Lothar Riebsamen (stehend) spricht in der Nagolder Hausarztpraxis von Oliver Mayer über interessante Themen der Gesundheitspolitik. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Ärztemangel: Bundespolitik macht Station in Nagolder Hausarztpraxis von Oliver Mayer

Eigentlich war es schade, dass das kein öffentlicher Termin war: Mit Lothar Riebsamen (CDU) besuchte ein ausgewiesener Gesundheitsexperte der Bundespolitik die Nagolder Hausarztpraxis von Oliver Mayer. Dabei gab’s spannende Infos zur Gesundheitspolitik aus erster Hand.

Nagold. Vordergründiges Thema für das Treffen, dem auch einige weitere CDU-Kommunalpolitiker aus der Region beiwohnten: Die Zukunft der Landarztpraxen, gerade vor dem Hintergrund des jüngst in Kraft gesetzten Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), das Ärzte zu einem Mehr an offenen Sprechstunden für Kassenpatienten verpflichtet. Ein Gesetz, das nicht bei vielen Kollegen von Oliver Mayer gut ankam, wie Riebsamen berichtet.

Aber nicht, weil diese nun mit einem Mehraufwand an Arbeit hadern (der allerdings auch zusätzlich vergütet wird) – "sondern, weil sich die Politik in die Selbstverwaltung der Ärzte eingemischt hat". Das sei ein "unfairer Tritt gegen’s Schienbein gewesen". Tatsächlich, so Riebsamen, der als Verwaltungsexperte fürs Krankenhauswesen für seine Partei im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt (siehe Infokasten), würden die meisten Ärzte "effektiv sowieso schon mehr offene Sprechstunden anbieten", als es jetzt das neue Gesetz fordert.

Es ist halt im deutschen Gesundheitswesen nicht immer alles so, wie es vordergründig scheint – auch nicht beim sogenannten "Ärztemangel". Lothar Riebsamen: "Es hat in Deutschland noch nie so viele zugelassene Ärzte gegeben wie derzeit." Auch die "Universitäten sind komplett voll" mit Medizin-Studenten, konnte Allgemeinmediziner Mayer ergänzen – dessen Nagolder Praxis auch Lehrpraxis für die Uni Tübingen ist. Warum die Zahl der Mediziner hierzulande zunehmend trotzdem nicht reichen wird, die Bedarfe – gerade im ländlichen Raum – zu decken, liege in den modernen Lebensentwürfen der Nachwuchs-Ärzte von heute begründet, die neben Beruf immer auch reichlich Raum für das private Leben einforderten. Die Zeit der "Selbstausbeutung" bei den Ärzten sei vorbei.

Konsequenz daraus: "Es wird mehr Gemeinschaftspraxen geben müssen." Seien Polikliniken nach dem Modell der früheren DDR vielleicht eine Lösung für dieses Problem – so eine Nachfrage aus den Reihen der anwesenden Stadträte. Riebsamen wollte das Modell lieber "Medizinische Versorgungszentren" (MVZ) genannt wissen, bestätigte aber, dass es auch auf solche "Angebots-Muster" hinauslaufen werde – gerade auch, weil der ärztliche Nachwuchs die Möglichkeiten an MVZs, im Angestellten-Verhältnis zu arbeiten, gerne nutze. Und außerdem gebe es in Deutschland (immer noch) die "doppelte Facharzt-Schiene", mit auf besondere Fachbereiche spezialisierten Medizinern in eigenen Praxen – und an Krankenhäusern. Ein "bewährtes System" zwar, so Riebsamen – das aber vor dem Hintergrund knapperer Kapazitäten künftig "engere Kooperationen" zwischen Praxen und Kliniken realisieren müsse. "Ich kann nicht garantieren, dass alles so bleibt wie bisher."

Was auch für die Akademisierung angegliederter Berufsgruppen gilt – wie jüngst für die Hebammen-Ausbildung beschlossen, die künftig ein (BA-)Studium erfordern wird. Im Pflegebereich habe sich die Bundesregierung bewusst gegen eine solche Studiums-Pflicht, wie auf europäischer Ebene gefordert, durchsetzen können – um den Pflegenotstand nicht noch größer werden zu lassen. Aber zum Beispiel bei den Physiotherapeuten sei eine Einführung der Studiums-Pflicht nach Beispiel der Hebammen ebenfalls in der Diskussion – um Wege für Patienten zu verkürzen: Die brauchen nämlich bisher eine Verordnung vom Haus- oder Facharzt, um eine Behandlung auf Krankenschein beim Physiotherapeuten zu bekommen.

Künftig könnte der Physiotherapeut selbst solche Diagnosen stellen und Verordnungen treffen – was die Haus- und Fachärzte entlasten würde und auch den Patienten Wege erspart. "Aber das geht natürlich nur mit dem notwendigen Rüstzeug durch eine akademische Ausbildung auch für diese Berufsgruppe." Entschieden sei da aber noch nichts, so Riebsamen. Weitere interessante Informationen am Rande: Auch Hebammen gab es noch nie so viele wie aktuell – trotzdem gibt es aber auch hier einen "Fachkräfte-Mangel". Der Grund: "Die meisten selbständigen Hebammen bieten nur noch die Vor- und Nachsorge an, nicht die eigentliche Geburtshilfe." Ursache dafür seien Haftungsrisiken. Auch hier soll die Akademisierung (der Hebammen-Ausbildung) mehr Sicherheit bringen. "Und das Recht auf höhere Vergütungen."

Weiteres Thema: Digitalisierung in der Medizin – und die Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung. Bei ersterer hänge man in Deutschland Europa gnadenlos hinterher, etwa bei der Umsetzung der digitalen Patientenakte. "Da wurde viel Zeit vergeudet." Die werde jetzt aber "sukzessive aufgebaut", was Engagement der Praxen und Krankenhäuser etwa bei der Aufrüstung der IT-Hardware bedürfe. Riebsamen berichtete, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ("Mein vierter Minister in diesem Amt") jemand sei, der solche Gesetzgebungen "taff angeht" – zielstrebiger als alle seine Amtsvorgänger. "Daher wird es auch da künftig einen gewissen Druck auf die Ärzte geben."

Was auch für die Qualitätssicherung in der Medizin gelte. Es werde eine Entwicklung hin zum "Pay for Performance" geben – zu einer Vergütung also, die sich an dem erreichten (langfristigen) Behandlungserfolg orientiert. Bundesweit würden dafür (ausdrücklich: "anonymisiert!") vermehrt sogenannten "Register" aufgebaut, in denen Langzeit-Beobachtungen von Behandlungen gesammelt würden. Für Behandlungen von Krebs gebe es ein solches Register für Langzeit-Beobachtungen bereits, als nächstes solle eines für Implantate und auch eins für Organtransplantationen aufgebaut werden.

Oliver Mayers finales Resümee für diesen umfassenden Erfahrungsaustausch und Blick in die Zukunft der medizinischen Versorgung hierzulande: "Da wird es ganz offensichtlich noch eine Menge Veränderungen geben".

(ahk). Lothar Riebsamen (61; CDU) ist seit 2009 Mitglied des Bundestages für den Wahlkreis Bodensee. Zuvor war er Spitalverwalter bei der Stadt Meersburg und anschließend für die Verwaltung der Kreiskrankenhäuser und Heime beim Landratsamt Waldshut zuständig. 1990 wurde Riebsamen Bürgermeister der Gemeinde Herdwangen-Schönach im Landkreis Sigmaringen. Er ist seit 2013 Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und im Finanzausschuss des Bundestages. Hier ist er für die Unionsfraktion verantwortlich für den Bereich Krankenhauswesen, etwa der Finanzierung/DRG-System (Diagnosis Related Groups), Dokumentationspflichten und Angelegenheiten der entsprechenden unmittelbar und mittelbar betroffenen Berufsgruppen (zum Beispiel Rettungsassistenten), sowie der Verzahnung des ambulanten mit dem stationären Bereich. Darüber hinaus befasst sich Riebsamen mit der generellen medizinischen Infrastruktur insbesondere im ländlichen Raum. Außerdem ist Riebsamen einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik.