Vor der Sanierung wurden die Rohre gründlich untersucht – unter anderem per Videokamera. Foto: AZV Foto: Schwarzwälder Bote

Baustelle: Neue Abwasserrohre werden im schonenden "Berstlining"-Verfahren verlegt

Neue Abwasserrohre werden derzeit zwischen Mindersbach und Ebhausen verlegt. Eine ungewöhnliche Baustelle, die mitten durchs Naturschutzgebiet führt.

Nagold-Mindersbach/Ebhausen. Im Mindersbacher Tal bebt die Erde – und das ist ganz wörtlich zu nehmen. Das Erdreich gerät in ein nervöses Zittern, die nasse, abschüssige Wiese in Richtung Ebhausen hebt sich zentimeterweise wie von Geisterhand getrieben. Selbst Gerhard Renz, Ingenieur seines Zeichens und als solcher eher zu mentaler Nüchternheit neigend, gerät sichtlich aus dem Häuschen. "Was hier geschieht ist unglaublich... Eine echte Challenge", schwärmt er angesichts des Schauspiels. "Die Erde bebt."

Die unterirdischen Kräfte, die derzeit zwischen Mindersbach und Ebhausen walten, sind technischer und hydraulischer Natur. "Berstlining" nennt der Fachmann das moderne Hexenwerk – es handelt sich um das "grabenlose Verfahren", bei dem Abflussrohre ohne das Ausheben des Erdreichs verlegt werden. Per Hydraulik und mit einer gewaltigen Zugkraft von 150 bis 180 Tonnen werden hier neue Abwasserrohre in mehreren Metern Tiefe durch das Naturschutzgebiet Mindersbacher Tal gezogen. Die alten Rohre müssen dabei zertrümmert werden. Das Walten in der Tiefe führt dazu, dass auch die Grasnarbe an der Oberfläche in Bewegung gerät – ein leichtes Erdbeben als Kollateralschaden sozusagen.

"Minimalinvasive Operation" zur Verlegung von Abwasserrohren

Gerhard Renz ist Prokurist der Firma ISAS (Ingenieure für Sanierung von Abwassersystemen) aus Albstadt, die die Planungsarbeiten übernommen hat. Den Eingriff ins Erdreich, der hier geschieht, vergleicht er mit einer "minimalinvasiven Operation" in der Medizin – wenn also nicht der ganze Bauch aufgeschnitten wird, sondern die Ärzte durch eine winzige Öffnung ins Körperinnere des Patienten gelangen. Der Vergleich trifft das derzeitige Spektakel zwischen Mindersbach und Ebhausen ganz trefflich – "minimalinvasive Operation" zur Verlegung von Abwasserrohren sozusagen.

Tatsächlich geht es hierbei um Schonung – um Schonung des Naturschutzgebietes. Würden die neuen Abflussrohre nämlich auf konventionelle Art durch Ausheben von Gräben verlegt werden, wären damit erheblich Eingriffe in die Natur verbunden. Unter anderem hätten zahlreiche Bäume gefällt werden müssen, sagt ein Mitarbeiter der Firma Rettberg aus Göttingen, die für die Arbeit verantwortlich ist. "Das wäre allein schon wegen der Naturschutzauflagen nur schwer durchsetzbar gewesen."

Auch der zuständige Abwasserzweckverband Nagold begründet die Anwendung des Berstlining-Verfahrens mit der Schonung der Natur. "Damit die Eingriffe in die Natur möglichst gering gehalten werden, wird die Kanalerneuerung nicht in offener Bauweise durchgeführt", heißt es. Die Baumaßnahmen seien mit den Naturschutzbehörden abgestimmt.

Gut einen Kilometer beträgt die Gesamtlänge der zu verlegenden Rohre, in jeweils 1,5 bis 4,5 Meter Tiefe, so Gerhard Renz, der Ingenieur aus Albstadt. Die alten Steinzeug-Rohre, die noch aus den 70er Jahren stammten, seien porös und brüchig geworden. Nicht zuletzt aber müssen die Rohre wegen des steigenden Abwasseranfalls deutlich vergrößert werden, von derzeit 30 Zentimeter auf 45 Zentimeter Durchmesser – was die Anforderung an die unterirdische Raumverdrängung nochmals erheblich erhöht.

"Der Feind des Kunststoffs ist das Sonnenlicht"

Zwar ist das Verfahren nicht mehr ganz neu, räumt Renz ein. Nicht alltäglich allerdings sei das Ausmaß des Eingriffs: "Über einen Kilometer Länge und dann noch die Ausweitung der Rohre ... das ist schon etwas für die Fachzeitschriften", schwärmt Renz. "Eine ganz große Maßnahme."

Ersetzt werden die alten Keramikrohre durch Kunststoffrohre der Firma Schöngen aus Salzgitter. Die neuen Rohre sollen auch eine deutlich längere Lebensdauer haben, meint Nico Schlenther, Ingenieur der Firma – er spricht von 80 Jahren. Auch Renz lobt die Lebensdauer der Kunststoffrohre. "Der Feind des Kunststoffs ist das Sonnenlicht", meint er. Und auch die Kosten der "minimalinvasiven Operation" seien nicht höher als beim konventionellen Verfahren, so Renz. Der Abwasserzweckverband Nagold beziffert die Summe auf gut 900 000 Euro.