Die LDT-Studenten nahmen die Nachricht von der bevorstehenden Kooperation mit der Hochschule Reutlingen bei der von der Schulleitung eigens einberufenen Infoveranstaltung positiv auf. Foto: LDT Foto: Schwarzwälder Bote

Mode: Die neue Standortleiterin Bettina Grüninger will Nagolds Kaderschmiede wieder zu alter Stärke führen

Wie geht es weiter mit Nagolds Aushängeschild LDT? Die Antwort gibt eine Büste, die Bettina Grüninger auf dem Dachboden der Schule fand und in ihr Büro gestellt hat. Diese alte Schneiderpuppe ist gleichsam Symbol für die pädagogische Neuausrichtung: "back to the roots", sagt die neue Standortleiterin. Die Nagolder Kaderschmiede für die Mode- und Schuhbranche will zurück zu den Wurzeln.

Nagold. Die Nachricht, dass das Nagolder Alleinstellungsmerkmal LDT unter die Fittiche der Hochschule Reutlingen schlüpft, sorgte für Aufsehen. Nicht nur in der Branche, sondern auch bei Nagolder Hausbesitzern. Viele riefen besorgt im Sekretariat der Schule an, weil sie fürchteten, ihre jungen Mieter zu verlieren.

Bettina Grüninger (53), die jetzt im Büro des früheren Geschäftsführers Manfred Mroz sitzt, hatte alle Hände voll zu tun, die Wogen zu glätten. Sie ging, als die Nachricht von der beschlossenen Kooperation mit Reutlingen öffentlich wurde, von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, um Aufklärung zu betrieben. Die Studenten nahmen‘s positiv auf, auch bei der zwei Wochen später nach der letzten Klausur einberufenen Infoveranstaltung, zu der 60 Teilnehmer kamen. Aus Sicht der Texer hat diese bevorstehende Kooperation nämlich einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zum Status quo: Am Ende des Studiums steht nicht mehr der in der Branche zwar höchst angesehene Textilbetriebswirt BTE, sondern der Bachelor und Master.

Bettina Grüninger, die von 1988 bis 1990 selbst an der Schule studierte und seit 1995, neben ihrer selbstständigen Tätigkeit als Unternehmerin, als Dozentin der Schule treu blieb, wurde bei Modemessen von jungen Leuten immer wieder die gleiche Frage gestellt: "Und was mach ich bei Ihnen für einen Bachelor?". Grüninger musste passen. Freilich, es gab durch internationale Kooperationen mit Amsterdam und Dublin für die LDT-Studenten die Möglichkeit, die europaweit gültigen Hochschulabschlüsse dort nachzuholen. Aber nur wenige Texer konnte sich das – finanziell – leisten.

Dank dieser neuen Kooperation mit Reutlingen sollen diese Abschlüsse nun Standard werden. Wie der Studienplan konkret aussehen wird, wie viel Zeit die Texer in Nagold und Reutlingen im Hörsaal verbringen und welche Synergien es geben wird – das alles muss erst noch geklärt werden. Bislang fußt die Kooperation nur auf einer Absichtserklärung. Spätestens Anfang nächsten Jahres aber soll der Lehrplan stehen.

Für die 53-jährige Standortchefin ist die Unabhängigkeit der Schule nicht die Kernfrage. Ihr geht es vielmehr darum, Antwort auf die Frage zu finden: "Wie kehren wir zurück zu alter Stärke?"

Früher war die LDT mit ihrem Profil einzigartig in der Branche. Mittlerweile tummeln sich in der Textilbranche deutschlandweit ein halbes Dutzend Mitbewerber. Konkurrenz belebt das Geschäft, aber die Modebranche ist von ihrer Größe her überschaubar. Viele modeaffine Studenten zogen der Nagolder Privatschule eine staatliche Hochschule vor, schon weil’s billiger war. Das erklärt aber nur zum Teil den Rückgang der Studentenzahlen an der LDT, die im Semester 2014 mit 600 noch einen Höchststand erreichte. Das war damals auch der Umstellung von G 9 auf G 8 geschuldet. Dieser Doppeljahrgang war ein einmaliges Phänomen. Seither sinkt die Zahl der eingeschrieben Studenten an der LDT kontinuierlich. Heute sind es 336.

Aktuell fehlt der LDT der Glamour, der die Modebranche ausmacht

Für diese Entwicklung gibt es auch andere hausgemachte Gründe. Neben dem fehlenden Bachelorabschluss war ein anderer Wettbewerbsnachteil, dass die Schule erst seit zwei Jahren die englischsprachigen Fächer stärker fokussiert, wie zum Beispiel Rhetorik oder Rechnungslegung. Insgesamt fehlt aktuell der LDT der Glamour, der die Modebranche ausmacht.

Seit 2017 verstärkte sich der Negativtrend bei den Studentenzahlen. Beim Dualen Studium, das seit 1989 angeboten wird, hielt sich der Rückgang zwar noch in Grenzen, aber nicht bei den Vollzeitstudenten. "Es war eine Mischung aus allem", analysiert die heutige Standortleiterin die rückläufigen Studentenzahlen, "Strahlkraft, Marketing, Begehrlichkeiten". Zukunftsträchtige Fächer wie Social Media, Digitalisierung, E-Commerce, eben "alles was junge Leute sexy finden", will Grüninger jetzt forcieren.

Und die Hochschule Reutlingen sei bei dieser Neuausrichtung der ideale Partner: "Wir müssen herausfinden, was in Reutlingen gut ist und was in Nagold gut ist und das dann so zusammenführen, dass es für die Studenten passt."

Während in Reutlingen die technische Seite des Modeberufes im Vordergrund steht – hier werden Textilingenieure ausgebildet, wird in Nagold die betriebswirtschaftliche Seite vermittelt. Also Fragen wie: Was braucht der Markt? Und vor allem: Wie nachhaltig ist das alles? Dabei setzt Bettina Grüninger neben den fest angestellten Dozenten auch weiterhin auf Leute aus der Praxis, die hier unterrichten sollen: "Das ist ja unsere Stärke. Leute mit Praxisbezug wie zum Beispiel das Urgestein Helmut Raaf."

Die alte Büste, die jetzt ihr Büro ziert, steht für die Handwerkskunst: "Für die schönste Nebensache der Welt – die Mode". Bettina Grüninger hat viele Ideen, wie sie die jungen Leute an ihrer Schule fit machen will für eine Branche im Umbruch. Wie man die Online- und Offline-Welt zusammenführt. Wie man Verkaufsflächen so gestaltet, dass es "menschelt". Wie man den Nachhaltigkeitsgedanken verfestigt. Wie man den Studenten Weltoffenheit vermittelt: "Was geht sonst so auf dem Planeten?". Antworten darauf findet Bettina Grüninger auch beim Blick in die Vergangenheit. "Zurück in die Zukunft", lautet ihr Credo.

Gute Nachrichten hat sie für jene, die sich in diesem Jahr auf ein ganz besonderes Jubiläum freuten, bevor Corona ein Strich durch alle Planungen machte. Die zehnte LDT-Adria-Challenge, ein Mega-Event in der Branche, soll im nächsten Jahr nachgeholt werden, freilich unter Berücksichtigung der aktuellen Covid-19 Situation. Bettina Grüninger: "Ich seh‘ Challenges grundsätzlich positiv – und die Adria-Challenge auch".

Bettina Grüninger, gebürtig in Hannover, kam 1988 nach Nagold – und blieb der Stadt fürderhin treu. Nach ihrem zweijährigen Studium an der LDT machte sie sich als Unternehmerin in der Modebranche selbstständig. Seit 1995 ist sie Gastdozentin an der LDT und lehrt Fächer wie Marktbeobachtung und Trenderkennung. Zum 1. Juli 2020 übernahm sie die Standortleitung der LDT und wurde mit Prokura ausgestattet. Warum sie diesen Job in diesen unruhigen Zeiten übernommen hat? "Mein Herz hängt an dieser Schule und mein Herz hängt an diesen Studenten". Die 53-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 16 und 24 Jahren. Ihre Hobbys sind Skifahren, Yoga, Pilates, Reisen, Lesen und gute Filme.