Ben Lesser spricht über seine vielen grausamen Erlebnisse während der NS-Zeit. Foto: Schwarzwälder Bote

Geschichte: Auschwitz, Buchenwald, Dachau – Ben Lesser entkommt dem Massenmord

Nagold. Es ist in den sehr frühen Morgenstunden eines Herbsttags 1939, als zwei Familien in Krakau durch den Lärm und das Eindringen fremder Menschen in ihre Privatsphäre aus dem Schlaf gerissen werden. Er und sein Bruder hören kurz darauf das Schreien des Babys der Nachbarn. Die beiden Jungs schleichen sich hinüber und beobachten ein Schauspiel, das furchtbarer kaum sein kann. Ein SS-Mann hält das schreiende Baby an beiden Füßen, schwenkt es hin und her, fordert die Eltern, die ihn anflehen, auf, für das Ende des Schreiens zu sorgen. Da dies nicht geht, wirft er das Kind an die Wand. Es ist tot. Mit dieser Geschichte beginnt für Ben Lesser, damals gerade elf Jahre alt, die Reise durch die Hölle. Er wird sie überstehen und in den Vereinigten Staaten von Amerika später ein neues Leben finden.

Was hat dieser Mann alles erlebt! Der Einleitungsgeschichte folgen Erzählungen, die den mehr als 140 OHG-Abiturienten im Zellerstift das Entsetzen in die Gesichter treiben. Man weiß es ja, kennt Filme und Dokumente aus dem Geschichtsunterricht; aber wie Ben Lesser seine persönliche Geschichte erzählt, führt zu ganz anderen Gefühlen. Da ist der Weg nach Bochnia für die Familie, wo man 1943 in ein Ghetto eingepfercht wird, die Flucht aus dem Ghetto, die den beiden Jungs und der Schwester mit Ehemann gelingt – in einem Kohlentransporter mit doppeltem Boden –, die die Eltern aber aufgrund eines Verrats mit dem Leben bezahlen müssen. Sie werden erschossen. Die Flucht über die tschechoslowakische Grenze nach Ungarn in den Heimatort der Mutter. Man glaubt sich sicherer, da Ungarn ja ein Bündnispartner Deutschlands ist. Dort lebt man eine Zeitlang versteckt, wird aufgegriffen, 1944 nach Polen zurücktransportiert: Auschwitz!

Getrennt von den Geschwistern

Es folgt das Treffen "an der Rampe" mit einem Arzt, der mit einer Fingerbewegung nach links und rechts entscheidet, wer vorerst weiterleben, wer sofort sterben muss. Der kleine Bruder, die Schwester von Ben werden von ihm getrennt. Er sieht sie nie wieder. Er selbst – mutig stellt er sich hin, salutiert vor dem Arzt, gibt sich als 18-jährig und arbeitsfähig aus – darf leben. Er ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht 16 Jahre alt. Der Arzt heißt Josef Mengele, später und heute der Inbegriff eines Massenmörders.

Und dann noch dies: Nach Durnhau in ein Arbeitslager abkommandiert, sind drei Gefangene aus dem Lager geflohen. Zur Strafe soll von allen jeder zehnte vor versammelter Mannschaft gefoltert werden. Auf den Fußballen stehend, die Fersen dürfen den Boden nicht berühren, den Körper über einen Holzbock gebeugt, ohne diesen zu berühren, werden sie mit Stöcken 25-mal in den Rücken geschlagen. Dabei muss jeder die Schläge selbst abzählen. Wer sich verzählt, wer das nicht aushält, wird erschossen. Ben zählt ab: Sein Onkel vor ihm ist eine Nummer zehn, er und sein Cousin hinter ihm haben Glück. Da stellt er sich vor den Onkel, weil er der Stärkste der drei Familienmitglieder ist. Die ersten drei Gefolterten sind zusammengebrochen und liegen erschossen auf dem Boden, als Ben an der Reihe ist. Er weiß, wenn er jetzt nicht durchhält, ist sein Leben zu Ende. Wie er es schafft, ist letztlich kaum zu fassen. Nach dem Gelingen dreht der Kommandant ihn um in Richtung der "Zuschauer". Ben befürchtet, jetzt doch erschossen zu werden. Aber der SS-Mann stellt ihn den anderen als Vorbild hin. Derweil werden die wieder eingefangenen Flüchtlinge zurückgebracht. Die Aktion wird beendet.

Wie kommt man wieder heraus aus dieser Hölle? Die Front naht, die Russen stehen unweit Auschwitz’. Das Lager wird aufgelöst: Todesmarsch nach Westen in Richtung Buchenwald; aber dort angekommen, wird das Lager schon wieder aufgelöst. Weiter geht es nach Süden: Todesfahrt im Viehwaggon. Beim Kampf ums Brot mit den Mithäftlingen erleidet Ben eine schwere Stichverletzung unterhalb des Kinns durch einen Mitgefangenen. Und immer dabei ist der sehr schwache und kranke Cousin. Die Weiterfahrt geht nach Dachau. Die dauert im chaotischen Deutschland gegen Kriegsende fast vier Wochen. Dieses naht aber bald; die Amerikaner stehen vor München und befreien das Lager. Ist dies die Freiheit? Wenige Tage nach der Befreiung stirbt Cousin Isaak in Bens Armen. Zu sehr geschwächt, hat er das zu fetthaltige Essen nicht vertragen und stirbt an der Amöbenruhr.

Lesser gründet "Zachor" im Jahre 2009

In Kürze die weiteren Jahre! Ben Lesser – von seiner Familie überlebt außer ihm noch die ältere Schwester Lola; die Eltern, eine weitere Schwester und zwei Brüder sind unter den sechs Millionen jüdischen Opfern – wandert nach Amerika aus, lebt erst in New York, dann in Los Angeles, gründet eine Familie, baut eine Firma auf. 1995 zieht er sich aus dem Geschäftsleben zurück, zieht nach Las Vegas um und spricht zum ersten Mal öffentlich über seine Erlebnisse. 2009 gründet er die Stiftung "Zachor" (zu Deutsch: Erinnerung). Seitdem berichtet er überall auf der Welt über die Schoa. 2012 erscheint seine Autobiografie "Living a Life that Matters: from Nazi Nightmare to American Dream".

Weitere Informationen: www.zachor.org