Bildung: Gymnasium startet Schulversuch "Digi-Mint+" / Vertreter aus Wirtschaft kritisieren gegenwärtiges Bildungssystem
"Digi-Mint+" heißt ein neuer Schulversuch am OHG, der in der Klasse 10 sowie in den Kursstufen 1 und 2 angesiedelt ist und bis 2027 laufen soll. Jetzt wurde "Digi-Mint+" bei einer Feier im Kubus vorgestellt.
Nagold. "Die Welt steht vor vielfältigen Problemen", sagte Helmut Günther von der Leitung des Jugendforschungszentrums in seinem Grußwort. Die Digitalisierung könne bei Themen wie dem Klimawandel, den erneuerbaren Energien oder bei Verkehrsproblemen zu Land, Wasser und Luft "eine große Hilfe sein", führte er weiter aus. Vor diesem Hintergrund sei es "ein Segen", wenn Schüler "die Grundlagen der Digitalisierung in ihrer Breite erkennen und anwenden".
Bei der feierlichen Einführung wies OHG-Schulleiter Walter Kinkelin darauf hin, dass es bei dem Schulversuch auch darum ginge, die sogenannte Digitalisierungskompetenz der Schüler zu fördern. Unter dem Begriff Digitalisierungskompetenz versteht der Schulleiter neben dem Wissenserwerb zu Themen wie der Künstlichen Intelligenz, dem maschinellen Lernen oder "Big Data" (zu deutsch: Massendaten) auch die ziel- und lösungsorientierte Anwendung des erworbenen Wissens.
Riesenpotenzial
Darüber hinaus solle "Digi-Mint+" auch die MINT-Methodenkompetenz der Schüler stärken. Die Abkürzung MINT steht für die Initialen der Fachbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Außerdem soll der Schulversuch den Schülern bei der Berufs- und Studienorientierung der Schüler behilflich sein.
In einem aufwendigen Bewerbungsverfahren wurden 20 Schüler, davon zwölf Mädchen und acht Jungs, für den Schulversuch ausgewählt. Dass mit dem Schulversuch gerade die Mädchen im MINT-Bereich gefördert werden sollen, findet Martina Lehmann, Chefin der Agentur für Arbeit Pforzheim-Nagold besonders gut: "Das ist genau der Trend, den wir brauchen." Gerade Frauen stellten in der Arbeitswelt im Zeitalter der Digitalisierung "ein Riesenpotenzial" dar, bemerkte die Agentur-Chefin.
Die wissenschaftliche Evaluation von "Digi-Mint+" wird vom erziehungswissenschaftlichen Institut der Universität Stuttgart durchgeführt. Bis 2025 soll die Universität durch regelmäßige Zwischenberichte den Schulversuch begleiten. Diese Evaluation kostet knapp 97 000 Euro, wobei dieser Betrag von der Schule, von der Stadt und von der Friedrich-und-Elisabeth-Boysen-Stiftung gemeinsam übernommen wird.
Als einen "ausgesprochen guten Tag" bezeichnete Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann den Startschuss. Der Abend sei ein "klares Signal für die Zukunft". Hinter dem Schulversuch verberge sich eine "echte Gemeinschaftsleistung", an der neben der Schule und der Stadt auch das Jugendforschungszentrum, verschiedene Hochschulen, die Agentur für Arbeit und die Industrie "an einem Strang in die gleiche Richtung" gezogen hätten.
Im Anschluss an die Grußworte gab es eine Talkrunde, die von Markus Brock vom SWR moderiert wurde. An der Gesprächsrunde nahmen Boysen-Chef Rolf Geisel, Matthias Schneider von der Unternehmergruppe Fischer, Hans-Dieter Wehle von IBM, OHG-Lehrer Hans-Albert Theurer und die beiden OHG-Schüler Lara Fröhlich und Luca Dold teil.
Wichtiges Zukunftsthema
Digitalisierung sei ein wichtiges Zukunftsthema; und ihre Förderung müsse an allen Schulen in noch verstärkter Weise vorangetrieben werden – so die einhellige Meinung der Wirtschaftsvertreter. "Wir brauchen Ideen, Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Mit dem heutigen Zustand lässt sich der Umbruch nicht gestalten", mahnte Rolf Geisel. Auf den Schulversuch "Digi-Mint+" sei er zwar stolz – allerdings stelle der Schulversuch lediglich einen "ganz kleinen Anfang" dar. "Das Bildungssystem in Baden-Württemberg muss noch viel dazulernen. Wir sind weit von dem entfernt, wo wir hin müssen", stellte der Boysen-Chef seine Sicht der Dinge dar.
Dem pflichtete Matthias Schneider bei: Das gegenwärtige Bildungssystem sei "definitiv nicht dafür ausgerichtet", MINT-interessierte Schüler zu "kreativen Teamworkern" zu schulen – genau die brauche man aber in der Wirtschaft.
Auch wenn sich die Digitalisierung gesamtgesellschaftlich ausweite, müsse man darauf achten, dass die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung von den Schülern nicht schicksalsgleich hingenommen werden sollten, machte OHG-Schulleiter Walter Kinkelin in einem Pressegespräch deutlich. Dass die Schüler sich beim Thema Digitalisierung auch mit ethischen Fragen beschäftigen müssten, sei klar.
Ergebnisoffen
Um die Kritikfähigkeit der Schüler zu fördern, sei es daher auch denkbar, Ethik- oder Philosophie-Lehrer in das Projekt einzubinden. Bei "Digi-Mint+" handle es sich um einen "ergebnisoffen" gestalteten Schulversuch. Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Digitalisierung befähige die Schüler, sich konstruktiv-kritisch mit den Folgen des digitalen Wandels und des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz auf das gesellschaftliche Leben auseinanderzusetzen.
Ein ganz besonderes Highlight des Abends war aber eher musischer Natur: die Big Band des OHG, die das Publikum mit Stücken wie "Waltermelon Man", "88 Basie Street" oder "Sabor de Cuba" unter der Leitung von Tina Egner und Thomas Kalmbach so richtig in Fahrt brachte. "Ich habe ja schon viele Schüler-Bigbands gehört, aber so eine schöne noch nie", bemerkte SWR-Moderator Markus Brock.