An der Stelle, an der am Freitag fünf Menschen ihr Leben verloren, haben Menschen Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Foto: Bernklau

Urteil nach Müllwagen-Unfall mit fünf Toten bei Nagold. Fahrlässige Tötung und Körperverletzung.

Nagold/Tübingen - Das Gericht ist nach dem tragischen Müllwagenunfall mit fünf Toten überzeugt: Der Fahrer hat drei Fehler gemacht. Dass das Gericht die Strafe trotzdem zur Bewährung aussetzte, enttäuscht die Angehörigen der Opfer.

Aus Protest gegen das Urteil verlässt die Schausteller-Familie den Gerichtssaal nach der Verkündung sofort. Zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung hat das Gericht den Verursacher des tödlichen Müllwagenunfalls bei Nagold (Kreis Calw) verurteilt. Am 11. August 2017 sind dabei fünf junge Menschen, darunter ein Baby und ein Kleinkind, aus dem Leben gerissen worden. «Das Urteil ist lachhaft, es ist ein Witz», sagt der Cousin des getöteten 22-Jährigen aufgebracht. «Es gibt kein gerechtes Urteil für sowas. Aber man hätte schon eine Haftstrafe erwarten müssen, dass der Mann einen Denkzettel hat.»

Der 55-jährige Lkw-Fahrer war nach Überzeugung des Gerichts am 11. August zu schnell in eine Kreuzung gefahren, wo sein Fahrzeug umkippte und das Auto einer jungen Familie unter sich begrub. Alle fünf Insassen starben: die 25 Jahre alte Fahrerin, ihr Freund (22), die zweijährige Tochter, der nur wenige Wochen alte Sohn und die 17 Jahre alte Schwester der Fahrerin.

Denkzettel, Vergeltung, Sühne - für solche Ansinnen sei das Strafrecht nicht gedacht, wie Verteidiger und Richterin in dem Verfahren betonten. Das Urteil könne weder der Familie Frieden bringen, noch dem Fahrer die Last von den Schultern nehmen, merkt die Richterin an. Die Urteilsbegründung nimmt der Mann mit dem grauen Schnurrbart mit hängendem Kopf entgegen. Die Strafe könne zur Bewährung ausgesetzt werden, weil der Angeklagte nicht etwa durch eine Haft erst zur Besinnung gebracht werden müsste, sagt die Richterin. «Aufgrund des Unfalls ist er ein gebrochener Mann.»

Die Richter sind überzeugt, dass drei menschliche Fehler sowie eine unglückliche Verkettung von Umständen zu dem Unfall geführt haben. Sie legen in der Urteilsbegründung dar, was kurz vor dem Unfall in dem Fahrerhaus passiert sein muss.

Der Fahrer habe sich rund vier Kilometer vor dem Unfall ans Steuer gesetzt, sein Kollege nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Obwohl der heute 55-Jährige das Fahrzeug nicht kennt, fährt er nach nur 33 Sekunden weiter. Diese Zeit habe nicht ausgereicht, sich mit allen Funktionen vertraut zu machen. Erster Fehler.

Als er auf eine Gefällestrecke kurz vor der späteren Unfallstelle seinen Lkw gemächlich rollen lassen will, aktiviert er nach Überzeugung der Kammer nicht die Motorbremse sondern den Tempomat. Der Lastwagen hatte zwei verschiedene Hebel - Motorbremse und Tempomat - an der Stelle, wo der gewöhnlich vom 55-Jährigen gefahrene Lkw nur einen Hebel hat, nämlich die Motorbremse. Zweiter Fehler.

Durch diesen falschen Handgriff beschleunigte der Lkw plötzlich und der Fahrer gerät nach Überzeugung der Richter in Panik - schließlich war er 2010 schon mal mit einem Müllwagen umgekippt. Für das Gericht steht fest: Gebremst hat der 55-Jährige nicht, auch nicht mit dem laut Gutachter einwandfrei funktionierenden Bremspedal. Dritter Fehler. Das eine Vesperbox unter dem Pedal lag, die das Durchtreten verhinderte, hält die Kammer für unwahrscheinlich.

Zu den unglücklichen Umständen dürfte zählen, dass die Straße am Unfallort leicht nach links geneigt ist. «Der Lkw hätte nicht notwendigerweise kippen müssen», sagt die Richterin. Diese Straßenneigung habe das Umkippen aber begünstigt. Neben der Bewährungsstrafe ordnet das Gericht an, dass der Fahrer 1000 Euro an die Notfallseelsorge im Kreis Calw bezahlen muss und seine Fahrerlaubnis frühestens in einem Jahr wieder zurückbekommt

Das Urteil hilft der Familie aus Sicht des Nebenklage-Anwalts Bernd Gerritzen nicht dabei, das Leid zu verarbeiten, wie er nach der Verhandlung sagt. Er vertrat die Eltern der getöteten Erwachsenen, die aber nicht im Gerichtssaal waren. «Sie sind alle in psychiatrischer Behandlung, sie kämpfen mit den Unfallfolgen, sind jeden Tag auf dem Friedhof bei ihren Kindern», sagt Gerritzen.

«Aber ganz offen gesprochen, auch eine Verurteilung ohne Bewährung würde an diesem Leid nichts ändern.» Er ließ anklingen, dass die Familie zivilrechtliche Forderungen an den Fahrer stellen will, ging aber nicht näher darauf ein. Eine Revision schließt er genau so wie Verteidiger Thomas Weiskirchner aus. «Mein Mandant hätte jedes Urteil angenommen», sagt Weiskirchner nach der Verhandlung. «Er fühlt sich tief schuldig.»

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