Als Bommer und Eisseler vor neun Jahren die Mehrheit von Wagon Automotive kauften, war die Beteiligung von Tiberina, die 49 Prozent der Anteile hielt, nur eine Randnotiz.

Aber im Zuge des fulminanten Aufschwungs, der Wagon im Laufe dieser Jahre seit dem Management Buyout eine Umsatzsteigerung von 75 (Jahr 2009) auf 190 Millionen Euro (2017) bescherte, sollte die Rolle des italienischen Partners mit seinem globalen Netzwerk immer wichtiger werden. Derweil wurde Wagon, wie Caldari es nennt, zum "Star" der ganzen Unternehmensgruppe, die in Fiat Chrysler ihren größten Kunden hat. Mit dem Nagolder Karosseriebauer aber hatte man den Fuß in der Tür bei den großen deutschen Autobauern Daimler, BMW und VW. 23 Prozent des Umsatzes der gesamten Tiberina-Gruppe wird über die Marke mit dem Stern generiert – dank Wagon Automotive.

Auch in Nagold beherzigte Caldari, was er weltweit in den 18 Produktionsstandorten praktiziert: "Alle Gewinne bleiben im Geschäft." Eisseler bestätigt: "Niemals wurden Dividenden oder Ausschüttungen vorgenommen." Stattdessen investierte man bei Wagon in Nagold im zurückliegenden Jahrzehnt im großen Stil: 85 Millionen Euro flossen in neue Roboterstraßen und Gebäude, in Bremen wurde ein neuer Produktionsstandort eröffnet.

Wachstum hat auch seinen Preis

Doch irgendwann reifte bei den beiden Hauptgesellschaftern Bommer und Eisseler die Erkenntnis, dass dieses Wachstum auch seinen Preis hat: Können sie, so überlegten die beiden, als Privatpersonen bei Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe überhaupt noch mitgehen? Solche Summen lassen sich ohne entsprechendes Eigenkapital nur schwerlich stemmen.

Und solche Investitionen sollten kommen – dank eines Großauftrags von Daimler für die Luxusklasse. Dafür wird derzeit auf dem Wolfsberg eine 26 000 Quadratmeter große Produktionsstätte aus dem Boden gestampft. Kostenpunkt: 135 Millionen Euro.

Als die Entscheidung für diese Investition fiel, hatten sich Bommer und Eisseler in anderer Sache schon entschieden: zum sukzessiven Ausstieg in einer Langzeitstrategie. Bereits im Jahr 2013 verkauften sie an die Tiberina-Gruppe 21 Prozent ihrer Firmenanteile, jetzt haben die Italiener auch die letzten 30 Prozent, die Bommer und Eisseler noch hielten, übernommen.

Tiberina-Chef Orlando Caldari pendelt in diesen Tagen viel zwischen Umbertide und Nagold. Beratend in dieser Übergangsphase, bis ein neuer Geschäftsführer für Wagon gefunden ist, stehen ihm seine beiden deutschen Ex-Partner weiterhin zur Seite. Er schätzt die beiden: "Wenn sie hier sind, sind sie zuhause." Kandidaten für diesen Chefposten, auch aus der Region, gebe es bereits.

Eisseler und Bommer wissen, wie beide unisono betonen, um ihre Verantwortung für das Unternehmen und seine Mitarbeiter – auch wenn sie demnächst von Bord gehen: "Dieser Verantwortung werden wir absolut gerecht und wir dürfen stolz sein auf das, was wir gemeinsam mit unseren Mitarbeitern geschaffen haben", sagt Thomas Eisseler. "Und wir wollen, dass das Unternehmen auch weiterhin erfolgreich ist", unterstreicht sein Partner Bommer.

Also ab in die Südsee? "Für zwei Wochen vielleicht", sagt Bommer und lacht. Beide wollen unternehmerisch zu neuen Ufern aufbrechen. Mit welchen konkreten Zielen, das wollten sie indes – noch – nicht verraten.

  1933: Gründung des Unternehmens Wackenhut durch Ernst Wackenhut in Altensteig. Produziert werden Lkw-Anhänger, Lkw-Aufbauten und Fahrerhäuser.

   1950: Wackenhut beginnt mit der Entwicklung und Fahrerhausproduktion für Daimler Benz Lkws.

  1953: Umzug in ein neues Werk nach Nagold.

  1970: Der Bau des Presswerkes läutet den Einstieg ins Automobil-Zuliefergeschäft ein.

  1999: Übernahme des Unternehmens durch den amerikanischen Konzern Oxford Automotive Inc.

  2001: Erweiterung der Produktionsanlagen und Umzug auf den Wolfsberg.

   2006: Zusammenschluss der Unternehmen Oxford Automotive Inc. und Wagon Automotive plc.

   2009: Management Buyout und Gesellschafterwechsel. B&E GmbH (Bommer und Eisseler) hält 51 Prozent der Anteile, Tiberina Group, Italien, 49 Prozent.

 2013: Tiberina übernimmt die Mehrheit der Gesellschaft (70 Prozent).

  2017: Gründung eines weiteren Standortes in Bremen.

 2018: Tiberina Group übernimmt Wagon komplett.

Die Tiberina-Gruppe wurde 1960 von drei Familien in der umbrischen Kleinstadt Umbertide gegründet. Mit Orlando Caldari steht nunmehr die zweite Generation an der Spitze des weltweit agierenden Konzerns (1 Milliarde Umsatz). Caldaris italienischer Firmenpartner Guiseppe Codovini starb bei einem Autounfall im September vergangenen Jahres. Die Firmengruppe produziert in 18 Werken – in Südamerika und Europa – Karosserieteile vornehmlich für Autos (50 Prozent Geschäftsanteil), Transporter (25 Prozent), Lkws (fünf Prozent) sowie für Traktoren, Baumaschinen und Gabelstapler. Größter Kunde der Gruppe ist Fiat Chrysler (29 Prozent), gefolgt von Daimler (23 Prozent). Die Gruppe beschäftigt 4200 Mitarbeiter.