Gut gelaunt gehen die Helferinnen in ihren gelben Schürzen ans Werk – und lassen sich von den voll besetzten Tischreihen nicht aus der Ruhe bringen. Foto: Fritsch

Institution bereichert auch in einer wohlhabenden Stadt wie Nagold - eben auf andere Weise.

Nagold - Geschäftiges Treiben erfüllt die Stadtkirche. Und dennoch halten die Menschen immer wieder inne – für ein kurzes Lächeln, einen Handschlag, ein Gespräch. Es sind diese Momente, die Otfried Schiller ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Für eine kurze Zeit legt sich Stille über die Stadtkirche. Setzt das geschäftige Treiben aus, ersterben die Gespräche. Mehrere hundert Menschen blicken erwartungsvoll zum Altar. Beinahe andächtig lauscht eine Wildberger Seniorin dem kurzen Mittags-Impuls.

Nur Minuten später drehen sich die Zähler an der Essensausgabe rastlos weiter, es bildet sich eine kleine Schlange. Neuer Kaffee wird aufgesetzt, das Kirchenschiff ist von Gesprächen und dem Klappern von Geschirr erfüllt. "Kurzes Update", ruft Peter Ammer vom Organisationsteam im Vorbeigehen, "jetzt haben wir knapp 600 Essen und 94 Liter Kaffee".

Das geschäftige Treiben tut Otfried Schillers guter Laune keinen Abbruch. Im Gegenteil: "Wir Bedienungen sind immer guter Laune, weil wir etwas geben können", erklärt der 77-Jährige zwischen zwei Runden mit dem Getränkewagen. "Und manchmal, wenn man auf einen Gast zugeht, dann öffnet er sich plötzlich", erzählt Schiller mit leuchtenden Augen. "Dann kann man gar nicht mehr aufstehen und weiter bedienen."

Begegnungen machen den besonderen Reiz aus

Es sind diese Begegnungen, die für ihn den Reiz der Nagolder Vesperkirche ausmachen, ihn immer wieder in den Schwarzwald ziehen. Der Renter kommt eigentlich aus der Nähe von Bremen, hat einmal für drei Jahre in Nagold gewohnt. Immer wieder kehrt er zurück, um gemeinsam mit den rund 250 anderen Helfern in der Vesperkirche mitzuarbeiten.

Dabei erinnert er sich noch genau, wie erstaunt er zu Beginn war: "Eine Armenspeisung in einer wohlhabenden Stadt wie Nagold? Das glaube ich nicht. Es gibt doch hier nicht jeden Tag bis zu 500 arme Menschen, die versorgt werden müssen." Dann habe er allerdings einen Blick auf das Motto "gemeinsam an einem Tisch" geworfen, "und das hat zu 100 Prozent gepasst". Schiller wird nachdenklich. "Viele Menschen sind einsam, kommen selten unter die Leute. Man verarmt dann zwar nicht finanziell, dafür aber geistig."

Umso mehr freut er sich über die vielen bunt gemischten Menschen an den Tischen. Für ein kurzes Gespräch ist jedenfalls immer Zeit, auch wenn sich die Stadtkirche wie an diesem Tag bis auf den letzten Platz füllt.

Während Schiller schon wieder die nächsten leeren Gläser im Blick hat, lässt sich Ursula Gutekunst vom Trubel nicht beeindrucken. Sie packt bunte Wollknäuel aus, verteilt auf einem frei gewordenen Tisch Schablonen und Vorlagen. Schnell ist sie von einigen Mädchen umringt. Im neuen Strick-Café wird inzwischen weniger gestrickt, als vielmehr mit Wolle gebastelt. Statt einem Damenkränzchen hat sich ein Kindertreff etabliert, wie Gutekunst lachend feststellt.

Während die Mädchen basteln, arbeiten die Helfer an der Geschirrrückgabe inzwischen auf Hochtouren. Sie sortieren Besteck und Gläser und schicken alles zum Spülteam ins Congresshotel Wart. Nach wie vor schrumpfen die Tellerstapel an der Kuchentheke mit unverminderter Geschwindigkeit.

Doch auch Gesine Fischer und Matthias Walter lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Nach dem mittäglichen Impuls haben sich die beiden Seelsorger hinter den Altar zurückgezogen, den traditionell Köders Hungertuch ziert. Hier warten die beiden auf Menschen, die den Segen empfangen möchten.

"Die Vesperkirche scheint auch für die Menschen, die hier mitarbeiten, ein Segen zu sein", meint Fischer. Sie und die anderen Seelsorger sind immer wieder unterwegs, gehen auf Menschen zu, auf Bedenken und Sorgen ein. Konfession und Weltanschauung spielen dabei keine Rolle.

Das gefällt auch Otfried Schiller: "Wir sind hier zwar in einem Gotteshaus, aber in der Vesperkirche kann jeder nach seiner Fassung selig werden." Damit zielt er auch auf die vielen, teils interkulturellen Begegnungen ab. Dabei sind über die Jahre hinweg auch Freundschaften entstanden. "Wir haben hier viele Leute, die gar nicht mehr aufstehen wollen, wenn die Glocke um drei Uhr läutet", schmunzelt Fischer.