So wird der König des Platzes gefeiert. Sieben Palio-Siege hat Giovanni Atzeni bis heute geholt. Fotos: Atzeni/Ehniss Foto: Schwarzwälder Bote

Pferderennen: Ein gebürtiger Nagolder kann in Italien Geschichte schreiben.

Giovanni Atzeni hat alles, was man sich mit seinen 34 Jahren erträumen kann: eine kleine Familie, ein 20 Hektar großes Landgut im Herzen der Toskana und die Berühmtheit eines Stars. Aber satt ist er deswegen noch lange nicht. Der junge Jockey ist hungrig nach Siegen beim berühmtesten und härtesten Pferderennen der Welt.

Nagold/Siena. Die Geschichte von Giovanni Atzeni beginnt im Nordschwarzwald – in Nagold. Hier wird er 1985 als Sohn eines sardischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Er war kaum fünf Jahre alt, als sein Vater ihn jeden Mittag zu der privaten Stallung mit den Rennpferden mitnahm, die der Fliesenleger sich in der Nähe von Rotfelden aufgebaut hatte: "Mein Vater hat mich gleich aufs Pferd gesetzt." Anfangs mit Sattel, und später dann, auf einem Pony, ohne. Und der Vater erkannte schnell das Naturtalent seines Sohnes.

Giovanni war elf Jahre alt, als seine Familie von Nagold wegzog. Oma, Schwester und Tante sind geblieben. Er besucht sie bis heute jedes Jahr, wenn er en passant in Baden-Baden sich einen Vollblüter für seine eigene "Scuderia" kauft. Aber bis zum eigenen Rennstall war es damals, beim Umzug der Familie nach Sardinien, noch ein weiter Weg.

Mit zwölf Jahren bestritt Giovanni sein erstes Rennen auf der Insel, in Pitti. Er belegte auf Anhieb den dritten Platz. Damals wog er 33 Kilo. 150 Rennen sollten in den kommenden Jahren auf Sardinien folgen. 26 von ihnen hat er gewonnen. Sein Berufswunsch stand schon damals fest: Er wollte Jockey werden. Und sein großer Traum war es, in Siena beim Palio anzutreten, diesem jahrhundertealten Spektakel, das mehr ist als ein Wettkampf. Der Palio ist ein Spiel. Und die ganze Stadt spielt wie in Ekstase mit.

Zweimal hat Giovanni als Jugendlicher dieses weltberühmte Rennen im Fernsehen verfolgt. Bis eines Tages Gigi Bruschelli am Rande eines Wettkampfes auftauchte, bei dem Giovanni an den Start ging. Bruschelli ist beim Palio so etwas wie Bernie Ecclestone in der Formel 1, aber in diesem Fall nicht nur mächtiger Strippenzieher, sondern auch selbst Rennteilnehmer. Giovanni hatte viele kleine Rennen hinter sich. In Monticiano oder Monteroni, wo sich junge Jockeys für größere Rennen empfehlen konnten. Und Bruschelli erkannte auf Anhieb Giovannis Talent. "Er hat das gleich gesehen", sagt der 34-Jährige rückblickend, "ich habe keine Angst und bin immer voll drauf gegangen mit dem Pferd."

Unter den Fittichen des mächtigen Fürsprechers dauerte es nicht lange, bis Giovanni zum ersten Mal im Campo von Siena auf dem Rücken eines Pferdes saß, um für Ruhm und Ehre einer "Contrade", eines der 17 Stadtteile, an den Start zu gehen und während des gut 90 Sekunden langen atemberaubenden Wettkampfs sich mit ganz legalen Schlägen und Tritten der Kontrahenten zu erwehren.

Er war gerade mal 22 Jahre alt, als er zum ersten Mal den Palio gewann. Was er damals empfand? "Unglaubliche Emotionen", sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung, "du kriegst jedes Mal einen Adrenalinschock". Sechs weitere Siege sollten folgen, darunter der Doppelschlag im Jahr 2013, als er bei beiden Palios, am 2. Juli und am 16. August, obsiegte. Er war der jüngste Doppelsieger aller Zeiten. Und es war das erste Mal, dass er in die Kathedrale von Siena einzog. Auf den Schultern seiner Anhänger getragen, gefeiert von einer entfesselten Anhängerschaft wie ein König. Er war jetzt der neue König des Platzes.

Diese Szenen sind verewigt in dem Kinofilm "Palio", den Cosima Spender damals drehte. Ein monumentaler bildgewaltiger Streifen über Ruhm und Ehre, über Sieg und Untergang, wie er nur in Italien gelebt und gedreht werden kann. Giovanni ist einer der Hauptdarsteller und genießt spätestens seit diesem Zeitpunkt Kultstatus in Italien. "Es geht um Leben oder Tod", hört man ihn in dem Film über den Palio sagen. Das ist was Wahres dran: Der Sieger des Rennens wird angebetet, aber wehe den Verlierern. Sie gelten als Verräter, als korrupt und werden nicht selten von den eigenen Anhängern furchtbar verprügelt. Es geht um viel Geld bei diesem Rennen. "Bestechung ist legal", sagt ein Palio-Kenner. Giovanni lächelt Fragen über die Bedeutung des Geldes bei diesem Rennen weg: "Man spricht nicht darüber". Er hat es auf jeden Fall zu Wohlstand gebracht. Auf seinem herrlichen Landgut fünf Kilometer von Siena entfernt, stehen 30 eigene Rennpferde.

Und die Zimmer seines Hauses sind voller Urkunden, Fotos und Pokale, die von seinen Siegen künden. Im vergangenen Jahr schaffte er das schier Unglaubliche wieder: Er gewann erneut beide Rennen beim Palio. Spätestens jetzt war klar, dass der 34-Jährige in die Fußstapfen seines Mentors Gigi Bruschelli treten könnte, der es in seiner Karriere auf 13 Siege brachte, nur einen Sieg hinter dem legendären Rekordhalter Aceto. Aber der 15. Sieg blieb auch Aceto verwehrt. Das hat in der jahrhundertealten Geschichte dieses Rennens noch keiner geschafft.

Giovanni Atzeni, geboren in Nagold, schickt sich nun an, diesen Rekord für die Ewigkeit zu brechen. Was ihn da so zuversichtlich macht? "Das Alter ist auf meiner Seite", sagt er, "und ich bin gierig. Gierig nach Siegen". Er kann nicht verlieren. Nicht mal beim Mensch-Ärgere-Nicht-Spiel gegen seinen elfjährigen Sohn. "Alles oder nichts. Das ist mein Charakter", sagt er und lacht.