Ortsvorsteher Thomas Reimer im Gespräch mit Redakteurin Beate Müller. Foto: Fritsch

Ort wie aus dem Bilderbuch. Derzeit 415 Einwohner. Fehlende Infrastruktur ist Problem.

Nagold-Schietingen - Umgeben von Grün so weit das Auge reicht sitzen wir, Schietingens Ortsvorsteher Thomas Reimer und ich, auf einer Bank am neuen Dorfplatz. Ringsherum bilden Berge den Kontrast zum blauen Himmel, die Steinach schlängelt sich zu unseren Füßen durch das Grün, Häuschen mit Garten prägen das Ortsbild. Der kleinste Teilort Nagolds kann man als rundum idyllisch beschreiben.

Nur 415 Einwohner leben derzeit in Schietingen, die Tendenz ist allerdings sinkend, wie Thomas Reimer mit Bedauern feststellt. Er selbst kam 1996 von seiner Heimat Bad Wildbad der Liebe wegen nach Schietingen und fühlt sich dort sehr wohl. Heutzutage ziehe es junge Familien allerdings eher nach Nagold oder in Stadtteile in Höhenlage, die zudem näher an der Autobahn liegen, vermutet der hauptberufliche Kriminalbeamte. Zudem lasse die Infrastruktur in einem Dorf dieser Größe zu wünschen übrig. Einkaufsmöglichkeiten gibt es keine, die letzten beiden Wirtschaften sind ohne Pächter, nur noch die Schilder an der Fassade erinnern daran, dass man hier mal gut einkehren konnte.

Der Bus nach Horb und Nagold hält vor allem abends und am Wochenende nur noch selten, der Bahnhof zwischen Schietingen und Gündringen wurde schon in den 1970er-Jahren abgerissen. Dennoch fährt die Kulturbahn, die zwischen Horb und Pforzheim verkehrt, alle halbe Stunde an Schietingen vorbei. "Das ist schon bitter das zu sehen", stellt der Ortsvorsteher fest. Zumal bei der immer älter werdenden Bevölkerung eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr immer wichtiger werde. Deswegen kämpft der neunköpfige Ortschaftsrat gemeinsam mit dem der Nachbargemeinde Gündringen um die Reaktivierung der Haltestelle. Schließlich sei der Bahnsteig sowie Parkplätze vorhanden.

Dorfplatz mit Backhäuschen wurde saniert

Das sind möglicherweise auch Gründe, wieso die Einwohnerzahlen rückläufig sind. "Aber wir versuchen dem Trend entgegenzuwirken", meint Reimer. "Man darf da nicht nachlassen."

Derzeit entstehen im Wezenäcker zwölf neue Bauplätze – im Vergleich zu vielen anderen Gemeinden und Städten zu bezahlbaren Quadratmeterpreisen. Dem Ortsvorsteher ist vor allem die Ortskernsanierung ein Anliegen, viele Häuser seien unbewohnt.

Ein weiteres Thema, um das der Ortschaftsrat kämpft, ist der Kindergarten. Elf Kinder besuchen derzeit die Gruppe. Es könnten mehr sein, erklärt Reimer, wenn der Kindergarten eine Ganztagsbetreuung hätte, um die man sich derzeit bemühe. Denn einige Eltern bringen ihre Kinder zur Ganztagsbetreuung in die umliegenden Ortschaften, während der hiesige Kindergarten um den Fortbestand aufgrund von Kindermangel bangen muss.

So viele Baustellen es in Schietingen noch anzupacken gibt, so viele wurden auch in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht. Besonders stolz ist Reimer auf den neuen Dorfplatz und das frisch sanierte Backhäuschen mit Dorfgemeinschaftsraum. 2009 wurde das Rathaus aufgrund einer maroden Bausubstanz abgerissen. Doch auf diesen Rückschritt folgte in der Ortsmitte nur noch Fortschritt. Die Außenstelle der Stadtverwaltung wurde ins alte Schulhaus verlagert, die einst im Rathaus untergebrachte Feuerwehr erhielt ein neues Gerätehaus. Mit dem frisch sanierten Dorfplatz erfuhr auch das anliegende Backhäuschen eine Aufwertung. Der Dorfgemeinschaftsraum ersetzt den Bürgersaal des früheren Rathauses und kann für Vereinsfeste und für private Feiern gemietet werden. Bei Festen und Veranstaltungen auf dem Dorfplatz wie dem kleinen Weihnachtsmarkt am Samstag vor dem dritten Advent, stellt der moderne Raum die Infrastruktur.

Im vorderen Teil des Backhäuschens ist jedoch alles beim alten – nur moderner. Der Holzbackofen wird regelmäßig benutzt. Um dieses Projekt zu realisieren, packte das ganze Dorf gemeinsam an: In mehr als 300 Stunden Eigenleistung wurde unter anderem Wände durchgebrochen, Boden verlegt, gestrichen.

Ebenfalls am Dorfplatz steht ein weiteres Juwel der Ortschaft: Das Schmiedemuseum steht als nächstes Projekt auf der Agenda. "Das befindet sich derzeit in einer Art Dornröschenschlaf", meint Reimer. Nun soll ein Konzept erarbeitet werden, wie es der Öffentlichkeit neu präsentiert werden kann. Außerdem ist eine Renovierung nötig, die Exponate müssen zudem beschriftet und beleuchtet werden. Auch hier sieht Reimer ein Projekt für die ganze Gemeinde.

Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein

Praktisch an solch einem Ort wie Schietingen ist es, dass kein Weg weit ist – aber steil, wie ich bei dem Spaziergang durch Schietingen bemerkte. Wer ganz oben auf dem Berg wohnt, hat zwar eine tolle Aussicht, aber einen anstrengenden Heimweg. Anonym leben geht in Schietingen kaum: "Hier kennt jeder jeden", erklärt Reimer. Hinter ihm stehe daher eine tolle Dorfgemeinschaft mit gutem Zusammenhalt.

Zum Schluss des Rundgangs zeigt Reimer den wohl idyllischsten Ort in Schietingen. Hier scheint wahrhaftig die Welt noch in Ordnung zu sein. Zwei Jungen toben an den Spielgeräten, nebenan liegt ein Fußballplatz mit Holztoren. Zwei runde Weidenbüsche sind noch die Überbleibsel der Landesgartenschau: Einer war ursprünglich als Spieltunnel gedacht, im anderen steht umringt von Laub eine Bank. Die Steinach schlängelt sich am Freizeitgelände vorbei, ein niederer, von schattenspendenden Bäumen umgebener Bachzugang lädt zum Abkühlen ein. Kein Beton, kein Geländer, nur Grün und das klare Wasser, eine Entenfamilie schwimmt vorbei, einige Meter weiter führt ein Steg über die flache Steinach. Vor allem im Sommer entfaltet Schietingen seine volle Schönheit – ein Ort wie aus dem Bilderbuch.