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Retter holen Schwerverletzten aus dem brennenden Auto. Andere Verkehrsteilnehmer "haben nur geschaut".

Haiterbach/Nagold - Es war ein wirklich schlimmer Unfall - die Frontalkollision eines BMWs mit einem VW auf der L 353 zwischen Nagold und Haiterbach in der Nacht zum vergangenem Sonntag mit zwei Toten und einem Schwerstverletzten. Aber es war auch die Stunde von drei unerschrockenen Helden.

 

"Wir waren auf der Rückfahrt von einer Familienfeier in der Alten Seminarturnhalle in Nagold", erzählt Ahmet Adigüzel. In zwei Autos mit insgesamt acht Personen war man in ausgelassener Stimmung unterwegs ins heimische Haiterbach. Dort ist Hüseyin Adigüzel Wirt der Gaststätte Waldhorn. Wenn er von "der Nacht" erzählt, ist er sofort wieder voll drin in der Emotion.

Hüseyin Adigüzel saß im zweiten Wagen, fuhr mit etwas Abstand seinem Enkel Can Adigüzel hinterher. "Ich sah das Feuer vor uns, dachte zuerst, Can wäre in den Unfall verwickelt." Aber auch so war der Anblick schrecklich, die beiden Unfallfahrzeuge waren ungebremst und mit offensichtlich sehr hoher Geschwindigkeit in einer lang gezogenen Kurve frontal kollidiert, standen jeweils quer zur Fahrbahn. Die Adigüzels waren allerdings nicht die ersten Zeugen am Unfallort. "Aber niemand half!" Obwohl ein Fahrzeug - der VW mit zwei jungen Männern auf Fahrer- und Beifahrersitz - bereits vom Motorraum her zu brennen begonnen hatte.

"Wir versuchten zuerst, die Beifahrertür zu öffnen", berichtet Ahmet Adigüzel - ein Schrank von einem Mann, Inhaber eine Umzugs-Spedition. Sein Großvater Hüseyin macht im Erzählen nach, wie sie mit vereinten Kräften versuchten, die verkeilte Tür zu öffnen. "Sie bewegte sich kein Stück." Ein-, zweimal erfolglose Versuche - während der sich die lodernden Flammen den Weg in den Fahrzeugraum bahnten. Verzweifelt schreit Hüseyin in die umstehende, immer größer werdende Menge an Schaulustigen nach Feuerlöscher - doch niemand reagiert. "Alle Leute gucken - keiner hilft!" Schockstarre? Oder Gleichgültigkeit? "Man muss doch helfen, wenn Menschen so offensichtlich in Gefahr sind!?"

Das Feuer hatte seinen Weg durchs Armaturenbrett gefunden

Beim dritten Versuch endlich öffnet sich die Beifahrertür des VWs. "Wie aus dem Nichts", sagt Ahmet. "Sie gab mit einem Mal einfach nach. Ich weiß nicht, wie die Tür aufgegangen ist." Keine Sekunde zu spät - der Beifahrer lebt noch. Aber: "Innen war es schon richtig heiß", das Feuer hatte seinen Weg durchs Armaturenbrett gefunden. "Beim Fahrer war es schon innen" - der Fußraum brannte. Im Nachhinein sagt Ahmet: "Das mit der Beifahrertür - da war Gottes Hand in Spiel." Der junge Mann auf dem Beifahrersitz musste einen Schutzengel gehabt haben - der half, die total verklemmte Tür endlich aufzukriegen.

Großvater Hüseyin versucht derweil von den Umstehenden ein Messer - um die Gurte aufzuschneiden - oder weiterhin Feuerlöscher zu bekommen. Doch weiterhin Fehlanzeige. Das vor allem macht die Adigüzels immer noch fassungslos: "Alle haben nur geschaut." Gegafft. "Keiner hat geholfen. Das ist unglaublich." Vier, fünf Meter zieht Ahmet den schwer verletzten Beifahrer vom brennenden Auto weg in Sicherheit. Zwischenzeitlich hat sein Cousin Can auch die Fahrertür aufbekommen, bekommt wegen der Verformungen der Fahrerkabine und dem mittlerweile wild lodernden Feuer den Fahrer aber nur mit großen Schwierigkeiten ins Freie.

Letztlich kommt für den Fahrer auch jede Hilfe zu spät, er stirbt noch am Unfallort. Aber er wird kein Raub der Flammen. "Die Gurte haben wir schließlich von Hand geöffnet." Trotz des Feuers.

Nach 15 bis 20 Minuten trafen die Rettungskräfte ein

Polizei, Feuerwehr, Rettungskräfte - "es dauerte so 15 bis 20 Minuten, bis die am Unfallort eintrafen." Und die weiteren Rettungsmaßnahmen übernehmen. Auch für den Fahrer des BMWs kommt jede Hilfe zu spät. "Das war mehr als offensichtlich", sagt Ahmet Adigüzel. Und spricht über die "wirklich schlimmen Bilder", die man wohl nie mehr aus den Kopf bekommt. Cousin Can, der wie er selbst am Unfallort "einfach nur funktioniert" hat, war nachher am meisten mitgenommen. Tief geschockt. "Wir waren selbst voll mit Blut - das haben wir erst später bemerkt." Die Festkleidung - nagelneue Anzüge. "Die waren hinüber."

Aber - ein kleines Opfer angesichts der schrecklichen Ereignisse. "Aber ein Mensch lebt - das ist das Beste", sagt Großvater Hüseyin. Als Bekannte einen Tag nach dem Geschehen erzählten, auch das dritte Unfallopfer sei im Krankenhaus gestorben, wollten die Adigüzels das nicht glauben. Und gingen selbst ins Krankenhaus, um sich nach dem Beifahrer des VWs zu erkundigen, mit dessen Angehörigen zu sprechen. "Er lebt, auch wenn es ernst ist." Und die Angehörigen waren zuversichtlich, dass der junge Mann es auch schaffen würde.

Die Hoffnung nun: "Dass der junge Mann bald vollständig genesen wird" und zu den Adigüzels in den Gasthof Waldhorn nach Haiterbach kommt - um gemeinsam seine Rettung feiern zu können. Denn die Sache mit der Beifahrertür: "Das war ein echtes Wunder!"