So feiert Nagold in den Sommer: Wenn die Sonne untergeht und nahezu 800 Lampions in der Innenstadt leuchten, scheint Nagold wie verzaubert. Mehr mediterrane Lebensfreude mitten in schwäbischen Landen geht nicht. Foto: Buckenmaier

Veranstaltung nur noch schwer zu toppen. Mitarbeiter von Stadt und Bürger packen bei Altstadt-Bankett an.

Nagold - Es ist, als ob sich ein Zauber über diese Stadt legen würde. Wenn in Nagold zur Markttafel geladen wird, wähnt man sich 1000 Kilometer weiter südlich. Mehr mediterrane Lebensfreude mitten in schwäbischen Landen geht nicht.

Wie sehr sich die Nagolder mit ihrer Stadt und auch mit diesem Altstadt-Bankett identifizieren, zeigt sich Stunden vor dem offiziellen Beginn. Während städtische Mitarbeiter weit mehr als 100 Biertischgarnituren mit dem Radlader herbeikarren, die von Nagolds Gewichthebern auf- und später auch wieder abgebaut werden, hat sich eine nahezu 50-köpfige Schar von Freiwilligen um Citymanagerin Anna Bierig und den Gewerbevereinsvorsitzenden Ralf Benz geschart. Sie werden ehrenamtlich die Tische festlich dekorieren und nahezu 800 Lampions überm Blumenswing aufhängen. Und sie werden nicht nur einmal die Neugier von Tagestouristen stillen müssen, die sich wundernd fragen, was denn da Besonderes in Nagold bevorstünde.

Zu diesem Zeitpunkt verkauft die Citymanagerin die letzten beiden Karten. Sie erwartet 700 Gäste, hundert mehr als im vergangenen Jahr. Jeder zehnte kommt aus dem Umland, einige auch aus Rottenburg. "Das ist ein Fest der Nagolder", sagt Bierig, die zum zweiten Mal auf ihre Art, effizient und ohne großes Aufhebens, dieses kollektive Festmahl perfekt über die Bühne bringt.

Und dann, pünktlich zum offiziellen Beginn, strömen sie herbei mit Körben voller Köstlichkeiten, mit Wein und Bier: ganze Familienclans, Freundeskreise, Vereine, spendable Firmen mit ihren Mitarbeitern, Parteien und mittendrin vor dem Rathaus die versammelte Prominenz mit Oberbürgermeister Jürgen Großmann an der Spitze. Mit Blick auf die Tafelrunde zu seiner Linken und zur Rechten gerät auch das Stadtoberhaupt ins Schwärmen: "Mit dieser Markttafel", sagt er, "wendet die Innenstadt ihre Seele nach außen." Dekan Ralf Albrecht pflichtet umgehend bei: "Hier findet die autofreie Marktstraße endlich ihre Bestimmung"

Dabei hat es einiger Anläufe bedurft, bis diese 300 Meter lange Tafel zur Perfektion reifte. Am Anfang stand die Idee von zwei Nagolder Einzelhändlern, die ihre Inspirationen im Ausland holten: Klaus Drissner, einst Werberingchef, beim Pferderennen, dem "Palio" in Siena, das für die Sieger in einem Festessen gipfelt; und Helmut Raaf, damals Gewerbevereins- und Cityvereinsvorsitzender, beim Redentore-Fest in Venedig, mit dem die Lagunenstadt jedes Jahr die Befreiung von der Pest mit einem ähnlichen Spektakel feiert.

"Altmodisch, aber intensiv"

Was in Nagold im Jahr 2010 in eher improvisiertem Rahmen mit einigen eilends herbeigeschleppten Tischen und Stühlen begann und dann auch noch, wegen des einsetzen Regens, in die Stadthalle verlegt werden musste, ist spätestens seit dem Landesgartenschaujahr 2012 zu einer Nagolder Kult-Veranstaltung avanciert. Das neue Konzept – Stadt und Cityverein bei der Organisation Hand in Hand, der Blumenswing als blühende Kulisse und das Autonomieprinzip bei der Verpflegung – ging auf. "Es gibt kaum eine schönere Art, die Innenstadt zu erleben", schaute eine sichtlich zufriedene Cityvereinsvorsitzende Siegrid Plaschke auf Nagolds längste Festversammlung, die sich vom Hennehof bis zum Vorstadtplatz schlängelte. Dabei sei das Konzept – nämlich die Reduktion aufs Wesentliche: einfach nur unter Menschen zu sein – eigentlich "total altmodisch, aber emotional sehr intensiv".

Und als, wie abgesprochen, bei einsetzender Dunkelheit die Schaufensterbeleuchtungen aus blieben und die von fünf "Blockwarten" angezündeten 800 Lampions die ganze Fachwerksilhouette in ein dezentes Licht tauchten, fehlte in den Augen von Plaschke "nur noch die Sichel vom Mond" zur romantischen Abrundung. Als sich das Fest, von Gitarren- und Akkordeonklängen der engagierten Musiker begleitet, viel zu schnell seinem Ende zuneigte, konnte auch Citymanagerin Anna Bierig durchatmen. Sie hat übers Jahr eine Vielzahl von Veranstaltungen zu schultern: "Aber die Markttafel", sagte sie, "ist schon eine andere Liga."

Pünktlich um 23 Uhr zur Sperrstunde ging das gleißende Licht der Straßenbeleuchtung an – und die kollektive Lebensfreude mit schwäbischer Akkuratesse abrupt zu Ende. Binnen weniger Minuten waren die Tische abgeräumt – und die fröhliche Tafelrunde verlor sich im Dunkel der Nacht. Aber der Zauber dieses Abends hält noch lange an.