Zufall bringt weitere sexuelle Vorfälle ans Licht. Angeklagter legt kein Geständnis ab. Familie wird unvermittelt konfrontiert.
Nagold/Calw - Noch im November 2013 konnte ein Nagolder Geschäftsmann eine Gefängnisstrafe abwehren. Die Rücknahme seiner Berufung gegen ein Urteil wegen Kindesmissbrauchs bescherte ihm "nur" eine Geldstrafe ob seiner namhaften Steuerhinterziehung. Einen weiteren Missbrauch verhandelte jetzt das Schöffengericht Calw.
Und der trat eher zufällig zutage. Als das Verfahren wegen Steuerhinterziehung von 586.000 Euro abgeschlossen war, wollte die Finanzbehörde die entsprechenden Dateien löschen. "Um nicht die falschen zu erwischen, habe ich das Material nochmal überprüft und bin auf die Bilder gestoßen, die unter Abrechnungen versteckt waren", berichtete der zuständige Steuerfahnder in der Verhandlung.
Über Staatsanwaltschaft und Polizei kam die Sache ins Rollen, was eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von sieben Jahre alten Bilddateien nach sich zog. Im Mai wurde der 61-Jährige in einer Kurklinik festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. "Fünf Mal hat er zur Nachtzeit sexuelle Handlungen an dem damals zehnjährigen Mädchen vorgenommen", fasste Staatsanwalt Tobias Freundenberg in seiner Anklage zusammen. Der Tiefschlaf des Kindes, das mit der Tochter des Angeklagten befreundet ist und deshalb dort übernachtete, verschärfte die Anklage des sexuellen Missbrauchs von Kindern um den Punkt, diesen an widerstandsunfähigen Personen begangen zu haben. "Besonders verwerflich" wertete Rechtsanwältin Stephanie Vogt, die die heute 17-jährige Geschädigte als Nebenklägerin vertrat, dass der Angeklagte das Vergehen auch noch fotografisch dokumentiert und gespeichert hat. "Sie haben ihr eine normale jugendliche Zeit genommen.
Ich bedaure, dass sie weder ein Geständnis noch Gewissen gezeigt haben", hielt Vogt dem Angeklagten vor. Denn der Beschuldigte machte keine Angaben vor Gericht, sodass sowohl die Jugendliche als auch ihre Eltern gezwungen waren, vor Gericht auszusagen. Viel mehr noch: Sie wurden im Prozess erstmals mit den Bildern des Missbrauchs konfrontiert und brachen weinend zusammen.
Auf Freispruch plädierte Verteidiger Nikolaus von Lucke. "Die Bilder unterliegen dem Beweisverwertungsverbot und sind für eine Täteridentifikation nicht geeignet", bestritt er die Rechtmäßigkeit von deren Verwendung. Er stellte in Zweifel, ob die auf den Bildern sichtbare Hand seinem Mandanten gehöre oder die Zeitangaben auf den Bildern der Wahrheit entsprächen. Dem widersprachen Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Gericht. "Es gibt keine Anhaltspunkte, dass andere Personen im Umfeld den Missbrauch begangen haben könnten, geschweige denn, jemand in ihrem Haus auf ihrer Bettwäsche die Bilder gemacht hat", hielt Freudenberg dem Angeklagten fünf Straftaten vor.
Vor diesem Hintergrund verblassten die Anklagen wegen Drogenbesitzes und Titelmissbrauchs (der Geschäftsmann hatte sich einen Doktortitel in Warschau gekauft). Beide Anklagepunkte wurden deshalb vorläufig eingestellt. "Wegen Fluchtgefahr bleibt der Haftbefehl aufrecht erhalten", erklärte Richterin Brigitte Lutz, nachdem sie das Urteil von drei Jahren und sechs Monaten Haft verkündet hatte. "Sie haben das Vertrauen des Mädchens auf denkbar schlimmste Weise missbraucht", stellte Lutz am Ende eines neunstündigen Verhandlungstages fest.