Die Osterkerze brennt in einer ansonsten menschenleeren Nagolder Stadtkirche. Foto: Buckenmaier

Ralf Albrecht über bewährte und neue Wege zu den Menschen und wie er sich seinen Abschied vorgestellt hat.

Nagold - Wie erlebt ein Geistlicher das höchste Fest der Christenheit in Zeiten von Corona? Wir sprachen mit Ralf Albrecht, evangelischer Dekan in Nagold und designierter Prälat in Heilbronn, über seine Erfahrungen und Erlebnisse an einem etwas anderen Osterfest.

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Stellen Sie sich vor es ist Ostern – und kein Gottesdienst findet statt. Hätten Sie sich so etwas jemals vorstellen können?

Nicht einen Moment. Das war mein mit Abstand ungewöhnlichstes Osterfest. Es fühlte sich absolut unwirklich an, obwohl wir wissen, dass es so – mit diesem Abstand voneinander – sinnvoll war. Gleichzeitig war es das vielleicht eindrücklichste Osterfest. Denn was ist Ostern, wenn nicht die Botschaft mitten hinein in schwierige Zeiten: Das neue Leben siegt!

War es nicht ein befremdliches Gefühl, bei diesem wichtigsten Fest der Christenheit nicht auf der Kanzel zu stehen?

Da wiederum habe ich Ostern in sehr guter Erinnerung.    Ich war ja quasi pausenlos auf der Kanzel. Nur eben auf einer anderen. Sie befand sich allermeist in der Nagolder Stadtkirche, direkt vor dem Altar, Gesicht in die Kamera.  Du musst Dir nur beim Aufnehmen klarmachen, das werden dann später, zu Ostern, viele sehen. Und sie erhoffen sich dadurch ein gutes geistliches Wort, eine innere Aufmunterung, einen Herzens-Impuls. Die andere Kanzel steht in meinem Besprechungszimmer im Dekanat. Täglich geht von dort online eine Abendandacht raus und landet bei Youtube auf unserem Onlinekanal des Kirchenbezirks. Diese kleine Kanzel ist privater, direkter, handgemachter. Und sie gibt Dir die Möglichkeit, anhand eines Bibelwortes den Tag ein wenig      zu sortieren und innerlich      abzurunden – und damit hoffentlich auch denen, die das so in Häppchen gucken oder lesen.

Wie haben Sie privat Ostern erlebt?

Ich befürchte, ein wenig wie immer. Wir haben ja sonst als Pfarrersleute auch an Ostern viel zu tun und wenig Möglichkeit, Verwandtschaftsbesuche, Freundestreffen, Ausflüge und so was in die Mitte zu stellen. Dass es diesmal verordnet so war, hat es noch schmerzlicher erscheinen lassen. Und da greifst Du dann zum verschickten Blumengruß für die Eltern, zum WhatsApp-Videoanruf mit der Familie.

Und wie haben Sie die Menschen an Ostern erlebt?

Gerade in den Zeiten von "Social Distancing" werden mir die persönlichen Kontakte zu "meinen Schäfchen", um es mal so zu sagen, immer wichtiger. Und man sollte es nicht glauben, aber es gibt Möglichkeiten. Die neu entdeckten digitalen Wege habe ich ja schon ein wenig beschrieben. Ein anderes: Ich habe die Briefkästen wieder mehr schätzen gelernt. Einfach mal etwas dort hinterlassen, bei einzelnen. Ein gutes Wort, ein paar geschriebene Zeilen dazu. Und ganz intensiv reagieren Menschen auf Musik. Viele, viele haben zurück gemeldet,   wie inspirierend sie das morgendliche Blasen zum Turm der Stadtkirche erleben. Oder das Musizieren abends um 19 Uhr in der Nachbarschaft, wenn mit anständigem Abstand über den Zaun oder sonst "Der Mond ist aufgegangen" gesungen und gespielt und gehört wird.

In der Stadtkirche standen Osterlichter und liegen tagesaktuelle Andachten zum Mitnehmen bereit. Nehmen die Nagolder dieses Angebot an? Kommen sie in die Kirchen?

Ja, das machen sie. Sie kommen herein in die geöffnete Kirche, setzen sich einen kleinen Moment, halten inne – lassen die Gedanken wandern. Vielleicht ein Gebet, wer weiß? Und dann entzünden manche eine Kerze – und sehr gerne haben sie jetzt über die Ostertage die kleinen Mitgebsel mitgenommen. Andachten – ja, auch. Aber das bekommen viele ja viel leichter online. Können sie unter kirchenbezirk-calw-nagold.de digital herunterladen oder die Videos anschauen. Kommen, ja das tun sie. Aber hingehen und sie wertschätzen und wahrnehmen, das ist wichtiger. Deshalb fand ich unsere gemeinsame Aktion der Kirchen mit der Stadt Nagold, Cityverein und Gewerbeverein so wertvoll. Mit der in die Haushalte verteilten Osterkarte ging es um das Signal: Jede und jeder wird gesehen in diesen Zeiten.

Was macht Ihnen Hoffnung in diesen Tagen?

Sehr, sehr viel. Zum einen ganz offensichtlich, dass über Öffnungs-Strategien diskutiert wird. Das würde niemand, wenn es nicht im Blick auf die Zahlen ein klein wenig Entspannung gäbe. Ist doch verrückt, oder? Da werden Einschränkungen vorgeschrieben, von denen die Verantwortlichen genau wissen: Je besser sie greifen, desto mehr werden manche Uneinsichtigen motzen: Wieso war das alles nötig? Und zum anderen macht mir das Osterfest selbst unheimlich Hoffnung. Wir haben es für den Ostermontagsgottesdienst "Schreckliche Ostern" genannt. Das sollte so ein Aufhorcher sein.   Denn Ostern begann genau so: Angst, Zittern, soziale Isolation, Befürchtungen, Weglaufen wollen, Schweigen – und dann kam die unfassbare und doch so heilsame Nachricht: "Christus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden". Das ändert alles. Und Hoffnung bricht aus. Das trägt mich.

Abschied in Zeiten von Corona: So haben Sie sich wahrscheinlich ihren bevorstehenden Wechsel von Nagold nach Heilbronn nicht vorgestellt...

Ganz sicher nicht. Es ist nicht alles abgesagt, aber vieles steht in Frage. Ein letztes großes Musikevent à la Churchnight früher? Vorgeplant, aber sicher nicht möglich. Eine riesen Abschiedsparty in der Seminarturnhalle oder im Teufelwerk – das wär meins, aber es sieht ganz und gar nicht danach aus. Ein großer Verabschiedungsgottesdienst in der Nagolder Stadtkirche am 26. Juli um 14.30 Uhr mit wunderbarster verschiedener Musik – Posaunenchöre, Kantorei, Gospelchor Ebhausen, Vokalensemble des OHG – würde mir die Tränen der Rührung in die Augen treiben und ein paar anderen vielleicht auch. Aber wird es werden?   Niemand weiß. Aber ich weiß, dass wir das Richtige tun, wenn wir hier und heute vor allem darum kämpfen, dass Menschen den Kampf gegen das Virus gewinnen und gesund bleiben oder werden. Gerade für unsere Schwächsten, Vorerkrankten, Älteren ist das unbedingt nötig. Das wiegt alles andere auf, was ich eventuell entbehre. Meine Gedanken sind vielmehr bei denen, die jetzt durch diese Krise ihre eigene berufliche und wirtschaftliche Existenz in Frage sehen. Und darunter leiden. Da ist mein Abschied eine Kleinigkeit. Und Abschied face to face wird es ja auf alle Fälle geben.