Paul Baitinger verstarb im Alter von 86 Jahren. Foto: privat

Singender Bäckermeister ist für immer verstummt. Stadt verliert einen ihrer redlichsten Bürger. 

Nagold - Es gibt wenige Stadträte, die eine ganze Epoche in der Nagolder Stadtgeschichte so geprägt haben – politisch wie menschlich – wie Paul Baitinger. Er war über Jahre hinweg ein Brückenbauer zwischen den politischen Welten. Das Volk schätzte diesen "singenden Bäckermeister" und kürte ihn bei mehreren Kommunalwahlen zum ungekrönten Stimmenkönig. Jetzt ist Paul Baitinger im Alter von 86 Jahren gestorben.

Es sind genau 60 Jahre her, dass er mit seiner kleinen Familie nach Nagold zog. Der gebürtige Oberjettinger wählte ein ehrbares Handwerk wie sein Vater, der Schmiedemeister war. Paul Baitinger wurde Bäcker.

Nach seiner Lehre in Herrenberg hatte er der Heimat den Rücken gekehrt und kam über Fellbach nach Ulm, wo er mit 22 Jahren die Prüfung zum Bäckermeister ablegte und auch noch seine aus Günzburg stammende Agathe kennenlernte, die er 1958 heiratete. Gemeinsam starteten die Baitingers, denen zwei Söhne geschenkt werden sollten, in die Selbständigkeit, pachteten eine Bäckerei in Heidenheim, um dann 1961 die Gelegenheit beim Schopf zu packen, als in Iselshausen die Bäckerei Müller zum Verkauf stand. Bis 1994 stand hier an der Hauptstraße der "singende Bäckermeister" in seiner Backstube.

Die Bäckerschürze hängte er zwar an den Nagel, dem Singen aber, seiner großen Leidenschaft, blieb er bis ins hohe Alter treu. Im "Mohren", im Gesangverein, bei Seniorennachmittagen und, wenn es denn sein musste, auch bei Parteiveranstaltungen. Wenn Parteigranden in der Nagolder Stadthalle zu Gast waren und man sich zur Nationalhymne von den Sitzen erhob, dann war es die schöne Tenorstimme von Paul Baitinger, die die Strophe anstimmte.

35 Jahre Mitglied im Nagolder Stadtrat

Er war ein Mann aus dem Volke und hatte deswegen ein feines Gespür für Nagolder Befindlichkeiten. Das prädestinierte ihn geradezu zum Volksvertreter. 35 Jahre lang, von 1974 bis 2009, war er Nagolder Stadtrat, davon viele Jahre Fraktionsvorsitzender der CDU und Erster OB-Stellvertreter. Baitinger führte die CDU, als mit Rainer Prewo ein Sozialdemokrat in das damals schwarz geprägte Rathaus einzog. In dieser Zeit baute er mit seiner pragmatischen, verlässlichen Art Brücken über Parteigräben hinweg. Wenn es einen Kommunalpolitiker gibt, der den Jeremia-Spruch "Suchet der Stadt Bestes" in der täglichen kommunalpolitischen Arbeit verinnerlichte und lebte, dann war es dieser Bäckermeister aus Iselshausen. Was nicht heißt, dass er nicht auch streitbar gewesen wäre und klare Haltung einnahm, auch als Kreisrat, aber er war im Ton nie verletzlich.

Wie messerscharf er gleichwohl formulieren konnte, bewies er als "Nagelrichter". Unvergessen sind die professionellen Auftritte jener tiefschwarzen Robenträger, zu denen er gehörte, die stets zu Beginn eines neuen Jahres den Stadträten mit kabarettistischer Note die Leviten lasen und als Höhepunkt den "Rostigen Nagel" für außergewöhnlich gewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet der Kommunalpolitik verliehen.

Nach seinem politischen Ruhestand wurde es still um ihn. Als seine Frau Agathe 2006 starb, zog er aus seinem Haus auf dem Oberen Steinberg aus – und hinunter in die Stadtmitte. Hier sah man ihn bis zuletzt, seine neue Lebensgefährtin Dagmar Hillenbrand an der Seite, auf den Rollator gestützt durch die Stadt marschieren. Und immer mit diesem verschmitzten Lächeln, das für ihn so typisch war, und eines seiner vielen Gedichte auf den Lippen, die er auch im hohen Alter noch rezitieren konnte.

Anfang des Jahres war er mit seinem Sohn Thomas morgens spazieren – abends erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Paul Baitinger wäre im April 87 Jahre alt geworden.

Es wird Corona-bedingt nur eine kleine Verabschiedungsfeier im engsten Familienkreis geben. Seine letzte Ruhe finden wird Paul Baitinger, begleitet von einer Trauerfeier, in dem neuen Friedwald, der voraussichtlich im Sommer eröffnet wird.

Diese letzte Ruhestätte würde ihm gefallen. "Das kommt seinem Naturell sehr entgegen", sagt sein Sohn Thomas, "Natur und Wald – das war sein’s".