Die Stadt Nagold steht in den nächsten Jahren vor riesigen Investitionen. Aber nicht alles Wünschenswerte, das weiß man auch in der Rathausspitze, ist auch finanzierbar. Foto: Fritsch

OB Jürgen Großmann hat Zukunftsvision. Nicht alle Maßnahmen auch finanzierbar.

Nagold - Oberbürgermeister Jürgen Großmann ahnt es schon: "Wir stehen vor schwierigen Haushaltsberatungen." Wenn der Stadtrat in den nächsten vier Jahren nämlich all die Investitionsmaßnahmen umsetzen würde, die derzeit auf dem Plan stehen, wäre Nagold auf einen Schlag die am höchsten verschuldete Kommune ihrer Größenordnung im Land.

Es war ein Diagramm, das Stadtoberhaupt Großmann beim jüngsten Wirtschaftsgespräch vor Nagolder Unternehmern nur kurz an die Wand projizierte – und jeden Stadtrat zusammenzucken lassen musste. Die Darstellung zeigte die städtische Schuldenentwicklung inklusive der drei Eigenbetriebe Stadtwerke, Stadtentwässerung und Gertrud-Teufel-Seniorenzentrum (GTSZ) vom Jahr 2008 bis ins Jahr 2023. Großmann sprach bei dieser Gelegenheit von "hohem Investitionsbedarf" und vom "Problem der Finanzierung". Wer genau hinschaute, fand auch die Erklärung für Großmanns schmallippige Erläuterungen: Nach diesem Diagramm würde Nagold in vier Jahren mehr als 100 Millionen Euro tief in den roten Zahlen stecken – fast das Doppelte von 2018. Bei rund 22 000 Einwohnern würde Nagold, was die Pro-Kopf-Verschuldung anbelangt, mit 4500 Euro eine Spitzenposition im Land in negativer Hinsicht einnehmen.

Schuldenreduzierung bleibt für den OB das "heimliche Ziel"

Dabei war es erklärter Wille und eindeutiger Beschluss des Stadtrates, die Schulden aus den Investitionen für die Landesgartenschau so schnell wie möglich zu tilgen. Im Jahr 2010 stand die Stadt selbst mit 6,4 Millionen Euro in der Kreide, nach dem Großevent waren’s 19,5 Millionen. Der Stadtrat hielt sich in den folgenden Jahren an die beschlossene Linie, diese Schulden jedes Jahr um eine Million Euro zu reduzieren, um schlussendlich bis 2028 auf den Stand vor der Landesgartenschau zurückzufinden. Großmann: "Das bleibt immer noch das heimliche Ziel." Aber die Entwicklung zeigt in die umgekehrte Richtung.

Die Altlasten aus den drei Eigenbetrieben blieben über die Jahre bestehen. Dazu zählen die 4,9 Millionen Schulden des GTSZ durch den Umbau des Atriums aus dem Jahr 2008 und gut 20 Millionen bei der Stadtentwässerung. Dieses Geld steckt im Abwassernetz und wird über Gebühren refinanziert. Allein binnen eines Jahren stiegen diese Schulden aus der Abwasserversorgung von 20 auf 25 Millionen Euro. Großprojekte wie Riedbrunnen, Hasenbrunnen und ING-park schlugen sich hier nieder.

Ähnlich sieht es in der Bilanz der Stadtwerke aus: Von 2018 auf 2019 verschuldete man sich um weitere vier Millionen Euro. Stand heute: 18 Millionen Euro. Dieses Geld steckt vornehmlich in Nagolds Tiefgaragen.

Summa Summarum haben sich heute, Ende 2019, bei der Stadt und ihren Eigenbetrieben mehr als 60 Millionen Euro Schulden angehäuft, fünf Millionen mehr als 2018.

Würde es nach dem Planansatz im Rathaus gehen, abzulesen an dem von OB Großmann präsentierten Diagramm, würden diese roten Zahlen in den kommenden Jahren weiter sprunghaft ansteigen: zuerst um 15, dann um fünf, um acht und schließlich 2023 um weitere sieben Millionen Euro.

Aber das Stadtoberhaupt relativiert im Gespräch mit unserer Zeitung: "Ich weiß, dass dieser Plan nicht den Hauch einer Chance zur Genehmigung hat." Aber wo soll das Streichkonzert beginnen? "Da ist ja kein Konzerthaus dabei", sagt Großmann.

Beim Hasenbrunnen kalkuliert die Stadt Null auf Null

Allein die Sanierung des Otto-Hahn-Gymnasiums wird nach vorläufigen Schätzungen 35 bis 40 Millionen Euro kosten. Bei einem Chemie- und Physiksaal sei "flupdiwup eine Million weg". Für das Stadtoberhaupt geht es letztlich um die Fragen: "Wann machen wir’s? Was hat Priorität, und was erzeugt die meiste Wertschöpfung?"

Soll man die millionenschweren Sanierungen der Zellerschule und des Lembergmusiksaals auf die lange Bank schieben? Oder beim Grunderwerb – eingeplant sind mehr als fünf Millionen Euro – kürzer treten? "Das ist Zukunft", sagt Großmann, "damit sich unsere Stadt weiterentwickeln kann".

Dabei würde man im Neubaugebiet Hasenbrunnen im Iselshauser Tal ganz bewusst "kein Plus" beim Verkauf der Grundstücke machen, betont Nagolds Finanzbürgermeister Hagen Breitling: "Das ist unser Beitrag zum günstigen Wohnen" – und sei auch vom Gemeinderat so gewollt.

Bereit zur praktischen Umsetzung ist auch das Projekt Tiefgarage Parkhaus Nord mit dem "neuen Stadtentree" (Großmann). Während die Autos auf dem bisherigen Parkplatz zwischen Stadthalle und Calwer Straße unterm Erdboden in der Tiefgarage verschwinden sollen, würde über der Erde ein ganz neuer Stadtraum entstehen mit Grünflächen, Ladesäulen für E-Bikes, einer Öffentlichen Toilette und einem Aufzug in die Stadthalle. Kostenpunkt allein für den Bau der Tiefgarage: 5,1 Millionen Euro. Hinzu kämen noch 500 000 Euro für die Platzgestaltung. "Eine richtig gute Sache", befindet der OB. Angesichts dieser ambitionierten Projekte will man die Erweiterung des Parkhauses Weihergässle gleich ins Jahr 2021 verschieben.

"Man spricht immer von ländlicher Raumentwicklung, aber es gibt nichts zum Nulltarif", sagt OB Großmann: "Wer den Anschluss nicht verpassen will, der muss auch Geld in die Hand nehmen."

Insofern stecke hinter diesem besagten Diagramm auch eine Stadtvision: "Diese Investitionen machen wir ja nicht aus Zeitvertreib." Die rekordverdächtigen 100 Millionen Schulden im Jahr 2023 wären demzufolge eine klar Ansage: "Wo wir stünden, wenn wir alles machen".

So günstig wie derzeit kam die Stadt Nagold selten an Kredite. Im Schnitt liegt der Zinssatz für die Kommune derzeit bei 0,6 Prozent. Bei der KfW gibt’s Anleihen für Kommunen bereits für 0,05 Prozent. Jüngst schloss man im Rathaus ein Darlehen über eine Million Euro mit 30 Jahren Laufzeit mit 0,35 Prozent ab. Aber OB Großmann verweist in diesem Zusammenhang auch auf die "überhitzte Baukonjunktur". Durch höhere Baupreise würde die günstigen Kreditbedingungen wieder "vollständig aufgefressen".