Unerhörte Töne und Klänge: Bodo Schopf (rechts) und Büdi Siebert in Aktion. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Premiere: Volles Haus bei "The Native Future Projekt" / Frenetischer Beifall für Bodo Schopf und Büdi Siebert

Das Nagolder Publikum scheint ein neugieriges zu sein: volles Haus zur Weltpremiere des "The Native Future Projekt" von Bodo Schopf und Büdi Siebert in der Alten Seminarturnhalle. Es mussten sogar noch eilig zahlreiche Stühle dazugestellt werden, um alle Zuhörer zu fassen.

Nagold. Dabei handelt es sich beim "The Native Future Projekt" ja um ein Experiment. Um etwas wirklich Neues. Was es nun wirklich war: wunderschöne Musik, gespielt von zwei echten Meistern auf den zum Teil exotischsten Instrumenten, die sich denken lassen. Und die stilistisch in so ziemlich jedem Genre zuhause zu sein scheinen, die die Musikwelt die letzten 40, 50 Jahre instrumental bereichert haben.

All das zusammen genommen macht etwas Neues, Einzigartiges daraus. Musik voller Bilder, die dir die linke Gehirnhälfte (Sitz der Ratio) ausschaltet. Traumreisen im Kopf startet. Treffender Kommentar vom Nebentisch: "Ey, ich bin jetzt wirklich total entspannt!" Noch ’ne Massage dazu, und man würde nie wieder hier aufstehen wollen. Und noch ein Kommentar – von der Sitznachbarin am eigenen Tisch, die mit Mann und Tochter ganz spontan aus Calw zum Konzert angereist ist, "weil sonst nichts los war" an diesem Freitagabend: "Diese Musik macht einfach was mit dir." Oh ja, auch das. Sie berührt einen – sehr tief. Auf eine positive Weise.

Wir nehmen es mal vorweg: Nachher wird es minutenlange Ovationen für die beiden Musiker-Freunde gehen. Alle für den "Notfall" einstudierten Zugaben werden ihnen abgerungen. Nach Hause will nach diesen drei Stunden Klangzauber eigentlich keiner. Das hätte die ganze Nacht noch so weiter gehen dürfen.

Dabei sind das wirklich nicht etwa die "üblichen" Meditations-Klänge etwa zum Qigong, die hier zu hören waren. Bodo ist von Haus aus Rockmusiker, der Drummer der ersten Wahl für Größen wie Udo Lindenberg oder The Sweet. Auch in diesem Programm entfesselt er sein Schlagzeug mehr als einmal bis zur ultimativen Ekstase. Wechselt von den Besen zu den bloßen Händen, streichelt, dann prügelt er auf Tomtoms und Becken ein, um dann fliegend zu den Sticks überzuwechseln. Ein wahnsinniger Virtuose. Auch am Didgeridoo oder seinem edlen italienischen Akkordeon. Die er parallel und gleichzeitig spielt. Und trotzdem mehr "Rumms" am Schlagzeug hat als mancher Jungspund, der sich nur auf seine Sticks konzentriert.

Büdi andererseits spielt an solch einem Abend die gesamte Kulturgeschichte der Flöten am lebenden Objekt durch. Kein Schimmer, wo er all diese exotischen Instrumente eingesammelt und von welchen Enden der Welt mitgebracht hat. Seine Guzheng, die chinesische Harfe, hat er "falsch herum" mit den Saiten bespannt, weshalb nur er sie spielen kann; aber wie er sie spielen kann! Auch seine Marimba (nicht zu verwechseln mit einem Xylofon) ist weltweit einzigartig, wie Büdi in einer Moderation erklärt – weil sie elektrisch abgenommen und verstärkt wird. Als Büdi und Bodo die Marimba zusammen "von beiden Seiten" spielen, wird die unvergleichliche Meisterschaft der beiden einmal mehr deutlich.

Das Geniale an diesem Abend: All diese Instrumente und noch viel mehr werden zu einem einzigartigen Sound-Potpourri zusammen geführt. Nie alle zusammen, nie überfrachtet. Immer maximal gerade soviel, dass die Ohren mit einem satten Frequenzband geflutet werden – voller ungewohnter, unerhörter Töne und Klänge. In zum Teil geradezu hypnotischen Harmonien. Wobei der Looper, der eingespielte Klangsequenzen in einer Endlosschleife abspielt und dabei die Ergänzung von immer neuen Instrumenten im "Loop" erlaubt, für eine treibende Dynamik sorgt, wie man sie von manchen klassischen Werken wie etwa Ravels "Bolero" kennt: ein kräftiger, harmonischer Sog der Melodien, dem man sich nicht entziehen kann. Der einen mitreißt in die Tiefen und Höhen der unaussprechlichen Sounds. Einen in extreme Euphorien versetzt mit jeder Note, jedem Takt. Frenetischer Beifall, echter Jubel, wenn einem diese Klang-Schamanen mit ihren Instrumenten am Ende eines solchen Songs für einen Moment aus der hörenden Anspannung in die Entspannung und Erholung entlassen.

Ja, es gab auch ein bisschen technische Probleme bei dieser Premiere – mal riss Büdi mit dem Fuß einen Stecker aus einem Verstärker, was einen Song abrupter enden ließ als geplant. Mal versagten die "In-Ears", mit denen Büdi die Musik seines Partners Bodo während des Konzertes hörte, komplett. Aber Bodo brachte es im Sinne des Publikums auf den Punkt, als er zu Büdi sagte: "Lass es die Jungs" – von der Seminarturnhalle – "reparieren; wir machen Musik." Und das taten dann Büdi und Bodo, ganz ohne "In-Ears". Und die nächste Klang-Traumreise dieses unwahrscheinlichen Konzerts nahm ihren Lauf. Von der Prärie Nordamerikas über die (Flöten der) Anden bis zu den Klängen des Orients – irgendwie war alles dabei für eine solche akustische Weltreise. Wobei – wieder: wahrlich kein Qigong; "diese" Traumreisen waren auch mal ultimative Action-Traumreisen. Das geht auch. Getrieben von Bodos Hochgeschwindigkeits-Schlagzeug. Gezähmt von Büdis Harfe.

Am Ende dieses außergewöhnlichen Konzert-Ereignisses, wie erwähnt, reichlich Zugaben. Dazu ein kollektiver Stoßseufzer des Publikums, wie nach der Landung eines Flugzeugs – der Rausch des Fliegens war unwiederbringlich vorbei. Die Hände schmerzen vom Applaus. Die Gesichter des Publikums glänzen von dem Gesehenen, Gehörten. Zeigen – ja, was? Erleuchtung, Harmonie, vielleicht Glück. Sie waren Zeuge, wie Musik wieder das wurde, was sie für Menschen einmal war, als sie im Dunkel der Götterdämmerung der Menschheit die ganze Zauberwelt der Klänge erstmals für sich erschlossen: reinste Magie. Auch die Musik hier an diesem Abend in der Alten Semi wurde so das erste Mal von Menschen gehört. Und hinterließ wohl dieselbe angenehme Erschütterung bei ihnen wie die allererste Musik am Anfang der Zeit.